Sozialistische Zeitung |
Die Diktatur Milosevic ist gestürzt. Was immer auf sie folgen wird, eins ist erreicht: Die alten Herrschaftsstrukturen
sind zusammengebrochen, die Karten werden völlig neu gemischt und damit gibt es neuen Spielraum auch für die Bevölkerung, ihre
Interessen zu artikulieren.
In den dramatischen Ereignissen, die auf den Wahltag 24.September folgten, haben sich drei Faktoren
abgezeichnet, die diesen Sturz herbeigeführt haben: die Brüchigkeit der Regierungskoalition, die schon vor der Wahl einsetzte; der Wahlsieg der
Oppositionskoalition; die eigenständige Aktion der Bevölkerung, die mit Generalstreiks, Demonstrationen und schließlich dem Sturm
des Parlaments dem alten System den Todesstoß versetzt hat.
Man kann nicht erwarten, dass jetzt schon Lösungen "von unten" für die
jugoslawische Krise vorgelegt werden können. Die Diktatur hat eine offene Debatte über Alternativen verhindert. Die ist erst jetzt möglich
und es wird ein langwieriger Prozess werden. Diejenigen, die deshalb als erste von den neuen Verhältnissen profitieren, sind diejenigen, die
genügend Geld haben, sie nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen: das sind die EU und die USA in welcher Reihenfolge, das ist noch unklar.
Der Reihe nach. Sechs Tage vor den Wahlen veröffentlichte der US-amerikanische Verlag
Janes, der dem militärisch-industriellen Komplex nahesteht, einen Bericht der jugoslawischen Geheimdienste über die Lage der
Regierung. Daraus geht hervor, dass es in den Wochen vor der Wahl deutliche Absetzbewegungen aus der jugoslawischen Regierungskoalition und
damit von Milosevic gegeben hat. Die Koalition wurde von der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS Milosevic), der Vereinigten Linken
(JUL seine Frau Markovic) und der Radikalen Serbischen Partei (SRS Vojislav Seselj) gebildet.
Was die Koalition zusammenhielt, war das gegenseitige Zuschachern von Stimmen und Posten. Als die
Meinungsumfragen ab August dem Oppositionsbündnis DOS eine so starke Wahlunterstützung voraussagten, dass eine Wiederwahl Milosevics
nicht mehr garantiert schien, wurden hinter den Kulissen neue Fäden gesponnen. Seselj nahm Verhandlungen mit dem faktischen Führer der DOS,
Zoran Djindjic auf, Milosevic mit Vuk Draskovic, den er im Oktober 1999 noch versucht hatte, physisch zu eliminieren, weil er in ihm damals den
mächtigsten Gegner sah, der in der Lage sein könnte, die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu kanalisieren.
Nachdem dieser sich jedoch an den Rand manövriert hatte, weil er dem
Oppositionsbündnis DOS nicht beitrat, ging Milosevic daran, den wachsenden Drang des extremen Nationalisten Seselj nach einflussreichen
Positionen zu beschneiden, und nahm erneut Verhandlungen mit Draskovic auf.
Umgekehrt hat die Radikale Partei Ende letzten Jahres durchgesetzt, dass die jugoslawische Verfassung
geändert und eine Direktwahl des Staatspräsidenten ausgeschrieben wird. In der irrigen Annahme, dass das Volk ihn liebt, hat Milosevic dem
zugestimmt und damit den Weg für seine Ablösung bereitet. Auf die Initiative der Radikalen Partei geht auch die Einführung des einfachen
Mehrheitssystems für die Wahlen zu den Gemeinderäten zurück. Es hat gleichfalls zum haushohen Wahlsieg der Opposition beigetragen:
In Belgrad hat die Milosevic-Partei 30% der Stimmen, dabei aber nur vier von 110 Ratssitzen erhalten!
Die Absetzbewegungen aus seiner Koalition und die Meinungsumfragen haben dazu geführt,
dass Milosevic nicht mehr ausreichend Kräfte zur Verfügung hatte, die Wahlen lückenlos nach eigenem Gutdünken zu
fälschen.
Das Oppositionsbündnis hingegen, das aus 17 Parteien besteht, hat es trotz starker Differenzen
untereinander vermocht, seinen Willen auf einen Punkt zu konzentrieren: die Abwahl von Milosevic. Organisatorisch hat sich dies in einem
flächendeckenden Aufgebot von Wahlbeobachtern niedergeschlagen, die in allen Wahllokalen der 160 Gemeinden Serbiens bei den Wahlen zugegen
waren. Insgesamt wurden 20000 Menschen mit der Aufgabe betraut. Dieses enge Netz hat dem Bündnis erlaubt, noch in der Wahlnacht ein sicheres
Wahlergebnis zu präsentieren im Gegensatz zur staatlichen Wahlkommission, die Tage dafür brauchte und sich mehrfach berichtigen
musste.
Vojislav Kostunica, der bis zu den Wahlen nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, hat seinen
Wahlkampf unter dem Motto der "nationalen Versöhnung" und gegen die NATO-Aggression geführt. "Ein weiteres braucht
Serbien heute dringend die nationale Versöhnung ... Der erste Schritt dahin ist die Aufhebung der bestehenden Spaltung in Patrioten und
Verräter. Schließlich haben diejenigen, die heute über Serbien herrschen und sich selbst als Patrioten bezeichnen, allen gegenüber
als gute Patrioten erwiesen, nur nicht gegenüber den Serben. Sie haben andere Länder aufgebaut und das eigene zerstört." In
derselben Rede, die Kostunica am 14.April hielt, beklagte er die "Gewalt, die von den Machtinhabern in Washington und Brüssel gegen unser
unglückliches Volk" ausgeübt wird. "Um als Volk zu überleben, müssen wir unsere Beziehungen zur Welt
normalisieren, aber wir dürfen auch die ausländische Gewalt weder ignorieren noch vergessen, die von den USA und der NATO verübt
wurde." Kostunica ist ein Nationalist, der schon unter Tito gegen die Verfassungsänderung eingetreten ist, die die Position der föderalen
Republiken und autonomen Provinzen stärkte. Auch heute noch tritt er für einen großserbischen Einheitsstaat ein.
Während Kostunica mehrfach auf Distanz zum Westen ging, ist sein Wahlkampfmanager und
politischer Kopf des Oppositionsbündnisses DOS, Zoran Djindjic, ein Mann des Westens, der von diesem finanziert wird. Djindjic ging
während der NATO-Bombardierungen so weit zu fordern, Jugoslawien solle seine Unabhängigkeit aufgeben und sich der Kontrolle westlicher
Institutionen unterstellen. Djindjic steht dem Krisenkabinett der DOS vor und tritt immer deutlicher als derjenige auf, der ihren politischen Kurs dirigiert
auch in der Frage der Zusammensetzung der neuen Regierung. Anstelle der Sozialistischen Volkspartei, die in Montenegro die Mehrheit hat und der
das Amt des jugoslawischen Premiers zustehen würde, will DOS führende Vertreter der Ökonomengruppe G17-Plus mit der Regierung
beauftragen. Diese haben sich soeben in Bulgarien mit Vertretern von IWF, Weltbank und dem Pariser Club bei einer sog. "Geberkonferenz"
getroffen. Obwohl noch nicht im Amt, handeln sie bereits als Mitglieder einer gewählten Regierung: Sie übergaben eine
Absichtserklärung (Letter of Intent) mit einem Antrag an IWF und Weltbank. Letztere kommen damit in die Position, Jugoslawien ihre Bedingungen zu
diktieren, noch bevor eine neue Regierung gewählt ist.
Das ist nur eine Schiene der nunmehr ungehinderten Einflussnahme des Westens; die andere betrifft das
persönliche Schicksal von Milosevic, über das insbesondere die USA seit längerem hinter den Kulissen verhandeln.
Bleibt die Frage, welche Nachwirkungen die unabhängige Volksbewegung der letzten Woche
haben wird. Die Zukunft Jugoslawiens wird vor allem davon abhängen.
Angela Klein
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