Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 12.10.2000, Seite 13

Großbritannien

Neue Perspektiven für radikale Linke

Am 4.Mai hatte bei den Londoner Gemeinderatswahlen die London Socialist Alliance (LSA) — ein Zusammenschluss nahezu aller Gruppierungen links von der Labour Party und den Grünen (mit Ausnahme von Scargills SLP und der Rest-KP) — einen Achtungserfolg erzielt. Im Folgenden veröffentlichen wir einen Beitrag, der sich mit den Perspektiven der LSA für eine Neuformierung der antikapitalistischen Linken befasst.
Das Resultat der LSA in London war mit 3,1% in den Wahlkreisen und insgesamt rund 50.000 Wählerinnen und Wählern ausgezeichnet. Seine wirkliche Bedeutung liegt jedoch in der Art und Weise, wie die Linke in London neuen Schwung erhalten hat und sich für die Einheit der Linken und zukünftige Kampagnen neue Möglichkeiten ergeben. Die bereits Aktiven wurden ermutigt, andere wurden reaktiviert und neue Kräfte gewonnen.
Ein bemerkenswerter Grad von Einheit ist unter den beteiligten Organisationen der extremen Linken erreicht worden (die prinzipielle Ausnahme ist die Socialist Party (SP), die durchweg eine zweideutige Position einnahm). Diese Einheit hatte selbst Anziehungskraft, da sie begann das Sektierertum in der extremen Linken aufzubrechen und eine neue Dynamik zu schaffen.
Dabei entscheidend war die Wende der Socialist Workers Party (SWP), die bislang außerhalb der Entwicklung in Schottland [die zur Bildung der Scottish Socialist Party (SSP) führte] gestanden hat und nur am Rande an der Bildung von sozialistischen Bündnissen, den Socialist Alliances, in England und Wales beteiligt war. Die Entscheidung der SWP, sich völlig in die LSA einzubringen, eröffnete komplett neue Möglichkeiten.
Jede Organisation und jedes der prominenten Individuen, die an der Kampagne beteiligt waren, zog positive Schlussfolgerungen aus ihren Resultaten. Die LSA wird daher nicht nur fortbestehen, sondern sie sollte auch fähig sein, den erreichten Schwung zu bewahren.
Doch diese Entwicklungen müssen über London hinausgehen. Das Network of Socialist Alliances, das in England und Wales Koordinierungsarbeit leistet, muss gestärkt werden, und es müssen Allianzen aufgebaut werden, wo sie bisher nicht vorhanden sind.
Und schließlich besteht noch das umfassendere Problem der linken Einheit. Es gibt bereits Anzeichen in einigen Gewerkschaften, dass die SWP dabei ist, ihre bisherige Politik der Selbstisolation aufzugeben. Dies spiegelt einmal mehr die neuen Möglichkeiten und Probleme wider, vor denen die Linke steht, sowie das wachsende Bewusstsein darüber, dass sie nicht überwunden werden können, solange Spaltungslinien der Vergangenheit weiter existieren.

Revolutionäre Partei?

In der LSA gibt es eine Bandbreite von Vorstellungen, wie sie sich mittelfristig weiter entwickeln soll.
Workers Power meint, die LSA sollte mehr oder weniger unmittelbar zu einer revolutionären Partei werden. Die CPGB hat eine ähnliche Position. Die AWL (Alliance for Workers‘ Liberty) scheint eher für eine Wiedererschaffung von "Old Labour" einzutreten. Die SP ruft auf zu einer neuen breiten Partei links von Labour, wenngleich in einer recht propagandistischen Weise. Die SWP scheint bisher noch nicht zu einer kollektiven Position gelangt zu sein.
Wir wollen alle, dass aus den gegenwärtig verschiedenen Kräften in der LSA eine neue revolutionäre Partei hervorgeht, aber die politischen Bedingungen dafür existieren nicht. Was existiert — zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg — ist die Möglichkeit, so etwas wie die Scottish Socialist Party (eine kleine linkszentristische Partei) in England und möglicherweise in Wales aufzubauen. Darauf zu bestehen, dass es sofort eine revolutionäre Partei sein muss (wie es Workers Power tut), hieße das Projekt auf seinen marxistischen Bestandteil zu reduzieren.
Andererseits würde der Aufbau einer neuen Massenpartei, und sei diese linksreformistisch, bedeutende Abspaltungen von Labour und ihren Widerhall in den Gewerkschaften voraussetzen. Und in Anbetracht der Position von Ken Livingstone steht dies heute nicht auf der Tagesordnung.
Eine linkszentristische Partei in der Dimension der SSP wäre gegenwärtig wirklich ein Gewinn, vorausgesetzt die Mehrheit der bestehenden extremen Linken wäre darin enthalten. Es ist unter den aktuellen Bedingungen nicht möglich, so etwas an der radikalen Linken vorbei zu erreichen. Die LSA könnte ein Meilenstein für die Entwicklung einer solchen Partei sein — doch der Zeitrahmen und die Bedingungen dafür sind kompliziert.
Die Vielfalt der linken Kräfte, die um die LSA zusammengekommen sind und die Erblast sektiererischer Rivalitäten (plus die negative Erfahrung mit Arthur Scargills SLP) legt eine langwierige Periode politischer Entwicklung, Vorbereitung und Vertrauensbildung nahe, bevor eine solche Partei auf einer stabilen Basis errichtet werden kann. Wir befinden uns im Vorbereitungsstadium. Solch eine Partei kann nicht per Ultimatum geschaffen werden, wie es Scargill mit der SLP versucht hat.
Eine neue Partei muss demokratisch, föderal und pluralistisch sein, mit dem vollen Recht auf Dissens und getrennte Publikationen; denn für uns ist es eine Prinzipienfrage, dass die Revolutionäre als solche organisiert bleiben können. Die Art und Weise, wie revolutionäre Organisationen in einer solchen Organisation arbeiten, ist wichtig. Anzustreben, dass sie sich in eine revolutionäre Partei verwandelt, wenn die Bedingungen dafür entstehen, ist etwas anderes, als ständig zu fordern, dass sie eine revolutionäre Partei wird, ungeachtet der objektiven Bedingungen.

Erneuerung der Linken in Europa

Diese Entwicklungen in Großbritannien sind Teil eines europaweiten Phänomens, in der die Linke dabei ist, sich umzuformen und zu reorganisieren. Der Prozess begann nach dem Fall der Mauer und dem Auseinanderbrechen der KPs. Er erhielt neuen Elan durch die Wahl sozialdemokratischer Regierungen in 13 von 15 Ländern der EU im Laufe der 90er Jahre.
Diese Regierungen haben sich einem neoliberalen Projekt radikaler Deregulierung verschrieben. Ihr Programm der Privatisierung hat in den meisten Fällen, das ihrer rechten Vorgänger übertroffen. Auch auf sozialer Ebene haben diese Parteien rechte Politik durchgesetzt und die Grundlage für das Wiedererstarken der extremen Rechten gelegt.
Dies hat in den meisten EU-Ländern Kräften links von der Sozialdemokratie neue Räume eröffnet — wenngleich auf verschiedene Weise. Wo KPs mit Massenbasis existierten, die auseinandergebrochen sind, haben ihre Reste oft eine wichtige Rolle bei neuen Entwicklungen gespielt.
Es entstanden unterschiedliche Formierungen wie Rifondazione Comunista in Italien, der Linksblock in Portugal [siehe SoZ 10/00], das Wahlbündnis aus LCR und LO in Frankreich [siehe SoZ 12/99], die Rot-Grüne Einheitsliste in Dänemark, die Antikapitalistische Linke in Griechenland, die Rote Wahlallianz (RV) in Norwegen und die Scottish Socialist Party. Bei einigen handelt es sich um neue Parteien, andere sind lockere Wahlbündnisse, und sie haben unterschiedliche Erfolge.
Die IV.Internationale betrachtet diesen Prozess der Umgruppierung als einen entscheidende politische Entwicklung für die Linke. Ihre Sektionen sind in allen genannten Formationen aktiv, und ihre Mitglieder nehmen eine Reihe bedeutender Positionen darin ein. Mitglieder der Internationale wurden in Dänemark und in Portugal ins Landesparlament und in Frankreich in das Europäische Parlament gewählt.
Der Aufbau solcher Bündnisse und neuer Parteien auf einer stabilen und langfristigen Basis ist allerdings politisch komplex. Unsere Fähigkeit, Projekte wie die LSA in England und Wales zu entwickeln, kann durch die Lehren aus anderen Teilen Europas nur gestärkt werden.
Wenn die extreme Linke in Großbritannien Bestandteil beim Aufbau einer seriösen neuen Partei links von Labour sein will, so muss sie sich ernsthaft mit ihrer eigenen Zersplitterung auseinandersetzen. Eine politische Alternative zum Stalinismus hat sich in Großbritannien etabliert, aber ihr Gesicht bestand aus einem dutzend oder mehr miteinander konkurrierenden Organisationen.
Zum Glück gibt es Anzeichen für einen Wandel. Die extreme Linke spricht miteinander und es gibt ein wachsendes Vertrauen. Die Zusammenarbeit beim Aufbau einer demokratischen und pluralistischen Alternative zu New Labour könnte Möglichkeiten für tiefer gehende Entwicklungen eröffnen.

Alan Thornett

Gekürzt aus: Socialist Outlook (London), Nr.35, Juni 2000.

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