Sozialistische Zeitung |
Am 18.September hat die Arbeitsloseninitiative Thüringen e.V. ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. 200
Menschen beteiligten sich an einem ganztägigen Programm, das neben einer außerordentlichen Mitgliederversammlung eine Demonstration in die
Innenstadt "für Arbeitsplätze, gegen Neofaschismus" und einen anschließenden Empfang mit zahlreichen geladenen
Gästen sowie einem Kulturprogramm umfasste.
Die Liste der erschienenen Gäste wirft ein Licht auf die Wirkungsmacht dieser Initiative, die gegenüber allen
anderen Erwerbslosenorganisationen in der BRD eine Vielzahl von Besonderheiten aufweist. Werdegang und Charakter der ALI sind in Deutschland
einmalig.
Geladen und erschienen war z.B. ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der weiterhin ABM-
Maßnahmen in Aussicht stellte; ein Vertreter des Arbeitsamts, dessen Grußwort deutlich machte, dass die ALI mit den 104
Beschäftigungsprojekten, die sie ins Leben gerufen hat (Fahrradwerkstätten, Kleiderkammern, Suppenküchen), dem Arbeitsamt nicht nur
Arbeit abnimmt, sondern auch auf die Bedingungen einwirkt, zu denen dies geschieht; Vertreter aller drei Landtagsparteien, inkl. der CDU, die alle nicht
umhin konnten, lobend den politischen Druck hervorzuheben, den die ALI immer wieder mit ihren außerparlamentarischen Aktionen auf die Politiker
ausübt freilich erwähnten sie mit keinem Wort, dass die Landesregierung deren Vorschläge zur Beschäftigungspolitik dennoch
zum überwiegenden Teil missachtet.
Die ALI schafft es bisher, eine intensive Lobbyarbeit gegenüber Ämtern und Parteien mit
unbeirrbarer politischer Eigenständigkeit und einer durch keine institutionellen Rücksichten eingeschränkten politischen
Aktionsfähigkeit zu kombinieren. Mit ihren 755 Beschäftigten, 104 Beschäftigungsprojekten und 38 Beratungsstellen ist sie selber ein
mittelständisches Unternehmen, das sich trotzdem in erster Linie als kämpferische Interessenvertretung aller Erwerbslosen, als Organisation von
Betroffenen, die Hilfe zur Selbsthilfe leistet, und als politisch handelnde Organisation versteht.
Sie hat in den letzten zehn Jahren 6400 Arbeitsplätze geschaffen, sie demonstrierte mit den
Betriebsräten vor Bischofferode, verbrachte 1994 mit den Obdachlosen zusammen eine "Nacht der Solidarität", mobilisierte zur
Großdemonstration der Erwerbslosen und des DGB am 15.Juni 1996 nach Bonn, beteiligte sich 1997 mit einem eigenen Ostthüringer Marsch an
den Euromärschen, berief nach den Jagoda-Tagen 1998 in Thüringen ein Erwerbslosenparlament ein, das im Rhythmus von 100 Tagen
zusammentrifft und alle wichtigen sozialen Initiativen im Land umfasst, und gab 1999 den wesentlichen Anstoß zur Übertragung dieser Idee auf
die europäische Ebene. Die Liste ihrer politischen Aktionen ist damit keineswegs ausgeschöpft.
Die ALI ist von allen Erwerbslosenorganisationen in der Bundesrepublik die bei weitem
mobilisierungsstärkste. Sie kriegt trotz ihres regionalen Wirkungsrahmens mehr Leute auf die Beine als jeder bundesweite Erwerbslosenverband.
Eine weitere Einmaligkeit der ALI ist ihr Bezug zu den Gewerkschaften. Während
gewerkschaftliche Funktionsträger in aller Regel die Erwerbslosenarbeit an den Katzentisch verbannen und mit ausgestrecktem Arm bestenfalls
gönnerhaft, aber sparsam unterstützen, ist der Vorstandsvorsitzende der ALI, Hans Hermann Hoffmann, in Personalunion zugleich
Kreisvorsitzender des DGB Erfurt.
Seine Funktion in der ALI versteht er nicht als Repräsentationsfigur; er ist ihr politischer Kopf
und Motor, er widmet ihr seine ehrenamtliche Arbeit, auf ihn gehen die Initiativen zurück, die ALI zu einem Instrument für die Schaffung einer
starken, bundesweit und europaweit organisierten Erwerbslosenbewegung zu machen.
Diese glückliche Gemengelage kommt nicht von ungefähr. Sie hat ihre Wurzeln in der
Entstehung der ALI, die unter tätiger Mithilfe des DGB Hessen zustandekam. Vor allem die Frühgeschichte der ALI ist deshalb auch eine
Geschichte des Wirkens westdeutscher Gewerkschaften im Osten nach einem Muster, das von dem überwiegend praktizierten stark abweicht.
Der hessische DGB hat sich weder an das Gebot des Bundesvorstands gehalten, vor der Vereinigung
am 3.10. in Thüringen nicht öffentlich zu agieren, noch hat er seine Hilfe beim Auf bau des DGB und der ALI im Geist einer Übernahme der
Funktionen im Osten geleistet, wie er damals unter westdeutschen Gewerkschaftsfunktionären vorherrschend war.
Der hessische DGB hat den Kräften vor Ort geholfen, sich in der neuen Wirklichkeit zurecht zu
finden und auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist in erster Linie die Leistung von Franz Schapfel, langjähriger DGB-Sekretär und CDA-Mann, der
den Mut aufbrachte, eigene Wege zu gehen. Franz Schapfel war auf der 10-Jahr-Feier der ALI Ehrengast. Seine Einstellung, die auch den Geist der ALI
kennzeichnet, hat er in der Broschüre zur Feier so wiedergegeben:
"Ohne die ALI sähe es in Thüringen heute anders aus. Diese Erfahrung sollten
Arbeitslose heute beherzigen. Also sich nicht nur beraten und beschäftigen lassen, sondern sich engagieren, auch demonstrieren, wenn es sein muss.
Sonst werden sie bald sprachlos sein. Leider ist heute keine politische Kraft in der Lage, dem Kapital auf breiter Front zu begegnen. Wir alle, die Arbeitslosen,
die ALI, die Gewerkschaften, müssen unsere Strategie ändern. Es müssen andere Unternehmensformen, andere Eigentumsformen gefunden
werden, bzw. die soziale Verpflichtung des Eigentums muss wieder eingefordert werden. Denn meine wichtigste Erkenntnis der letzten zehn Jahre ist, dass die
Solidarität untereinander nicht zu ersetzen ist."
Angela Klein
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