Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 12.10.2000, Seite 16

Die Refeudalisierung der Ex-DDR

Im Osten verfügt der Hochadel über zunehmend mehr Besitz, Einfluss und politische Macht

Wer sich in den neuen Bundesländern umhört, spürt Wut und Ärger über die Nachfahren der stockreaktionären Feudalelite, die in nur zehn Wendejahren wichtige strategische Positionen zurückeroberten. Überall fallen Begriffe wie Refeudalisierung, Neokolonialismus, wird von Kritikern darauf verwiesen, dass eine ungerechte Boden- und Besitzverteilung schon einmal faschismusfördernd war. Politiker und die westlich dominierten Medien im Osten passen höllisch auf, dass sich der Unmut nicht öffentlich artikulieren kann.
Während der Feudalgesellschaft, hatte jeder Ossi in der Schule gelernt, war der Adel die herrschende, den größten Teil des Grund und Boden besitzende Klasse, genoss zahlreiche Privilegien, übte hohe und niedere Gerichtsbarkeit aus, zog aus hörigen Bauern und abhängigen Städten große Reichtümer. Königen und Kaisern auch in Kriegen stets zu Diensten, wurden Adlige mit riesigen Besitztümern belohnt, die man weitervererbte bis in unsere Tage.
Auch unter Adolf Hitler gehörten zahlreiche Blaublütige zur Führungselite von Staat und Partei, zu SS und Gestapo — im neuen Band Vernichtungskrieg — Verbrechen der Wehrmacht sehr gut nachzulesen. Nach 1945 behielt der Adel im Westen seine Positionen in Schlüsselbereichen — die Kritiker weisen auf Graf von Lambsdorf oder den mächtigen Flick- Manager von Brauchitsch, dessen Bruder jahrzehntelang in Hamburg die Nachrichtensendungen des Norddeutschen Rundfunks dirigierte.
Nach 1945 hieß es im Osten "Junkerland in Bauernhand" — seit der Wende, murren viele, läuft die Sache wieder genau umgekehrt und weisen besonders auf den bayrischen CSU-Politiker Franz Ludwig Graf von Stauffenberg. Mit dem muss sich Axel Vogel, ein anderer Bayer, neuerdings im Osten ebenso wie mit anderen wieder eingewanderten Grafen, Fürsten, Baronen und Freiherren befassen.
Vogel, Direktor der brandenburgischen Landesanstalt für Großschutzgebiete, bemerkte unter Ossis eine recht weit gehende "Adelsaversion" und nennt ein interessantes Detail der Wendezeit: Graf von Stauffenberg, vormals Chef des Waldbesitzerverbandes, habe sein Mandat als CSU-Europa-Abgeordneter niedergelegt, um bei der bundeseigenen Bodenverwertungs- und - verwaltungsgesellschaft (BVVG) den Chef-Verkäufer für die Ost-Wälder zu spielen.
Unschwer ist zu erraten, wer besonders reichlich mit urwüchsigen Forsten bedacht wurde. Allein im Naturpark "Uckermärkische Seen" gehen die Filetstücke, über zehntausend Hektar, an nicht weniger als zehn Vertreter des Hochadels, darunter Fürst zu Solms-Lich, Bruder des FDP-Schatzmeisters, Baron Ostmann von der Leihe, von Arnim und von Sayn-Wittgenstein.
In den anderen neuen Bundesländern — exakt die gleiche Situation. Überall regt sich Widerstand, spricht sich in Thüringen nach der Wende sogar der Landessportbund gegen die "privatrechtliche, auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Bewirtschaftung des Thüringer Waldes" aus. Ernst Pries, seinerzeit Templiner Kreistagsabgeordneter der Grünen und Mitglied des Naturschutzbundes NABU, wird zu einer Art Sprecher der ostdeutschen Privatisierungsgegner. In der DDR war er einer der angesehensten, unbequemsten Umweltexperten, die Stasi hat auf seine Frau und ihn an die dreißig IM angesetzt, entsprechend dick ist die Gauck-Akte.

"Die Beute des Kalten Krieges wird verteilt"

Pries nimmt bis heute kein Blatt vor den Mund. Die Einheit Deutschlands, argumentiert er, wird zu einem Bereicherungsfeldzug kapitalkräftiger westdeutscher Oberschichten missbraucht, "die Beute des Kalten Krieges wird verteilt. Eine nicht mehr zu kaschierende Habgier bringt die ohnehin Reichen um ihre politische Vernunft." Die Bodenreform von 1945 — 1949 habe historisch zufällig und viel zu spät den auf sozialem Unrecht basierenden Großgrundbesitz einer ausgedienten Herrschaftsschicht enteignet.
Jetzt geschehe in Ostdeutschland Bodenraub, würden die Grundrechte der Bürger grob verletzt, entstünden wieder neue Herren-Knecht-Verhältnisse. "Schon einmal war eine ungerechte Boden- und Besitzverteilung faschismusfördernd." Besonders werden ihm klare Worte zur Rückübertragung von Brandenburger Wald an frühere Großgrundbesitzer übelgenommen: "Dieser Besitz entstammt überholten feudalen Strukturen und widerspricht zutiefst unserem heutigen sozialen Rechtsempfinden. Er ist wie jede Besitzkonzentration antidemokratisch. Wer mehr Boden beansprucht als er zu seiner unmittelbaren Lebensgestaltung braucht, raubt ihn seinen Mitmenschen und deren Nachkommen."
In den Kolonien, so der populäre Bürgerrechtler und Umweltschützer, brachten die Kolonisatoren immer zuerst großflächig das Land juristisch in ihren Besitz. Über die Nachfahren von Gutsbesitzern urteilt Pries: "Ihre erbfähigen Kinder und Enkel erscheinen oft selbstherrlicher, man spürt dann schon die geschichtslose Halbbildung typischer Manager."
Pries und andere Naturschutzaktivisten Brandenburgs sind besonders aufgebracht darüber, dass die geplante Ausweisung von Totalreservaten verhindert wurde, indem die Treuhand die naturschutzfachlich besten und daher vom Westadel am meisten begehrten Flächen im Eiltempo verhökerte.
Indessen — Proteste gegen die Privatisierung fruchteten nicht. Das wird von den Kritikern auch darauf zurückgeführt, dass entscheidende Positionen der ministeriellen Verwaltung in den neuen Bundesländern mit Westdeutschen besetzt seien. Ein Insider aus Manfred Stolpes brandenburgischer SPD zum telegraph: "Der Hochadel des Landes hat inzwischen seine Leute in der Justiz — sogar Richter gehören zum Klüngel, vertreten die Privatinteressen der Blaublütigen. Auf Bürger, die gegen Adlige Anzeige erstatten wollen, wird Druck ausgeübt."
Dass in Brandenburg und Berlin zwar Mittel für Bildung und Kultur fehlen, das Schulniveau wie beabsichtigt rapide sinkt, Theater und Orchester geschlossen werden, andererseits Stimmung für den aufwendigen Wiederaufbau unnötiger Feudalschlösser gemacht wird, führen Kritiker auch auf den wachsenden Einfluss des Hochadels im Osten zurück.

Kohl, Schäuble, Waigel — "diese Schweine"

Kurios läuft es weiter nördlich. Große Teile der nordvorpommerschen Waldlandschaft sind vor der Wende gut abgeschirmte Staatsjagden, damit als Nebeneffekt exzellente Naturschutzgebiete. Ehrenamtliche Greifvogelexperten wie Ingenieur Joachim Matthes aus Rostock schleichen sich "wie die Partisanen" hinein, um die raren Schreiadler zu beobachten, streiten sogar mit Politbüro-Jägern und ihren Bewachern herum.
"Manchmal haben sie uns mit vorgehaltener Waffe wieder rausgescheucht." Doch nun sind Graf von Finkenstein und Freiherr von Massenbach die neuen Besitzer der hochwichtigen Biotope. Graf und Freiherr lassen die früher urwüchsigen Wälder "in wessischer Manier aufräumen, in Ordnung bringen. Für den Schreiadler ist dann absolut Sendepause, der verliert den Sichtschutz, geht weg." Von Finkenstein wird 1945 enteignet, wechselt nach drüben. Bei der Rückkehr bemerkt er den enormen Artenreichtum durchaus — der Bestand an Wildtieren sei zigmal höher als im Bayrischen Wald. Das sei alles viel zu viel. Doch jetzt wird ordnungsgemäße Forstwirtschaft eingeführt.
Streit gab es jüngst, weil PDS-Umweltminister Wolfgang Methling auf Forderung der regionalen Umweltverbände just die nordvorpommersche Waldlandschaft zum Flora-Fauna-Habitat erklären, als sogenanntes FFH-Gebiet nach Brüssel melden wollte. Herbe Nutzungseinschränkungen zugunsten der Natur will Graf von Finkenstein natürlich nicht und droht mit einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht. Das wirkt — Minister Methling wird im Kabinett überstimmt, für hohe Schadenersatzsummen an die Blaublütigen wäre kein Geld in der knappen Landeskasse.
Graf von Finkenstein ist nicht glücklich darüber, dass nach der Wende Ansprüche von "Alteigentümern" wie ihm auf früheren Besitz nicht galten. Kohl, Schäuble und Waigel wirft er in diesem Zusammenhang "Propaganda" vor, wird gegenüber dem telegraph plötzlich heftig. "Diese Schweine" bricht es aus ihm heraus, er meint die genannten drei Politiker.
Nachbar von Massenbach findet: "Der Naturschutzbund und wie die so alle heißen, wollen unsere Wälder nässer haben, damit also irgendwelche Frösche da sind, Schreiadler, Schwarzstorch und ich weiß nicht was." Wie sein Arealnachbar sieht er Widerstände, Quertreiber selbst in den Forst- und Jagdbehörden — oft habe man dort kein Verhältnis zu den Kosten.
"Die haben halt nicht verinnerlicht, dass das bei uns nach westlichen Kriterien ein bisschen anders geht. Man muss den Leuten alles langsam beibringen." In Meyers Konversationslexikon wird ein Christian von Massenbach als preußischer Oberst genannt, der am Krieg gegen Frankreich teilgenommen habe. "1806 rieth er seinem König dringend eine Allianz mit Frankreich und mit diesem Krieg gegen Rußland an." Vom König habe er ein Landgut bekommen.
Der Freiherr von heute ist zufrieden, dass PDS- und SPD-Minister in Schwerin sich besannen. Doch Leute wie Schreiadlerexperte Matthes können nur Rückschritt erkennen. Die Zuständigen, meint er, knicken heutzutage sofort vor den Blaublütigen ein — egal ob Landwirtschaftsminister oder gar PDS-Mann Methling. "Der muss ja auch in der ganzen Soße mitschwimmen. Die Verhältnisse sind halt so."
Umweltbeamte Mecklenburg-Vorpommerns zum telegraph: "Blaublütige verschlechtern nachweislich die Waldbiotope, beuten die Natur rücksichtslos aus". Als Paradebeispiel dafür wird Freiherr von Massenbach genannt. Der NABU protestiert gegen die "neuen Herrscher im Adlerwald", vom Umweltministerium wird bestätigt, dass sie massiv gegen Naturschutzgesetze verstoßen.
Doch Minister Methling, übervorsichtig wie immer, wiegelt erst mal ab, um nicht in den Ruch der "Adelsaversion" oder gar des unbelehrbaren Klassenkämpfers zu kommen. Er kenne viele, die sich außerordentlich positiv für Natur und Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern engagierten, zum Beispiel den adligen Öko-Bauern von Bassewitz. Alle Blaublütigen sozusagen potenzielle Naturschänder — nein, das gehe auf keinen Fall. Aber jene Probleme da in den Schreiadlerwäldern, "die existieren — da haben die Naturschützer und ihre Verbände Recht".

"Die haben ja eh‘ das Sagen"

Fürst zu Solms-Lich, der Bruder des FDP-Schatzmeisters, müsste seine Wälder normalerweise wieder abgeben, meint jetzt der Leiter des Naturparks "Uckermärkische Seen", Roland Resch, Ex-Bildungsminister von Brandenburg. Im Brandenburgischen hat Fürst zu Solms-Lich nach der Wende günstig weit über zweitausend Hektar gekauft und lässt im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin nun zügig abholzen und aufräumen. Nur — höherenorts traue sich niemand an das heikle Thema, meint Resch. Er kommt auf diese Idee nicht zufällig — ungezählte Berliner und Brandenburger, die um die Zustände wissen, fordern seit langem die Wälderrückgabe.
Schließlich hatte die Treuhand dem hessischen Adligen die Flächen bei der allerersten regionalen Privatisierungsaktion zugeschanzt — gegen die Forstleute und Naturschützer heftig protestierten, sogar auf der Straße — und mit ihren Argumenten völlig richtig lagen. Unter den betroffenen Brandenburgern macht Resch heute Resignation aus: "Was sollen wir dagegen machen, die haben ja eh das Sagen", sei zu hören. Anfang Februar lobt der Fürst erneut seine Holzfirma für die ordentliche Arbeit. Naturschützer haben eine enge Perspektive, aus unserer Sicht lächerlich, sagt er. Den Streit um seine Wälder wolle man als Ost- West-Problem hinstellen. "Was es natürlich nicht ist."
Christoph von Bredow, Ex-CDU-Abgeordneter aus Niedersachsen, der im Naturpark Westhavelland dreihundert Hektar besitzt, wird womöglich genauso argumentieren, im Gegensatz zu den Anwohnern, Naturfreunden der Region. Im Mai lässt er durch finnische Waldarbeiter mitten in der Brutzeit eine große geschützte Graureiherkolonie total verwüsten. Die Horstbäume werden einfach gefällt, viele Eier, mindestens zwanzig Jungvögel stürzen gemäß den Ermittlungen herunter, die Tiere verenden grausam.
"Wieder macht ein Adliger in westlicher Großgrundbesitzermanier hier in der Ost-Natur Tabula rasa, als wäre es Kolonialgebiet", sagen Leute im Westhavelland, aber auch in Umweltbehörden sieht man es so. Selbst die Regionalzeitung spricht von "Skandal", von Brandenburgs SPD-Umwelt- und Landwirtschaftsminister Wolfgang Birthler wird eine energische Reaktion erwartet. Doch der verzichtet bezeichnenderweise sogar auf eine Presseerklärung. Ostdeutsche Umweltexperten äußern sich zunehmend empört darüber, dass West-Adlige "geradezu frech" Naturschutz verhindern wollen.
Nach der Wende hat sich auch in Sachen öffentliche Sicherheit in Potsdam manches spürbar verändert. Verantwortlich dafür ist als Polizeipräsident ein Adliger, Graf Detlef von Schwerin, der im Naturpark "Uckermärkische Seen" südlich Fürstenwerder Flächen auch in einem Naturschutzgebiet besitzt. "Darin begann er 1994/95 alten Buchenwald abzuholzen", erinnert sich Brandenburgs Grüne-Liga-Vorstandsmitglied Norbert Wilke.
In der weitverzweigten Adelsfamilie des Grafen von Schwerin finden sich mehrere hohe Militärs: Kurt Christoph Graf von Schwerin, steht in Lexika, war preußischer Generalfeldmarschall, trat in die Dienste des Königs Friedrich Wilhelm I. "In Friedrichs Eroberungspläne eingeweiht, erhielt S. ein Kommando bei den zum Einfall in Schlesien bei Krossen zusammengezogenen Truppen … nahm Liegnitz, Jauer und Schweidnitz … drang in Mähren, später in Böhmen ein." Friedrich II. habe ihm eine Statue auf dem Wilhelmsplatz in Berlin errichten lassen.
Im Faschismus war ein Graf von Schwerin danach Oberstleutnant im Oberkommando der Wehrmacht, ein anderer Panzergeneral. Dieser wurde Sicherheitsberater Konrad Adenauers, kooperierte daher zwangsläufig mit dessen Kanzleramts- Staatssekretär Dr. Hans Maria Globke. Dieser, man erinnert sich, hatte die nazistischen Rassengesetze mitausgearbeitet. Globke stand auf der alliierten Liste der Hauptkriegsverbrecher, wurde indessen laut Spiegel der mit "Abstand einflussreichste und mächtigste Mann in Bonn nach dem Kanzler".

Prinz Ernst Augusts Ost-Schlösser

"Die Werbewirtschaft hat die Zugkraft deutscher Adelshäuser, die Geschichte und Glaubwürdigkeit repräsentieren, einfach noch nicht erkannt", sagt Eduard Prinz von Anhalt, TV-Kommentator bei Königshochzeiten, dem Spiegel — nicht wenige Blaublütige werben indessen bereits kräftig, die neue Hauptstadt gibt dem Hochadel beste Chancen zur Selbstdarstellung.
Die Super Illu mag natürlich, wie der 46-jährige Welfen-Prinz Ernst August, Ehemann der Monegassen-Prinzessin Caroline, um die "Rückgabe" großväterlichen Erbes im Osten auf dem Klagewege "kämpft": Rund zehntausend Hektar in Harz und Magdeburger Börde mit Gutshöfen, zwei Schlössern, einem Kloster und einem Rittergut.
"Sie könnten so viel Glanz und Wirtschaftskraft in den Harz bringen", titelt die Ost- Illustrierte. Ein tausend Hektar großes Jagdrevier bei Altenbrak südlich Blankenburg hat die Treuhand dem Prinzen bereits verkauft. Die Provinzpresse schrieb begeistert, wie Prinzessin Caroline dort letztes Jahr im Jagddress, angeleitet von Welfen-Forstmeister Freiherr Ludolf von Oldershausen, ein Ost-Reh tot schoss. Kommentar überflüssig.

Klaus Hart

Entnommen aus "telegraph", Nr.101, Webseite: www.schliemann.com/telegraph.

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


zum Anfang