Sozialistische Zeitung |
US-Präsident Clinton ist diese Woche arg ins Schwitzen gekommen, und wenn sein Mandat demnächst erlischt,
wird er bis zum letzten Moment hart gearbeitet haben. Tatsächlich entfernt sich die Lage im Nahen Osten zusehends von den Szenarien des
Weißen Hauses, schlägt möglicherweise gar in ihr Gegenteil um.
Was mit einer medial gepuschten Provokation Ariel Sharons auf der Straße der Moscheen in
Jerusalem begonnen hat, droht in eine allgemeine Destabilisierung der arabischen Welt zu münden. Es ist Schluss mit den medienwirksamen
Gipfeltreffen, auf denen sich Clinton zusammen mit den momentan "Versöhnten" fotografieren ließ, wo man über Prozente von
Territorien, die Freilassung von Gefangenen und geteilte Souveränität diskutierte.
Seit dem 1.10. ist die Stabilität der neuen US-amerikanischen Ordnung in Frage gestellt:
hunderttausende sind auf der Straße, die Truppenbewegungen werden verstärkt. Der Gipfel von Scharm-el-Scheich musste deswegen zu einer
Vereinbarung führen. Weder Ehud Barak noch Yassir Arafat konnten das verhindern. Aber Arafat musste die Kosten übernehmen. Es ist leichter,
dem Schwächeren zu drohen, als gegen die wirklichen Kriegstreiber vorzugehen.
Die verschiedenen israelischen Regierungen haben sich immer geweigert zu verstehen, dass der
israelisch-palästinensische Dialog, der in Oslo beschlossen wurde und den Spitzenpolitikern in Tel Aviv wegen des ungleichen
Kräfteverhältnisses so attraktiv erschien, auf falschen Voraussetzungen beruht. Vom israelisch-palästinensischen Frieden aber
hängt die Stabilität im "neuen Nahen Osten" ab.
Die Demonstrationen von Beirut über Rabat bis hin zu denen in den imperialistischen
Metropolen kommen einem Erdbeben gleich nicht nur für den ägyptischen Präsidenten oder für den König von
Jordanien, sondern auch für die wirklichen Herren der "neuen Weltordnung". Die Konfrontationen mussten deshalb beendet und der
Eindruck erweckt werden, dass man wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Das hat Clinton auf dem Gipfel in Scharm-el-Scheich, dank der
wirksamen Mithilfe von Ägypten und Jordanien, geleistet.
Die beide Parteien haben sich auf einen Waffenstillstand geeinigt, doch es wurde eine falsche
Symmetrie zwischen dem Aggressor und den Angegriffenen geschaffen. Ein Geheimdokument bestimmt die konkreten Schritte der Rückkehr zur
Ordnung, dabei übernimmt der CIA die Rolle der natürlich "neutralen" Kontrollinstanz. An Stelle der von den
Palästinensern geforderten internationalen Untersuchungskommission (hierin wurden sie vom französischen Präsidenten Chirac
unterstützt) werden die USA eine natürlich ebenfalls "neutrale" Untersuchung vorlegen. Das Ergebnis wird
dies ist eine Konzession an die palästinensische Seite zu gegebener Zeit dem Generalsekretär der UNO vorgelegt werden.
Die USA geben sich zwei Wochen, um die Chancen für eine Wiederaufnahme der israelisch-
palästinensischen Verhandlungen zu prüfen. Im Klartext: Das Weiße Haus hofft entscheiden zu können, was zu tun ist, wenn Al
Gore und Hillary Clinton einmal gewählt sind. Um dem Kandidaten und der Kandidatin bestmögliche Chancen zu verschaffen, muss der Eindruck
erweckt werden, dass der Friedensprozess made in USA nicht tot und begraben ist ohne die starke pro-israelische Lobby vor den Kopf zu
stoßen.
In der Zwischenzeit fließt weiter Blut in der Westbank und in Gaza. Die Aktionen der
israelischen Armee werden mehr und mehr durch die der Siedler ergänzt, die täglich Tod und Zerstörung sähen. Die israelische und
die internationale Presse versuchen das herunterzuspielen.
Doch selbst wenn die israelische Armee den Befehl erhält, sich zu mäßigen, und die
Fatah bzw. die bewaffneten palästinensischen Kräfte die Anweisung, das Feuer einzustellen, können die Spannungen zwischen Siedlern
und Palästinensern nicht erstickt werden. Der angestaute Hass hat sich noch gesteigert, und es ist ausgeschlossen, zum Zustand vor dem 1.Oktober
zurückzukehren.
Es zeichnet sich eine "Bosnisierung" des Konflikts ab, der Rückgang der
israelischen Friedensbewegung beweist das. Deren Zurückweichen hat die palästinensische Linke in die Defensive gedrängt; die Parolen
und Banner der Islamisten beherrschen die Szene. Auch in dieser Hinsicht beweisen Barak und den Seinen eine verbrecherische Kurzsichtigkeit.
Indem sie verkünden, Yassir Arafat sei kein Partner mehr, machen sie den Weg frei für die
einzig mögliche Alternative: für den Religionskrieg einer islamistischen Bewegung, der weit über die Grenzen Palästinas
hinausreichen würde. Wenn der israelischen Regierung und der israelischen Gesellschaft nicht bald bewusst wird, dass sie es heute mit dem
Unabhängigkeitskrieg einer nationalen Befreiungsbewegung zu tun haben, werden sie es bald mit einem weltweiten Kreuzzug für die Befreiung
Jerusalems von den "Ungläubigen" zu tun haben, dessen Ziele weit über die jüdischen Siedlungen im Westjordanland und im
Gaza-Streifen hinausgehen.
Statt Öl ins Feuer zu gießen und fröhlich die Verbrechen der israelischen
Machthaber zu unterstützen, hätten die Häupter der jüdischen Gemeinden alles Interesse daran, Barak zur Vernunft zu bringen.
Bevor es zu spät ist…
Michael Warschawski (Jerusalem)
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