Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 28.09.2000, Seite 11

Sozialämter schnüffeln

Seit Ende der 90er Jahre machen Mitarbeiter der Sozialämter in zahlreichen deutschen Städten unangekündigt Hausbesuche bei Sozialhilfebeziehenden. Diese Praxis ist laut Rechtsgutachten und einer Stellungnahme der NRW- Landesdatenschutzbeauftragten verfassungswidrig. Verwehrt eine Sozialhilfeempfängerin einem Ermittler den Zutritt zur Wohnung, dürfen sich für ihn daraus keine Nachteile ergeben.
In zahlreichen deutschen Städten wie Köln, Frankfurt, Hamburg und Gelsenkirchen wurden vor einigen Jahren sog. Bedarfsfeststellungsdienste (BFD) eingerichtet. Deren Mitarbeiter kontrollieren unangekündigt Sozialhilfebeziehende in ihren Wohnungen, um die Notwendigkeit von Hilfen zu kontrollieren, die beim Sozialamt beantragt wurden. Auf diese Weise wollen die Kommunen Einsparungen im Sozialhaushalt möglich machen. In Köln werden seit 1997 systematisch bei jedem Neuantrag auf Sozialhilfe und bei Beantragung von einmaligen Leistungen sofort, ohne dass Gründe für die Vermutung eines möglichen Missbrauchs vorliegen, kontrollierende Hausbesuche durchgeführt. "Wenn man Sozialhilfe bezieht, muss man sich nun einmal ausziehen", verkündete dazu einer der Kölner Chefermittler 1997 in der "Rheinischen Post".
Mitte Mai dieses Jahres beschloss die Wuppertaler Ratsfraktion mit ihrer CDU/FDP-Mehrheit die Einrichtung eines Bedarfsfeststellungsdienstes nach dem Kölner Modell. 14 Sozialdetektive sollen tätig werden. Die Interessenvertretung für Einkommensschwache, Tacheles, ließ dieses Vorhaben durch ein Rechtsgutachten des Stuttgarter Sozialrechtlers Dr.Manfred Hammel überprüfen und stellte zu dem Thema gleichzeitig eine Anfrage bei der Landesdatenschutzbeauftragten in NRW.
Beide haben nun bestätigt, dass die Einrichtung eines solchen Dienstes einen Verstoß gegen den Sozialdatenschutz darstellt und rechts- und verfassungswidrig ist.
Selbst Polizisten ist es, außer bei Gefahr im Verzug, verboten, eine Wohnung ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl zu betreten. Da die Ausnahmeregelung für Polizisten nicht für Bedarfsermittler gilt, ist ein Hausbesuch ohne ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen ein Verstoß gegen Art.13 des Grundgesetzes und somit nicht zulässig. Dr.Hammel stellt dazu fest: "Die Unverletzbarkeit der Wohnung hat auch für Sozialhilfebeziehende — unabhängig von der Staatsangehörigkeit — uneingeschränkt Gültigkeit." Wenn eine Sozilhilfeempfängerin dem Ermittler die Tür vor der Nase zuschlägt, ist dies ihr gutes Recht, befindet auch die Datenschutzbeauftragte, Frau Sokol. Aus der Wahrnehmung ihres Rechts dürfe ihr keine Nachteile erwachsen. Harald Thomé, der Vorsitzende von Tacheles e.V., erklärt dazu: "Damit hat das Sozialamt kein Repressionsmittel mehr gegen Leute in der Hand, die Hausbesuche und damit ihre Mitwirkung verweigern. Die Schnüffeldienste müssen umgehend aufgelöst werden."
Sollte die bürgerliche Ratsmehrheit in Wuppertal ihren Beschluss in die Tat umsetzen, will der Verein Tacheles die Möglichkeit einer Verfassungsklage prüfen.
Gegen die Einführung eines Bedarfsfeststellungsdienstes hat es in Wuppertal von Seiten der anderen Ratsfraktionen, der örtlichen Wohlfahrtsverbände und der Sozialverwaltung erheblichen Widerstand gegeben. Sie sehen in dem Vorhaben den Willen, Sozialhilfebeziehende nach dem Pribzip "Einsparen durch Abschreckung" wie Kriminelle und potentielle Betrüger zu behandeln.

Kontakt: Fon (0202) 318441; www.tacheles.wtal.de.

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