Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 09.11.2000, Seite 12

Kommunalwahlen in Brasilien

Überwältigender Sieg der PT

Aus den brasilianischen Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen ist die Arbeiterpartei (PT) als die große Siegerin hervorgegangen. Getragen von einer Welle der Opposition gegen die neoliberalen Parteien überall im Lande und vor allem gegen die Bundesregierung Cardoso erzielte die PT bereits in der ersten Runde Ergebnisse, die nur mit ihrem ersten großen Durchbruch von 1988 verglichen werden können.
Wie keine andere Partei wird die PT heute in ganz Brasilien mit den programmatischen Themen soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung, demokratische Haushaltspolitik, Landreform, Gleichstellung der Geschlechter und Kampf gegen die Korruption identifiziert. Ihre Art von Politik in hunderten von Stadtverwaltungen und an der Spitze von Landesregierungen trägt immer mehr Früchte.
Angesichts der steigenden Verarmung und unter dem Druck der Opposition sah sich die Bundesregierung kurz vor der Stichwahl zu der Ankündigung gezwungen, den gesetzlichen Mindestlohn von 151 auf 180 Reais "und mehr" heraufzusetzen (1 Dollar entspricht derzeit rd. 1,93 Reais). Geplant war erheblich weniger.
In der Stichwahl am 29.10. blieb die PT und auch die übrige Linke dennoch auf der Siegerstraße. Zu den zahlreichen Gratulanten aus aller Welt gehörte auch Fidel Castro.
Die bürgerliche Öffentlichkeit führt den Erfolg der PT darauf zurück, dass sie sich inzwischen von Rot zu Rosa entwickelt habe. Dies wird zwar von der Parteileitung zurückgewiesen und ist in der Tat ein Versuch, den Erfolg der Linken und die politischen Alternativen kleinzureden. Aber auch aus linker Sicht ist die PT von heute nicht mehr die der 80er Jahre.
In der Massenpartei mit inzwischen langjährigen und stabilen Positionen in Parlamenten und Staatsverwaltung gibt es durchaus einen starken Flügel, der politisch und programmatisch als linkssozialdemokratisch eingeschätzt werden kann.
Andererseits organisiert die PT nach wie vor den größten Teil der sozialistischen Linken Brasiliens mit engen Bindungen zu den fortschrittlichen Massenbewegungen und -organisationen.
Politisch-geografisch zeigt das Wahlergebnis folgendes Bild: Die große Partei des Bürgertums, die PMDB, wurde aus den küstennahen Zentren auf das Inland zurückgedrängt und konnte sich hauptsächlich nur noch in Klein- und Mittelstädten halten. Sie hält nur noch eine Millionenstadt (Campo Grande) in Mato Grosso do Sul (Südwesten).
Die PSDB — die Partei des Bundespräsidenten Cardoso — brach dramatisch ein (von 18,2% auf 12,9% bei den Bürgermeisterwahlen). Sie hält nur noch vier kleinere Landeshauptstädte, darunter Vitória (Bundesland Espírito Santo) im Südosten und Cuiabá (Mato Grosso) im Westen.
Die rechtsliberale PFL, die auch in der Bundesregierung sitzt, legte bei den Bürgermeisterwahlen von 12,2% auf 17,6% zu, verlor jedoch Rio an die rechtspopulistische PTB. Die PT bzw. die Linke insgesamt ist längst nicht mehr auf den Südosten und Süden konzentriert, sondern hat auch im Nordosten und im Landesinnern große Erfolge erzielen können.
Gegenüber den letzten Wahlen von 1996 konnte die PT ihr Stimmenergebnis verdoppeln. Fast überall konnte sie die Zahl ihrer Mandate beträchtlich erhöhen. Bei der — getrennten — Bürgermeisterwahl gewann sie in der ersten Runde 4 von 62 der wichtigsten Städte und kam in 16 weiteren in die Stichwahl.
In der Stichwahl am 29.10. wurde der Trend bestätigt. Von den 16 Städten eroberte sie 13! Sie hält jetzt im gesamten Parteienspektrum die meisten Landeshauptstädte.
Bundesweit erzielte sie zwar "nur" etwa 15% der Stimmen, aber sie konnte ihren Platz als führende Oppositionspartei insbesondere in den städtischen Zentren und Landeshauptstädten ausbauen: Neben Porto Alegre im Süden — wo sie zum vierten Mal in Folge siegte — und Belém im Norden, wo sie wiedergewählt wurde, stellt die PT künftig auch (bzw. wieder) die Stadtregierungen in Recife, Aracaju, Goiânia, Londrina, Campinas, Diadema usw.
Den erwarteten, aber dennoch spektakulärsten Erfolg erkämpfte sie in der Megastadt São Paulo. Hier wurde Marta Suplicy in der Stichwahl mit 58,5% der Stimmen (3,248 Mio.) zur Bürgermeisterin gewählt. Der Gegenkandidat und frühere Bürgermeister Paulo Maluf von der neoliberalen (und mafiösen) PPB wurde mit 41,5% der gültigen Stimmen (2,3 Mio.) klar abgeschlagen, erzielte damit aber ebenfalls ein Rekordergebnis. Die PT steht nun nach acht Jahren erneut an der Spitze einer der größten Städte der Erde.
Nur knapp verloren die PT-Kandidaten die Stichwahl in Curitiba (Hauptstadt des Bundesstaats Paraná im Süden), in Santos sowie in der Industriestadt Canoas (Peripherie von Porto Alegre).
Die Niederlage in Curitiba hatte allerdings den Geschmack des Sieges, wie die Tageszeitung Jornal do Brasil schrieb, denn bei keiner einzigen Wahl zuvor hatte die PT hier 400000 Stimmen erhalten und die Bastion der neoliberalen PFL dermaßen schwächen können. Entsprechend groß war der Jubel.
Im südlichen Bundesland Rio Grande do Sul konnte die PT ihre Position flächendeckend ausbauen. Verteidigen konnte sie insbesondere die Präfektur in der Industriestadt Caxias do Sul (im nördlichen Teil des Bundeslands Rio Grande do Sul). Dieser Wahl war unter Einsatz aller Mittel von den Bürgerlichen geradezu bundesweite Bedeutung zugesprochen worden — und sie haben verloren.
Auch andere Linksparteien, wie die PCdoB (Kommunistische Partei Brasiliens), konnten wichtige Erfolge verbuchen. Diese Partei stellt ab Januar die Bürgermeisterin in der alten Kolonialstadt Olinda (Bundesland Pernambuco). In Fortaleza (im nördlichen Bundesland Ceará) erzielte ihr Kandidat in der Stichwahl beachtliche 44,6%.
In der drittgrößten Stadt Brasiliens, Belo Horizonte (Bundesland Minas Gerais) konnte die PSB (Brasilianische Sozialistische Partei) den Bürgermeister halten. Den stellvertretenden Bürgermeister stellt wieder die PT. Die PSB siegte auch in Natal (Bundesland Rio Grande do Norte) und in Maceió (Bundesland Alagoas).
Allerdings gab es auch Wermutstropfen: In Rio de Janeiro kam die PT nicht in die Stichwahl. Hier ist die nun bereits mehrere Jahre andauernde Parteikrise — zugespitzt durch fragwürdige Eingriffe der zentralen Parteileitung — nicht überwunden. In Porto Alegre, der "Welthauptstadt der Kommunaldemokratie", bleibt die PT zwar relativ stärkste Partei, verlor aber 4 ihrer 17 Mandate an die populistische PDT, die in einer demagogischen Kampagne mit verschiedenen bürgerlichen Parteien gegen die Stadtregierung zu Felde zog, obwohl sie in der Landesregierung mit der PT koaliert.
Die spalterische Taktik hat die innere Krise der PDT weiter verschärft. Bei der Bürgermeisterwahl siegte allerdings PT-Kandidat Tarso Genro (der bereits vor dem jetzigen PT-Bürgermeister Raúl Pont Amtsinhaber war) mit überwältigenden 63,5%.
Die PT sieht sich durch ihren großen Sieg bei den Kommunalwahlen in ihrer Einschätzung bestätigt, dass sich auch im Bund die Ära Cardoso dem Ende zuneigt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sie ihren Ehrenvorsitzenden Lula zum vierten Mal als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken. Dessen Popularität ist nach wie vor ungebrochen.
Die Präsidentschafts- und Gouverneurswahlen finden 2002 statt. Sollte Lula diesmal gewinnen, steht die Frage konkret, mit welchen Parteien er eine Regierung bilden wird. Dabei wird die Auseinandersetzung "Front der Linksparteien" oder "Mitte-Links-Regierung" im Mittelpunkt stehen. Brasilien will offensichtlich den Wechsel — und spätestens die kommenden Wahlen bieten dazu erneut eine Chance.

Hermann Dierkes

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


zum Anfang