Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 09.11.2000, Seite 13

Aufruf gegen Rassismus und Kommunitarismus

In mehreren Städten Frankreichs haben Jugendliche, fundamentalistische Kreise, aber auch faschistische Gruppen auf die Massaker in Palästina mit einer Welle antisemitischer Gewalt geantwortet: Brandanschläge auf Synagogen, Plünderungen jüdischer Geschäfte, antisemitische Schmierereien an Mauern und Häuserwänden. Dagegen haben sich nun mit einem Aufruf jüdische Intellektuelle zu Wort gemeldet, die zugleich mit den antisemitischen Gewalttaten auch die israelische Gewalt in Palästina anprangern. Wir veröffentlichen Auszüge:

Als Bürgerinnen und Bürger des Landes, in dem wir leben, als Bürgerinnen und Bürger dieser Welt haben wir keinen Grund und auch nicht die Gewohnheit, uns als Jüdinnen und Juden zu Wort zu melden.
Wir bekämpfen den Rassismus, und darunter natürlich den Antisemitismus, in all seinen Formen. Wir verurteilen die Anschläge auf Synagogen und jüdische Schulen, die sich gegen eine Gemeinde als solche und ihre Kultstätten wendet. Wir lehnen die Internationalisierung der kommunitaristischen Logik ab, die letztlich dazu führt, dass Jugendliche aus derselben Schule oder demselben Stadtteil aufeinandergehetzt werden.
Die führenden Vertreter des Staates Israel maßen sich jedoch das Recht an, im Namen aller Juden der Welt zu sprechen, die Interpretation der Geschichte für sich in Beschlag zu nehmen und sich als Vertreter aller jüdischen Opfer der Vergangenheit aufzuführen — sie maßen sich also an, auch in unserem Namen zu sprechen, gegen unseren Willen. Niemand hat das Monopol auf den Judenmord der Nazis. Unsere Familien hatten ihren Anteil an Deportierten, Verschwundenen, Widerständlern. So ist uns die Erpressung zur kommunitären Solidarität, die gleichwohl nur dazu dient, die Politik der israelischen Regierungen zu legitimieren, unerträglich.
Bei der Eskalation der Gewalt wurden unverzeihliche Taten auf beiden Seiten begangen. Das liegt leider in der Logik jedes Krieges. Aber die politische Verantwortung ist nicht gleichmäßig auf beide Seiten verteilt. Der Staat Israel verfügt über ein Territorium und eine Armee. Die Palästinenser in den besetzten Gebieten und in den Flüchtlingslagern sind zu einer Ökonomie verdammt, die abhängig und an sich nicht lebensfähig ist, sie leben in einer verstümmelten Gesellschaft, auf einem zerfetzten Territorium, das von strategischen Adern durchschnitten und von jüdisch-israelischen Siedlungen durchsetzt ist. […]
Nicht obwohl, sondern weil wir Juden sind, widersetzen wir uns der selbstmörderischen Logik der kommunitaristischen Hetze. Wir lehnen die tödliche Spirale der Ethnisierung von Konflikten und ihrer Umwandlung in Religionskriege ab. Wir lehnen es ab, zwanghaft einer Gemeinde zugeordnet zu werden. Wir sind Parteigänger der jüdisch-arabischen Freundschaft, wir fordern die Wiederaufnahme eines Friedensprozesses, der die UN-Resolutionen in Taten umsetzt, die Anerkennung eines souveränen palästinensischen Staates und das Rückkehrrecht für die Palästinenser, die von ihrem Grund und Boden vertrieben wurden.
Nur so gibt es eine Möglichkeit für eine friedliche Koexistenz verschiedener kultureller und Sprachgemeinschaften auf ein und demselben Territorium.

UnterzeichnerInnen u.a.:
Mireille Abramovici, Raymond Aubrac, Daniel Bensaďd, Suzanne de Brunhoff, Arie Finkelstein, Esther Joly, Janette Habel, Gisèle Halimi, Marcel-Francis Kahn, Pierre Khalfa, Hubert Krivine, Daniel Liebman, Marie-Claire Mendès-France, Michael Löwy, David Mandel, Maurice Rajsfus, Jean-Marc Rosenfeld, Catherine Samary, Laurentz Schwartz, Daniel Singer, Pierre Vidal-Naquet.

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