Sozialistische Zeitung |
Die jüngste Hiobsbotschaft für den InterRegio, nämlich die Ankündigung der Deutsche Bahn AG,
das noch bestehende InterRegio-Angebot weiter zu verkleinern, ordnet sich ein in die Gesamtpolitik der Deutschen Bahn. Die Stichworte dafür lauten:
neue Stellenstreichungen um 70000 Beschäftigte in den Jahren 20002003; Reduktion des ICE-Netzes auf acht oder neun "Knoten";
(Teil-)Abhängen von Städten wie Mannheim; Überlegungen, die Speisewagen komplett abzuschaffen.
Aktuell sollen mit der Streichung von 16 Millionen Zugkilometern von Mai 2001 an rund 9% des
Bahnangebots "auf der Strecke bleiben". Weitere Angebotskürzungen stehen bereits fest: Ab 2003 sollen nochmals 23 Millionen
Zugkilometer entfallen. Würde all dies realisiert, wäre das Angebot im Zugverkehr in der Bundesrepublik Deutschland um rund ein Viertel
reduziert.
Zusammengenommen ergäbe das den massivsten Einschnitt, den es jemals binnen weniger Jahre
im Verkehr auf deutschen Schienen gab. 90% der Fahrgäste nutzen die Bahn im Nahbereich (bis 50 km).
Wird statt der Fahrgästezahl die Zahl der im Schienenverkehr gefahrenen Kilometer
("Personenkilometer") gewählt, dann liegen rund 50% der zurückgelegten Personenkilometer im Nah- und die andere Hälfte
im Fernverkehr. Mindestens 50% der Bahninvestitionen müssten deshalb in den Nahverkehr fließen.
Wird allein der Fernverkehr betrachtet, dann liegt die durchschnittliche Reiseweise dort bei 220 km.
Etwa 95% der Fahrgäste mit ca. 70% der zurückgelegten Personenkilometer sind weniger als 300 km unterwegs.
"Supergeschwindigkeiten" bringen hier weit weniger als Pünktlichkeit, Komfort oder Preis.
Abgesehen davon, dass die Bahn sich nicht in ihre Kalkulation blicken lässt, dürften
allein die 16% Mehrwegsteuer, die die Bahn von den Fahrgästen im Gegensatz zu Bahnen im Ausland verlangen muss, deutlich
höher liegen als das "Defizit" der InterRegio-Züge.
Noch schwerer wiegt, dass Bahnchef Mehdorn einen großen Teil des bisherigen InterRegio-
Verkehrs auf RegionalExpress-Züge verlagern will. Tatsächlich kostet nach offiziellen Bahnangaben ein RegionalExpress je Kilometer 22 Mark,
während er 16 Mark je Kilometer bringt. Das rechnerische, vom Bund mit den Regionalisierungsgeldern ausgeglichene Defizit liegt also bei 6 Mark je
gefahrenen Kilometer.
Der InterRegio-Verkehr kostet dagegen 25 Mark je Kilometer und bringt 22 Mark je Kilometer. Hier
liegt also das Defizit "nur" bei 4 Mark je Kilometer als deutlich unter dem des RegionalExpress-Verkehrs.
Der InterRegio wurde 1988 gestartet, sollte den veralteten D-Zug ersetzen und ähnlich wie der
InterCity Takt, Tempo und Komfort bieten. 1995 galt der Ausbau des InterRegio-Netzes als abgeschlossen. Damals fuhren 424 Züge auf 24 Linien. Die
Fahrgastzahl lag mit 62 Millionen Reisenden über der von InterCity und EuroCity (49 Mio.) oder ICE (23 Mio.); bis 1994 lag der InterRegio-Umsatz
sogar gleichauf mit demjenigen, der im ICE-Verkehr erzielt wurde. Entsprechend hieß es im Geschäftsbericht 1995 euphorisch: "Der
InterRegio bietet ein nahezu flächendeckendes attraktives Schienenangebot".
Im Jahr darauf allerdings, Anfang 1996, beschloss der Vorstand der Deutsche Bahn AG,
"innerhalb der nächsten fünf Jahre den InterRegio abzuschaffen". So stand es im Lok-Report (Nr.10, 1996), und so wurde es im
Bundestag thematisiert (Drucksache 3/5683). Doch allerorten hieß es: Das ist Unsinn; solch einen Beschluss gab es nie.
Und doch wurde seither gewissermaßen "Zug um Zug" das
InterRegio-Angebot systematisch verschlechtert, z.B. durch faktische Einstellung jeder Werbung für diese Züge, durch
Komfortverschlechterungen, Fahrplanausdünnung oder Beseitigung der Bistroabteile.
Die durchschnittliche Reiseweite der InterRegio-Reisenden von rund 160 Kilometern kennzeichnet
diese Zuggattung als Fernreiseprodukt. Laut Grundgesetz Art.87e Abs.4 hat der Bund die Fernverkehrsangebote im Schienenverkehr zu gewährleisten.
Nunmehr aber beschließt das Management der Deutsche Bahn AG die faktische Einstellung des InterRegios, und sie bietet den Bundesländern
an, dessen Verkehrsaufgaben mehr oder weniger zu übernehmen.
Dies aber hieße: Erstens wird der Nah- und Regionalverkehr von den Ländern bezahlt.
Diese bekommen dafür vom Bund fest bemessene Regionalisierungsmittel. Wenn die Deutsche Bahn AG Fernverkehr an die Länder
"delegiert", dann gibt sie bisher weitgehend selbst finanzierten Verkehr an den subventionierten Sektor ab, erhöht also den Druck zur
Erhöhung von Subventionen für den laufenden Betrieb, um sich selbst profitabler präsentieren zu können.
Zweitens ist die Höhe der Regionalisierungsgelder für Zugbestellungen der Länder
festgelegt. Damit werden RegionalExpress-, RegionalBahn- und StadtExpress-Züge bezahlt. Jede Bezahlung von InterRegio-Zügen liefe darauf
hinaus, Nahverkehrszüge zu "kippen".
Winfried Wolf
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