Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 1

Israel provoziert den Heiligen Krieg

US-Präsident Clinton ist diese Woche arg ins Schwitzen gekommen, und wenn sein Mandat demnächst erlischt, wird er bis zum letzten Moment hart gearbeitet haben. Tatsächlich entfernt sich die Lage im Nahen Osten zusehends von den Szenarien des Weißen Hauses, schlägt möglicherweise gar in ihr Gegenteil um.
Was mit einer medial gepuschten Provokation Ariel Sharons auf der Straße der Moscheen in Jerusalem begonnen hat, droht in eine allgemeine Destabilisierung der arabischen Welt zu münden. Es ist Schluss mit den medienwirksamen Gipfeltreffen, auf denen sich Clinton zusammen mit den momentan "Versöhnten" fotografieren ließ, wo man über Prozente von Territorien, die Freilassung von Gefangenen und geteilte Souveränität diskutierte.
Seit dem 1.10. ist die Stabilität der neuen US-amerikanischen Ordnung in Frage gestellt: hunderttausende sind auf der Straße, die Truppenbewegungen werden verstärkt. Der Gipfel von Scharm-el-Scheich musste deswegen zu einer Vereinbarung führen. Weder Ehud Barak noch Yassir Arafat konnten das verhindern. Aber Arafat musste die Kosten übernehmen. Es ist leichter, dem Schwächeren zu drohen, als gegen die wirklichen Kriegstreiber vorzugehen.
Die verschiedenen israelischen Regierungen haben sich immer geweigert zu verstehen, dass der israelisch-palästinensische Dialog, der in Oslo beschlossen wurde und den Spitzenpolitikern in Tel Aviv wegen des ungleichen Kräfteverhältnisses so attraktiv erschien, auf falschen Voraussetzungen beruht. Vom israelisch-palästinensischen Frieden aber hängt die Stabilität im "neuen Nahen Osten" ab.
Die Demonstrationen von Beirut über Rabat bis hin zu denen in den imperialistischen Metropolen kommen einem Erdbeben gleich — nicht nur für den ägyptischen Präsidenten oder für den König von Jordanien, sondern auch für die wirklichen Herren der "neuen Weltordnung". Die Konfrontationen mussten deshalb beendet und der Eindruck erweckt werden, dass man wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Das hat Clinton auf dem Gipfel in Scharm-el-Scheich, dank der wirksamen Mithilfe von Ägypten und Jordanien, geleistet.
Die beide Parteien haben sich auf einen Waffenstillstand geeinigt, doch es wurde eine falsche Symmetrie zwischen dem Aggressor und den Angegriffenen geschaffen. Ein Geheimdokument bestimmt die konkreten Schritte der Rückkehr zur Ordnung, dabei übernimmt der CIA die Rolle der — natürlich "neutralen" — Kontrollinstanz. An Stelle der von den Palästinensern geforderten internationalen Untersuchungskommission (hierin wurden sie vom französischen Präsidenten Chirac unterstützt) werden die USA eine — natürlich ebenfalls "neutrale" — Untersuchung vorlegen. Das Ergebnis wird — dies ist eine Konzession an die palästinensische Seite — zu gegebener Zeit dem Generalsekretär der UNO vorgelegt werden.
Die USA geben sich zwei Wochen, um die Chancen für eine Wiederaufnahme der israelisch- palästinensischen Verhandlungen zu prüfen. Im Klartext: Das Weiße Haus hofft entscheiden zu können, was zu tun ist, wenn Al Gore und Hillary Clinton einmal gewählt sind. Um dem Kandidaten und der Kandidatin bestmögliche Chancen zu verschaffen, muss der Eindruck erweckt werden, dass der Friedensprozess made in USA nicht tot und begraben ist — ohne die starke pro-israelische Lobby vor den Kopf zu stoßen.
In der Zwischenzeit fließt weiter Blut in der Westbank und in Gaza. Die Aktionen der israelischen Armee werden mehr und mehr durch die der Siedler ergänzt, die täglich Tod und Zerstörung sähen. Die israelische und die internationale Presse versuchen das herunterzuspielen.
Doch selbst wenn die israelische Armee den Befehl erhält, sich zu mäßigen, und die Fatah bzw. die bewaffneten palästinensischen Kräfte die Anweisung, das Feuer einzustellen, können die Spannungen zwischen Siedlern und Palästinensern nicht erstickt werden. Der angestaute Hass hat sich noch gesteigert, und es ist ausgeschlossen, zum Zustand vor dem 1.Oktober zurückzukehren.
Es zeichnet sich eine "Bosnisierung" des Konflikts ab, der Rückgang der israelischen Friedensbewegung beweist das. Deren Zurückweichen hat die palästinensische Linke in die Defensive gedrängt; die Parolen und Banner der Islamisten beherrschen die Szene. Auch in dieser Hinsicht beweisen Barak und den Seinen eine verbrecherische Kurzsichtigkeit.
Indem sie verkünden, Yassir Arafat sei kein Partner mehr, machen sie den Weg frei für die einzig mögliche Alternative: für den Religionskrieg einer islamistischen Bewegung, der weit über die Grenzen Palästinas hinausreichen würde. Wenn der israelischen Regierung und der israelischen Gesellschaft nicht bald bewusst wird, dass sie es heute mit dem Unabhängigkeitskrieg einer nationalen Befreiungsbewegung zu tun haben, werden sie es bald mit einem weltweiten Kreuzzug für die Befreiung Jerusalems von den "Ungläubigen" zu tun haben, dessen Ziele weit über die jüdischen Siedlungen im Westjordanland und im Gaza-Streifen hinausgehen.
Statt Öl ins Feuer zu gießen und fröhlich die Verbrechen der israelischen Machthaber zu unterstützen, hätten die Häupter der jüdischen Gemeinden alles Interesse daran, Barak zur Vernunft zu bringen. Bevor es zu spät ist…

Michael Warschawski (Jerusalem)

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