Sozialistische Zeitung |
Die Intellektuellen und die Macht". So könnte ein alternativer Titel für den neuen Film von Jan
Schütte lauten, der den letzten Tag im Leben des Bertolt Brecht im Sommer 1956 beleuchtet.
Der Ort der Handlung ist geradezu idyllisch. Ein Ferienhaus an einem der brandenburgischen Seen.
Ruhig liegt der See unter der hochsommerlichen Sonne, Holzstege führen von seinem schilfbestandenen Ufer in das Wasser hinein. Perfekte
Urlaubsidylle, heile Welt, so scheint es...
In seiner Datscha residiert der Patriarch Brecht umgeben von seinen Frauen und Assistenten.
Zwischendurch kommen auch noch die Jungen Pioniere, um dem Genossen Brecht, dem großen "Heimatdichter", ein Ständchen
darzubringen.
Auch die Stasi fehlt nicht. Denn es ist eine schwierige Zeit voller Umbrüche. Stalin ist drei Jahre
zuvor gestorben. Im gleichen Jahr rebellieren in der DDR die ArbeiterInnen. Im Jahr 56 gärt es in Polen und Ungarn, und in der Sowjetunion
findet der 20.Parteitag statt, wo Chruschtschow eine Rede hält, mit der die "Entstalinisierung" eingeleitet wurde. In dieser Zeit hoffen auch
in der DDR viele auf Veränderung, darauf, dass Ulbricht ("Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille") und seine Getreuen
endlich abtreten.
Auch der Philosoph Wolfgang Harich gehört dazu. An diesem heißen Hochsommertag
hält er sich zusammen mit seiner Frau ebenfalls in Brechts Feriendomizil auf. Doch Harichs Vorstellungen sind nicht die Vorstellungen des vorsichtig
gewordenen Brecht, der es sich mit den Machthabern nicht verderben will. Auch Helene Weigel, Brechts offiziell angetraute Ehefrau, sucht nicht den Konflikt
mit den Mächtigen. Als ein Stasi-Offizier ihr die Festnahme des Ehepaars Harich ankündigt, räumt sie zwar deren Zimmer auf und vernichtet
belastende Unterlagen, sie warnt die beiden jedoch nicht. So bekommt das Vernichten der Unterlagen einen merkwürdigen Beigeschmack, es scheint
eher dem Selbstschutz zu dienen, denn schließlich wären die Papiere auf dem Grundstück der Brechts gefunden worden.
Zu den politischen kommen private Verwicklungen. Denn neben Brechts Ehefrau sind seine ehemalige
Geliebte eine alte Schauspielerin, seine aktuelle Geliebte eine junge Schauspielerin, seine langjährige Mitarbeiterin Elisabeth
Hauptmann und Harichs Frau, die sich Harich und Brecht ganz "unbürgerlich" teilen, anwesend. Dass zu
"unbürgerlichem" Verhalten auch ein emanzipatorisches Verständnis von der Rolle der Frau gehört, war auch Linken in den
50er Jahren nicht geläufig.
So ergeben sich natürlich zahlreiche Spannungen, unter denen vor allem Brechts und Weigels
Tochter und Brechts Assistenten leiden müssen. Denn Brecht und auch Weigel können sich allen Arten von
"Untergebenen" gegenüber sehr tyrannisch aufführen. Diese dienen dann als Blitzableiter für alle Arten von
persönlichem und politischem Frust.
Jan Schütte ist mit Abschied Brechts letzter Sommer ein sehr ruhiger und sehr dichter
Film gelungen. Er arbeitet mit langen Einstellungen und wenigen Schnitten. Es gibt ausführliche Dialoge und lange Passagen, in denen nichts gesagt
wird, die aber trotzdem sehr ausdrucksstark sind. Dabei ist der Film sehr spannend. Diese Spannung wird erzeugt durch die persönlichen
Auseinandersetzungen und durch die bedrohliche politische Situation. Die drohende Festnahme der Harichs hängt wie ein Damoklesschwert
über allen Personen.
Die schauspielerische Leistung aller DarstellerInnen ist durchweg hervorragend. Neben Josef
Bierbichler (Brecht) und Monica Bleibtreu (Weigel) ist vor allem Margit Rogall hervorzuheben, die Brechts alternde Ex-Geliebte Ruth Berlau spielt. Sie gibt
diese, indem sie einerseits durch ständiges Meckern und Streitsuchen ihre Selbstbestimmung und Würde zu wahren sucht. Andererseits ist sie
immer noch bereit, sich vor dem immer noch Geliebten zu erniedrigen, damit dieser sie vielleicht doch noch einmal erhört. Rogalls Spiel ist
außerordentlich intensiv und glaubwürdig.
Während heute viele Filme im Stile von MTV-Videoclips gedreht werden, ist Schüttes
Film ein Beispiel dafür, dass man auch ruhige Filme drehen kann, die trotzdem interessant und spannend sind. Vor allem lässt er den
SchauspielerInnen viel Raum zur Entfaltung.
Andreas Bodden
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04