Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 2

Parteiausschluss bei den Grünen

Bald nur noch zu fünft?

Die grüne Abgeordnete im Europaparlament Ilka Schröder steht möglicherweise vor dem Ausschluss aus ihrer Partei. Derzeit wird ein Parteiausschlussverfahren gegen die mit 22 Jahren jüngste Abgeordnete im Europaparlament angestrebt. Auslöser war der Parteiaustritt ihres Fraktionskollegen Ozan Ceyhun, der am 17.Oktober zur sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament wechselte.
Schröder wird ein maßgeblicher Anteil an Ceyhuns Parteiaustritt vorgeworfen. Die Parteilinke begrüßte die Entscheidung Ceyhuns als "humanitäre Aktion" und erklärte: "Zusammen mit dem alten und neuen Parteifreund Otto Schily kann Ozan Ceyhun sich jetzt ungestörter seinem wichtigsten Projekt widmen: Dem Ausbau der Festung Europa."
Schröder hatte den als Realo geltenden Ceyhun nach dem Unglück von Dover, bei dem 58 Flüchtlinge bei dem Versuch illegal einzureisen starben, massiv angegriffen und ihm vorgeworfen, er steche "den toten Flüchtlingen noch ein Messer in den Rücken".
Ceyhun, der in der grünen Fraktion für Migrations- und Asylpolitik zuständig war, hatte sich zuvor für "härtere polizeiliche Maßnahmen gegen Menschenschmuggler" ausgesprochen.
Parteisprecherin Renate Künast kritisierte Schröder für ihr Verhalten: "Das sind nicht die Umgangsformen unter Grünen". Der hessische Landesverband der Grünen forderte eine Entschuldigung Schröders, die diese mit den Worten ablehnte, Ceyhun müsse sich zuerst entschuldigen, da er den "Polizeistaat EU fördern" wolle.
Der Landessprecher der hessischen Grünen, Kleinert, gab Schröder daraufhin bis zum 8.August Zeit, um eine Entschuldigung nachzureichen, sonst werde der Landesverband einen Parteiauschluss beantragen.
Schröder sorgte in ihrer Partei schon früher für Aufruhr und Forderungen nach einem Parteiauschluss. Sie sei ein "Kind, dass von praktischer Politik nichts verstehe", ließ der Parteivorstand über Schröder verlauten; führende Grüne bezeichneten ihre Forderungen als "dümmlich" und "völlig durchgeknallt".
Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hatte Schröder aufgerufen, die grüne "Kriegstreiberpartei" nicht zu wählen. Angesichts des Konzepts der grünen Bundestagsfraktion zur Umstrukturierung der Bundeswehr rief sie doch wieder zur Wahl der Grünen auf: "Wer sicherstellen will, dass Deutschland weiterhin Kriege führen kann, sollte 2002 unbedingt die Grünen wählen."
Mit ihrer Forderung, die Schleuserbranche zu subventionieren anstatt die EU-Ostgrenzen abzuschotten, brachte die Studentin der Wirtschaftswissenschaften die Grünen-Spitze engültig gegen sich auf. "Für viele ist die Nutzung der Fluchthelferdienstleistung die einzige Möglichkeit nach Europa zu kommen", argumentierte sie damals in ihrem Mitteilungsblatt Denkpause.
Ceyhun gab nach seinem Parteiaustritt an, er fühlte sich von seinen Parteifreunden im Stich gelassen und erklärte, "froh" gewesen zu sein, wenn er "nicht an Fraktionssitzungen teilnehmen musste". Die grüne Fraktion verhindere permanent, dass er sich für die Inhalte einsetze, für die er gewählt worden sei, so der Ex-Grüne.
Die Grünen im Europaparlament bezeichneten den Wechsel Ceyhuns zur SPD als "unverständlichen Schritt". Daniel Cohn-Bendit kritisierte insbesondere, dass Ceyhun sein Mandat behielt. Die grüne Fraktion hatte sieben deutsche Mitglieder, wenn Schröder wirklich ausgeschlossen wird, wären die deutschen Grünen bald nur zu fünft.
"Grüne Fundi drängt Realo zur SPD" betitelte die Westfälische Rundschau ihre Meldung zum Wechsel Ceyhuns. Mehr noch als Schröders Angriffe wird mangelnde Rückendeckung durch Ober-Realo Daniel Cohn-Bendit der Grund für Ceyhuns Austritt gewesen sein. Ceyhun über sein Verhältnis zu Cohn-Bendit: "Es ist uns menschlich nicht gelungen, gut zusammenzuarbeiten — obwohl wir doch die Türkeipolitik in unserer Fraktion gemeinsam gestalten sollten."

Patrick Hagen

Mehr über Ilka Schröder unter www.ilka.org.

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