Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 28.09.2000, Seite 15

Brechts letzter Sommer

Abschied — Brechts letzter Sommer, BRD 2000, Regie: Jan Schütte; mit Josef Bierbichler, Monica Bleibtreu, Margit Rogall u.a. (Kinostart: 14.9.)

Die Intellektuellen und die Macht". So könnte ein alternativer Titel für den neuen Film von Jan Schütte lauten, der den letzten Tag im Leben des Bertolt Brecht im Sommer 1956 beleuchtet.
Der Ort der Handlung ist geradezu idyllisch. Ein Ferienhaus an einem der brandenburgischen Seen. Ruhig liegt der See unter der hochsommerlichen Sonne, Holzstege führen von seinem schilfbestandenen Ufer in das Wasser hinein. Perfekte Urlaubsidylle, heile Welt, so scheint es...
In seiner Datscha residiert der Patriarch Brecht umgeben von seinen Frauen und Assistenten. Zwischendurch kommen auch noch die Jungen Pioniere, um dem Genossen Brecht, dem großen "Heimatdichter", ein Ständchen darzubringen.
Auch die Stasi fehlt nicht. Denn es ist eine schwierige Zeit voller Umbrüche. Stalin ist drei Jahre zuvor gestorben. Im gleichen Jahr rebellieren in der DDR die ArbeiterInnen. Im Jahr ‘56 gärt es in Polen und Ungarn, und in der Sowjetunion findet der 20.Parteitag statt, wo Chruschtschow eine Rede hält, mit der die "Entstalinisierung" eingeleitet wurde. In dieser Zeit hoffen auch in der DDR viele auf Veränderung, darauf, dass Ulbricht ("Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille") und seine Getreuen endlich abtreten.
Auch der Philosoph Wolfgang Harich gehört dazu. An diesem heißen Hochsommertag hält er sich zusammen mit seiner Frau ebenfalls in Brechts Feriendomizil auf. Doch Harichs Vorstellungen sind nicht die Vorstellungen des vorsichtig gewordenen Brecht, der es sich mit den Machthabern nicht verderben will. Auch Helene Weigel, Brechts offiziell angetraute Ehefrau, sucht nicht den Konflikt mit den Mächtigen. Als ein Stasi-Offizier ihr die Festnahme des Ehepaars Harich ankündigt, räumt sie zwar deren Zimmer auf und vernichtet belastende Unterlagen, sie warnt die beiden jedoch nicht. So bekommt das Vernichten der Unterlagen einen merkwürdigen Beigeschmack, es scheint eher dem Selbstschutz zu dienen, denn schließlich wären die Papiere auf dem Grundstück der Brechts gefunden worden.
Zu den politischen kommen private Verwicklungen. Denn neben Brechts Ehefrau sind seine ehemalige Geliebte — eine alte Schauspielerin, seine aktuelle Geliebte — eine junge Schauspielerin, seine langjährige Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann und Harichs Frau, die sich Harich und Brecht ganz "unbürgerlich" teilen, anwesend. Dass zu "unbürgerlichem" Verhalten auch ein emanzipatorisches Verständnis von der Rolle der Frau gehört, war auch Linken in den 50er Jahren nicht geläufig.
So ergeben sich natürlich zahlreiche Spannungen, unter denen vor allem Brechts und Weigels Tochter und Brechts Assistenten leiden müssen. Denn Brecht — und auch Weigel — können sich allen Arten von "Untergebenen" gegenüber sehr tyrannisch aufführen. Diese dienen dann als Blitzableiter für alle Arten von persönlichem und politischem Frust.
Jan Schütte ist mit Abschied — Brechts letzter Sommer ein sehr ruhiger und sehr dichter Film gelungen. Er arbeitet mit langen Einstellungen und wenigen Schnitten. Es gibt ausführliche Dialoge und lange Passagen, in denen nichts gesagt wird, die aber trotzdem sehr ausdrucksstark sind. Dabei ist der Film sehr spannend. Diese Spannung wird erzeugt durch die persönlichen Auseinandersetzungen und durch die bedrohliche politische Situation. Die drohende Festnahme der Harichs hängt wie ein Damoklesschwert über allen Personen.
Die schauspielerische Leistung aller DarstellerInnen ist durchweg hervorragend. Neben Josef Bierbichler (Brecht) und Monica Bleibtreu (Weigel) ist vor allem Margit Rogall hervorzuheben, die Brechts alternde Ex-Geliebte Ruth Berlau spielt. Sie gibt diese, indem sie einerseits durch ständiges Meckern und Streitsuchen ihre Selbstbestimmung und Würde zu wahren sucht. Andererseits ist sie immer noch bereit, sich vor dem immer noch Geliebten zu erniedrigen, damit dieser sie vielleicht doch noch einmal erhört. Rogalls Spiel ist außerordentlich intensiv und glaubwürdig.
Während heute viele Filme im Stile von MTV-Videoclips gedreht werden, ist Schüttes Film ein Beispiel dafür, dass man auch ruhige Filme drehen kann, die trotzdem interessant und spannend sind. Vor allem lässt er den SchauspielerInnen viel Raum zur Entfaltung.

Andreas Bodden

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