Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 28.09.2000, Seite 6

Betriebsverfassungsgesetz

Auf alle Fälle: eine Novelle

Die Regierungskoalition von SPD und Grünen hat in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass die neue Bundesregierung für die Beschäftigten in Betrieben und Verwaltungen die Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes in Angriff nehmen werde, um auf die veränderte Arbeitswelt mit mehr Demokratie zu antworten. Noch im Herbst des Jahres 2000 will Arbeitsminister Walter Riester (SPD) seinen Referentenentwurf im Parlament diskutieren lassen. Das neue Betriebsverfassungsgesetz soll rechtzeitig vor den nächsten Betriebsratswahlen, die im Frühjahr 2002 stattfinden, verabschiedet werden.
Parteien, Verbände und verschiedene Gruppen diskutieren zur Zeit Vorschläge und Verbesserungen. Die Beschäftigten in Fabriken und Büros hingegen sind von den Diskussionen so gut wie ausgeschlossen. Die IG Metall hat auf ihrem Gewerkschaftstag im Oktober 1999 beschlossen, eine Mobilisierungskampagne für ein besseres Betriebsverfassungsgesetz zu organisieren. Bisher ist davon kaum etwas zu hören.
Die Arbeitgeber wollen die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Bündnis für Arbeit diskutieren. Das Thema Betriebsverfassungsgesetz gehöre "auf den Tisch des Bündnisses für Arbeit", forderte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp. Unterstützung erhielt Philipp auch von Reiner Gröhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt drohte mit dem Ausstieg aus dem Bündnis für Arbeit und einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, weil die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes den Betriebsräten mehr Mitwirkungsrechte in Aussicht stellt.
Die Gewerkschaften wehren sich gegen die Forderungen der Unternehmerverbände. Die Zweite Vorsitzende des DGB, Ursula Engelen-Kefer, warnte vor einem Konsens auf niedrigerem Niveau und forderte die Regierung auf, beim Betriebsverfassungsgesetz Farbe zu bekennen. DAG-Chef Roland Issen erklärte, aus dem Bündnis für Arbeit dürfe kein "außerparlamentarisches Gremium" bei der Gesetzgebung werden.
Der DAG-Chef warnte auch den Bundeskanzler davor, das Betriebsverfassungsgesetz zum Bündnis-Thema machen zu wollen. Der Kanzler dürfe die politische Verantwortung für die überfällige Reform nicht auf das Bündnis abschieben. Auch Teile der SPD-Fraktion befürchten, dass die Reform in einer Bündnisrunde verwässert werden könnte.

Neue Realitäten

Die Situation für Betriebsräte hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Heute erwarten die Beschäftigten keine Wohlstandssteigerungen, sondern die Verteidigung es Erreichten; sprich die Sicherung des Realeinkommens und die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze, sowie Widerstand gegen den Personalabbau. Die Unternehmer aber drängen unter dem Druck des internationalen Wettbewerbs auf Kostenentlastungen, weil andernfalls das Überleben am Markt gefährdet sei und Produktionsverlagerungen ins Ausland unvermeidlich seien.
Die betriebliche Realität macht daher viele Betriebsräte erpressbar. Will ein Arbeitgeber Maßnahmen durchsetzen, droht er mit Entlassungen oder der Verlagerung der Produktion. Das bringt viele Betriebsräte in eine Zwickmühle, da der "eigene" Betrieb näher ist als die Gewerkschaften, und deshalb wird sehr oft gegen tarifliche und arbeitsrechtliche Bestimmungen verstoßen.
Zwar steht es den Betriebsräten zu, ergänzende Betriebsvereinbarungen abzuschließen, wenn der Tarifvertrag das zulässt, gleichzeitig aber dürfen Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifverträge geregelt sind, nicht Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sein.
Hier entsteht ein großer Widerspruch, denn selbst die IG Metall, die den sogenannten Standortsicherungsverträgen beispielsweise in der Automobilindustrie zustimmte, hat einen Lohnverzicht hingenommen, um die Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen. Um wettbewerbsfähig zu sein, haben unzählige Unternehmen in der Bundesrepublik tarifliche Leistungen mit Zustimmung der Betriebsräte gekürzt.
Bei vielen veröffentlichten Beiträgen zum Thema Mitbestimmung und Betriebsverfassungsgesetz stößt man immer wieder auf das Forschungsprojekt der Hans-Böckler- und der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 1994. Im September 1994 fand dazu eine Podiumsdiskussion unter der Bezeichnung "cooparative Konfiktbewältigung" und "beteiligungsorientierte Unternehmenskultur" statt.
Über eine erfolgreiche Krisenbewältigung sprachen: Peter Hartz, Arbeitsdirektor bei VW, Fritz Himmelreich, damals noch Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Richard Köhler, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der Continental AG, Reinhard Mohn, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung und Hubertus Schmold, designierter Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie.
Die Beteiligten brachten in diesem Gespräch zum Ausdruck, dass eine neue Unternehmenskultur nicht kurzfristig eingeführt oder angeordnet werden könne, sondern auf Vertrauen, Verbindlichkeit und Kontinuität basiere. Vorgeschlagen wurden immer wieder die selben Unternehmervorstellungen: Flexible Arbeitszeitmodelle, Gruppenarbeit und flache Hierarchien.
Dass das Projekt zum Thema Unternehmenskultur wichtig ist, belegt nicht zuletzt das übermächtige Medienecho. Fast alle Tageszeitungen haben darüber Berichte und Meldungen geschrieben. Wer könnte überzeugender als Reinhard Mohn, unter dessen Ägide Bertelsmann zur Nummer Zwei unter den weltweit operierenden Medienkonzernen aufgestiegen ist, über die neue Unternehmenskultur und über Mitbestimmung in der Produktion reden? Aber seine Kollegen in den Vorstandsetagen der deutschen Unternehmen sehen das völlig anders. Die deutschen Unternehmer sind autoritär.
Trotz allen Schönredens von einer neuen Unternehmenskultur, vom Humankapital und der Mitgestaltung in der Produktion gibt es noch immer eine beträchtliche Anzahl von Managern, die glauben, mit der Angst vor dem sozialen Abstieg die Arbeitskräfte zu Bestleistungen anzutreiben, wie bei der Einführung der schlanken Produktion.
Schönwetterveranstaltungen verdecken die betriebliche Realität. Die Unternehmer möchten Niedriglöhne, befristete Arbeitsverhältnisse, massenhaft Überstunden und eine Rentensenkung durchsetzen. Dass die Unternehmer den Wettbewerb betreiben, ist ihre Sache, dass sie dazu die Betriebsräte und Gewerkschaften verpflichten wollen, ist nicht einzusehen.

Reformvorschläge

Der Arbeitsminister hat ein neues Gesetz ausarbeiten lassen, und auch der DGB macht Novellierungsvorschläge zum Betriebsverfassungsgesetz von 1972. Ob es mit neuen oder veränderten Paragrafen möglich ist, die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen grundlegend zu ändern, wie es der DGB beschreibt, ist noch nicht sicher.
Um aus dem Dilemma herauszukommen, fordert der DGB für die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ein Klagerecht, wenn Zweifel über den Abschluss von Betriebsvereinbarungen und betriebliche Lohnverhandlungen bestehen. Zur neuen Unternehmensstrategie gehört die Ausgliederung der Produktion und Betriebsaufspaltungen, Tarifflucht und Beauftragung von Fremdfirmen für Aufgaben und Arbeiten, die früher selbst erledigt wurden. Hier fordert der DGB eine "Neujustierung" des Betriebs- und Arbeitnehmerbegriffes.
Erste Eckpunkte seines Reformvorschlages hatte Riester bereits im Februar vor der SPD-Fraktion zur Diskussion gestellt. Danach soll unter anderem das Verfahren der Betriebsratswahlen vereinfacht werden, um die Gründung von Betriebsräten in Kleinbetrieben zu erleichtern. Bislang verfügen nur 4% der Betriebe mit 5–20 Beschäftigten über einen Betriebsrat. Bei Betrieben mit 21– 100 Beschäftigten liegt der Anteil bei nur 28%. So soll auch der Zahlenschlüssel für Betriebsratsmandate und für Freistellungen korrigiert werden, d.h., kleine und mittelgroße Betriebe sollen mehr Betriebsratsmitglieder und Freistellungen bekommen.
Die dynamische Veränderung in Wirtschaft und Betrieben werfen eine Fülle von Einzelfragen auf. Es geht etwa um zunehmende Ausgliederung ganzer Werksteile oder um das Phänomen der Leiharbeiter. Wenn bei Betriebsaufspaltungen in Betrieben der Betriebsrat verloren geht, sollen vorhandene Konzern-Betriebsvereinbarungen weiter gelten. Die Wirtschaftsausschüsse auf der Konzernebene sollen die Interessen der mitbestimmungsfreien Teilbetriebe vertreten.
Über die Gerichte sollen Betriebsräte in Zukunft Mitbestimmungsrechte wirksamer durchsetzen können. Schließlich sollen die Betriebsräte Initiativrechte erhalten, um Beschäftigung durch Maßnahmen wie Qualifizierung zu sichern und den Personalabbau zu verhindern.
Die Unternehmer wissen, dass sie ein verbessertes Betriebsverfassungsgesetz nicht verhindern können. Deshalb haben sie eine Expertenkommission eingesetzt, die in einem Zeitraum von zwei Jahren die Auswirkung von Mitbestimmung und Betriebsverfassungsgesetz auf die Wirtschaft untersucht hat. Die Unternehmersprecher stellen nun fest, dass das System der Mitbestimmung nicht in Frage gestellt werden soll, sie wollen aber die Novellierung nach ihren Vorstellungen gestalten.
In der Hauptsache geht es den Unternehmen darum, den Einfluss der Gewerkschaften auf die Betriebe zurückzudrängen. In vielen Publikationen verbreiten die Unternehmer, dass die Betriebsräte besser über die wirtschaftliche Entwicklung der Betriebe und der Betriebsabläufe unterrichtet sind, deshalb wollen sie den Betriebsräten mehr Mitbestimmung einräumen. Verwiesen wird auf die unzähligen "betrieblichen Bündnisse", die mit den Betriebsräten abgeschlossen wurden und die oftmals einfach erpresst worden sind.
Die Unternehmer wollen über die Novellierung des Gesetzes einen besonderen Einfluss auf die Tarifpolitik nehmen. In allen Veröffentlichungen sprechen sie von der Flexibilisierung der Arbeitszeit und verlangen die Aufnahme einer Öffnungsklausel in die Flächentarifverträge.
Zwar wird die Tarifpolitik immer noch von den Tarifparteien gemacht und ist nicht Bestandteil eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes, aber wenn es Öffnungsklauseln gibt, werden die Unternehmer mit aller Macht Löhne und Gehälter so gestalten, wie es ihnen passt, es sei denn, Betriebsräte sind bereit, mit Kampfmaßnahmen Lohn- und Gehaltskürzungen zu verhindern.

Willi Scherer

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