Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 26.10.2000, Seite 16

Waldorfpädagogik

Ein Stich ins Wespennest

Guido und Michael Grandt, Waldorf Connection. Rudolf Steiner und die Anthroposophen, Aschaffenburg (Alibri) 1999.

Mit ihrem Schwarzbuch Anthroposophie hatten Guido und Michael Grandt wenig Glück: Das Schwarzbuch wurde von den Anthroposophen vom Markt geklagt. Zwei Jahre nach dem Erscheinen des Schwarzbuchs legten die beiden Autoren 1999 mit Waldorf Connection. Rudolf Steiner und die Anthroposophen ein weiteres Buch vor, in dem sie von den juristischen Auseinandersetzungen berichteten und sich nicht zuletzt mit der Waldorfpädagogik und der Weltanschauung von deren Erfinder Rudolf Steiner beschäftigen.

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Auch die offizielle Pädagogik der Waldorfschulen habe sich keineswegs von diesem Teil der Lehre distanziert, so die Autoren. Erschreckend ist vielmehr, mit welcher Vehemenz sie auf der "reinen" Lehre der Anthroposophie beharren. Den Autoren gelingt es nachzuweisen, dass die Waldorfpädagogik neben ihrem Ruf als Förderin von Kreativität und Selbstwertgefühl eine dunkle Seite hat, die nicht vereinbar ist mit einer offenen Auseinandersetzung mit der Welt, sondern die Kinder und Jugendliche mit obskuren Vorstellungen konfrontiert, sich pseudowissenschaftlicher Methoden bedient, um zweifelhafte Aussagen als wahr hinzustellen und damit jungen Menschen die Möglichkeit der Nachprüfbarkeit nimmt.

Kritikerjagd

Die Jagd auf Kritiker von Seiten der Anthroposophen mutet stellenweise schon recht abenteuerlich an. Jeder Versuch einer Kritik an der Anthroposophie soll anscheinend schon im Keim erstickt und mit allen Mitteln unterdrückt werden. Die Autoren schildern dezidiert und sachlich die Auseinandersetzung mit den einzelnen Institutionen und anthroposophischen Einrichtungen.
Da geht es nicht nur um das Schwarzbuch Anthroposophie, sondern auch um einen Filmbericht über die Waldorfschule Schloss Hamborn, um Zeitungsartikel, um Leserbriefe und Stellungnahmen. Und immer wieder wird mit juristischen Mitteln versucht, eine öffentliche Diskussion zu verhindern. Das liest sich wie ein nicht endenwollender "Krieg der Anwälte". Deutlich wird dabei, dass es von Seiten der Anhänger Steiners nicht um eine ernsthaft geführte Argumentation geht.
Der Bund der Freien Waldorfschulen fürchtet eine kritische Diskussion wie der Teufel das Weihwasser. Den Kampf um öffentliche Gelder für ihre Schulen kann das "Gerede" um die ganz und gar nicht zeitgemäße Lehre Steiners empfindlich stören. Gleichzeitig zeigt aber das Presseecho, dass die Waldorfschulen in der Öffentlichkeit über eine hohe Akzeptanz verfügen und die Presse sich immer noch mehrheitlich auf die Seite der Anthroposophen schlägt.
Insgesamt wird von Seiten der Presse wenig Interesse gezeigt, konkret auf Vorwürfe einzugehen, vielmehr geht die Presse häufig journalistisch unsauber und wenig verantwortungsvoll mit dem Thema um, obwohl doch gerade die Öffentlichkeit ein Recht darauf hätte zu erfahren, ob und wie in den Waldorfschulen die Weltanschauungslehre Steiners, sein Okkultismus und seine rassistischen Aussagen Eingang finden.
Erstaunlich ist auch die "Toleranz" vieler Journalisten gegenüber dem Rassismus Steiners, der dann schnell als "typisch" für das ausgehende 19.Jahrhundert dargestellt und aus dem Dunstkreis seiner Zeit erklärt wird. Auch die taz macht da übrigens keine Ausnahme.
Zu den kritischen Stimmen zählte bspw. die Zeitung des AStA der Universität Köln, Rückmeldung, die ganz gezielt die "Idylle der Anthroposophen" stören wollte: "Rudolf Steiner war ein bekennender Antisemit, Rassist, Deutschnationaler und okkultistischer Spinner."
Der Versuch, jede Kritik schon im Vorfeld zu unterbinden, entbehrt aber auch nicht komischer Züge, wenn die Autoren eine öffentlichen Veranstaltung der Waldorfschule Balingen besuchen. Sie werden zuerst hereingelassen, sollen dann aber mit den Mitteln des Hausrechts an einer weiteren Teilnahme gehindert werden, obwohl "jeder herzlich eingeladen" war.
In einem sehr heftig ausgetragenen Disput wurden sie aufgefordert, die Versammlung zu verlassen, andernfalls wäre das "Hausfriedensbruch". Dazu sind die beiden aber nicht bereit und bitten darum, doch die Polizei zu holen, um den vermeintlichen Hausfriedensbruch juristisch nachzuweisen. Aber davor schreckt die Schulleitung denn doch zurück, sie befürchtet einen Skandal. Und so "dürfen" sie bleiben.

Licht ins Dunkel

War Rudolf Steiner selbst ein Okkultist, war er in Logen und Geheimbünden organisiert und ein "Meister" und "Eingeweihter"? Durch zahlreiche Zitate — auch von Steiner selbst —, weisen Guido und Michael Grandt nach, dass Steiner dem OTO, dem Ordo Templi Orientis, einer Weiterführung des Templerordens aus der Zeit der Kreuzzüge, angehörte und zwar sehr aktiv und an führender Stelle.
Okkultismus und Esoterik sollen den anthroposophischen Mitgliedern weltanschauliche Orientierung geben und sich gleichzeitig von den Lehren der christlichen Kirchen abgrenzen. Wie die Autoren nachweisen, wirkt Steiners Geistes- und Geheimwissenschaft als neues Okkultsystem bis heute in den verschiedenen anthroposophischen Einrichtungen nach.
Sie haben Indizien dafür gefunden, dass die Kontakte zum OTO und zu anderen Vereinigungen Inhalte wie die "Vergöttlichung" des Menschen, mystische Verwandlungen, das "Loslösen" des Menschen aus gewohnten Bahnen und eine bewusst in Kauf genommene Entfremdung der Persönlichkeit Elemente sind, die in seine anthroposophische Lehre miteingeflossen sind.
Zu Recht fürchten die Anthroposophen eine öffentliche Diskussion um diese Seite der Weltanschauung Steiners. Mit rhetorischen Tricks wurden beispielsweise von Dr.Kugler von der "Rudolf Steiner Nachlassverwaltung" Aussagen "widerlegt", Daten verfälscht und Äußerungen zurückgewiesen, die so gar nicht gemacht wurden, um der Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen. Dank der sehr gründlichen Recherche der Grandts gelingt dies zum Glück nicht.
Wenn Rudolf Steiner, der Begründer der Waldorfpädagogik, einen "neuen" modernen westlichen, christlich-rosenkreuzerischen Okkultismus vertrat und die Esoterik ganz in das öffentliche Leben hineinstellen wollte und sich selber als okkulten "Eingeweihten" sah, der mit einer "übersinnlichen, geistigen Welt" Kontakt hat, dann ist es folgerichtig, dass solche weltanschaulichen Vorstellungen sich auch in seiner Anthroposophie als "Geistes- (und Geheim-)Wissenschaft" wiederfinden.
In seiner Broschüre "Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft" erläutert er, wie das Kind gemäß kosmischen Gesetzen und Kräften, "die objektiv in dieser Zeit in ihm wirken", zu erziehen ist. In diesem abstrusen Sinne werden Kinder in den Waldorfschulen noch heute erzogen, werden mit "Wahrheiten" konfrontiert, die nicht nachprüfbar sind und damit auch nicht nachvollziehbar.
Die Schülerinnen und Schüler von heute müssen sich als Erwachsene von morgen mit gesellschaftlichen Realitäten auseinandersetzen, auf die sie mit einer weltfremden Lehre von der "Wirklichkeit übersinnlicher Welten", von Mond- und Feuergeistern, Eimenschen und Weisheitswesen nicht vorbereitet werden. Außerdem haben Kinder und Jugendliche ein Anrecht darauf, mit ganz unterschiedlichen und auch gegensätzlichen Meinungen konfrontiert zu werden. Da genügt eben nicht die eine Klassenlehrerautorität als unangefochtene Leitfigur über viele Jahre.
Ein besonders übles Kapitel in der Lehre Steiners ist sein Rassismus. Im Buch sind die wichtigsten Aussagen — im Text grafisch hervorgehoben — zusammengetragen und geben einen guten Überblick über die menschenfeindlichen Positionen Steiners. Zum Beispiel dieses Zitat: "Wir haben in der amerikanischen Rasse eine primitive Urbevölkerung vor uns, die weit, weit zurückgeblieben ist, auch in Bezug auf religiöse Weltanschauung."
Oder dieses: "...wir geben diese Negerromane den schwangeren Frauen zu lesen, da braucht gar nicht dafür gesorgt werden, dass Neger nach Europa kommen, damit Mulatten entstehen; da entsteht durch rein geistiges Lesen von Negerromanen eine ganze Anzahl von Kindern in Europa, die ganz grau sind, Mulattenhaare haben, die mulattenähnlich aussehen."
Das folgende Zitat lässt uns erschauern, erinnert es uns doch an die Rassenpolitik und ihre Folgen im Nationalsozialismus: "Die Menschen würden ja, wenn die Blauäugigen und Blondhaarigen aussterben, immer dümmer werden, wenn sie nicht zu einer Art Gescheitheit kommen würden, die unabhängig ist von der Blondheit. Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit." Mit der Zitatensammlung im Buch ist der zynische Rassismus Steiners hinlänglich bewiesen.
Um so erstaunlicher ist es da, dass gerade die deutschen Anthroposophen, im Gegensatz zu den holländischen und österreichischen, solche Äußerungen als aus dem Zusammenhang gerissen noch verteidigen oder versuchen, sie zu "erklären" und zu relativieren, wie es etwa die Deutsche Anthroposophische Gesellschaft und der Bund der Freien Waldorfschulen tun.

Steiner und seine "Erziehungskunst"

Die Waldorfpädagogik ist aus der Anthroposophie hervorgegangen, die Waldorfschule wurde als Freie Schule der Anthroposophischen Gesellschaft gegründet. Der Gründer war Emil Molt, Inhaber der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik. Von Anfang an war Steiner der "geistige Leiter" und "Inspirator" dieser Schule. Heute gibt es in Deutschland 166 und weltweit 714 Waldorfschulen. Diese Schulform stellt somit neben den staatlichen und kirchlichen Schulen die größte unabhängige Schulbewegung dar.
Die Grandts untersuchen nun, was hinter dieser Institution steckt. Sie decken auf, was sich hinter der scheinbar tadellosen Fassade verbirgt. Die Waldorfpädagogik bezieht sich auch heute noch auf Vorstellungen von Wiedergeburt und vorgeburtlichen Prägungen, auf die Idee, dass Kinder "karmisch" vorbelastete Wesen seien, die mit "Schicksalsanlagen" als "Frucht" vorheriger Erdenleben auf die Welt kommen, sowie auf die Einteilung der Kinder in vier Temperamente (sanguinisch, cholerisch, phlegmatisch, melancholisch), was dann seinen Niederschlag findet in einer entsprechenden Sitzordnung und die Unterrichtsgestaltung beeinflusst.
Das Abstruse, weltfremde in der Pädagogik Rudolf Steiners wird in dem Buch gut herausgearbeitet und ist ein lohnendes Kapitel für Eltern, die ihr Kind vielleicht auf eine Waldorfschule schicken wollen. In der Waldorfpädagogik wird das Kind zum "lebendigen Werkstück", ausgestattet mit Kräften, die "der Himmel schickt". Ade, eigenständiges, individuell geprägtes Wesen!
Hier wird spiritualisiert, mystifiziert und bspw. die "seelischen Eigenschaften" des Kindes mit dem Pflanzenreich verglichen, da werden Kinder zu Pilzen und die Pilze zu Phlegmatikern. Der Lehrer als absolute Autorität entscheidet nach anthroposophischer Tradition über Inhalte, Lehrmethoden, die Organisation und weitgehend auch über die Gestaltung des Schullebens.
Nicht in allen Punkten gut herausgearbeitet ist in dem Buch der Grandts allerdings der Unterschied zum staatlichen Schulsystem. Zu leicht entsteht der Eindruck, in den staatlichen Schulen sei alles transparent und der Unterricht nach neuesten didaktischen Erkenntnissen ausgerichtet. Das ist aber leider nicht der Fall.
An den meisten Schulen wird immer noch stark lehrerzentriert gearbeitet, die Eltern haben wenig Einflussmöglichkeiten, Kinder und Jugendliche sind eingezwängt in vorgegebene Inhalte, aufgesplittet in einzelne Fächer, die häufig genug unverbunden nebeneinander gelernt werden müssen. Projektunterricht ist eher die Seltenheit.
Das angehäufte Wissen wird über Arbeiten und Tests kurzfristig abgefragt und benotet. Der Einsatz von Lehrbüchern macht einen Unterricht noch nicht interessant, im Gegenteil. Lehrbücher werden schließlich für tausende von Schülern gemacht, damit sie sich wirtschaftlich lohnen. Auf die Interessen und Bedürfnisse einzelner Lerngruppen können sie gar nicht eingehen.
Steiner war gegen Noten. Gut so, kann man da nur sagen, was auch immer seine Beweggründe im einzelnen waren. Noten dienen der Ausgrenzung und vor allem der Auslese, sie machen auch nicht transparent, was ein Kind wirklich kann. Und Waldorfschüler sind nicht deshalb schlechter, weil sie keine Noten bekommen. Die Autoren schließen sich jedoch der Meinung an, dass Berichtszeugnisse den Lehrer von der Aufgabe entlasten, Rechenschaft über seinen Unterricht abzugeben und für externe Dritte nicht brauchbar seien.
Dann ist es allerdings auch nicht gerecht, dem Schüler mit einem schlechten Notenzeugnis die Quittung für einen Unterricht zu geben, der ihm offensichtlich nicht das nötige Wissen vermitteln konnte. Auf Lernprobleme, gleich welcher Art, kann doch wohl nicht mit dem Zeugnishammer reagiert werden.
Den Grandts scheint jedenfalls entgangen zu sein, dass für den Primarbereich in Deutschland der notenfreie Lernentwicklungsbericht für das 1.Schuljahr in allen Bundesländern, im 2.Schuljahr in den meisten Bundesländern eine Selbstverständlichkeit ist.
Und noch ein Punkt lässt Zweifel aufkommen, ob sich die Autoren wirklich mit der heutigen Schulwirklichkeit auseinandergesetzt haben. Da wird behauptet, dass die Waldorfpädagogik gemeinsam mit der reformpädagogischen Bewegung intellektuelle Bildung als einseitig ablehne und mit ihren Anstrengungen auf den "ganzen", "heilen" Menschen ziele.
Doch das ist so nicht korrekt, denn die Reformpädagogik hat sich mit Recht dagegen gewehrt, dass in der Schule zu einseitig über den Kopf gelernt wird und deshalb den Spruch geprägt, Kinder sollten "mit Kopf, Herz und Hand" lernen. Das bedeutet nichts anderes, als dass Kinder durch eigenes Tun und Forschen, durch Suchen und Experimentieren zu Erkenntnissen gelangen, die sie entsprechend ihren Fähigkeiten selbstständig festhalten und der eigenen Lerngruppe vortragen. In einem solchen Unterricht ist der Lehrer Helfer und nicht eine unangefochtene Autorität.
Insgesamt ist Waldorf Connection ein interessantes, aufschlussreiches Buch, keine leichte, aber eine lohnende Lektüre mit einer ausführlichen Bibliografie im Anhang für die LeserInnen, die sich intensiver mit dem Thema befassen möchten.
Gerade angesichts unserer Vergangenheit und rechtslastiger Politik eben nicht nur in der rechten Jugendszene, sondern täglich ausgetragen als offene oder unterschwellige ausländerfeindliche Einstellungen, müssen wir aufmerksam und sensibel reagieren auf menschenfeindliche Äußerungen, die ausgrenzen und stigmatisieren wollen. Dieses Buch ist ein wertvoller Beitrag für eine kritische Auseinandersetzung mit Inhalten und erzieherischen Methoden, mit denen Kinder und Jugendliche konfrontiert sind.

Larissa Peiffer-Rüssmann

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