Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 09.11.2000, Seite 15

Radiohead:

Kid A

Seit acht Jahren existieren Radiohead, und sie waren von Beginn an kommerziell erfolgreich. Nach ihrem ersten Auftritt sollen angeblich zwanzig Plattenfirmen einen Vertrag angeboten haben, ihre erste Single "Creep" wurde ein Top-Ten-Hit in Großbritannien und ihr letztes Album OK Computer verkaufte sich 4,5 Millionen mal. Wurde ihnen nach den ersten beiden Alben unterstellt, sie schwämmen lediglich auf der Brit-Pop-Welle nach oben, machten die Musiker um Thom York (Gesang Gitarre), Jonny Greenwodd (Gitarre) und Bruder Colin (Keyboard) in OK Computer deutlich, dass sie eigenständige Wege gehen, Sampels sehr wohl zu ihrer Musik passen und eher Pink Floyd als die Beatles ihr musikalisches Vorbild sind.
Mit Kid A wollen sie deutlich machen, dass ihnen die Musik wichtiger ist, als diese auf Biegen und Brechen zum kommerziellen Erfolg zu treiben. Keine Singleauskopplung, kein Video, keine Tour durch die USA. Auch als Tanzmusik ist diese Scheibe wenig geeignet. Die Musik war bereits einen Monat vor der offiziellen Veröffentlichung bei Napster zum kostenlosen herunterladen und Radiohead-Bassist Colin Charles kommentiert die Tatsache, dass drei Tage nach einem Konzert in Barcelona, das ganze Konzert bei Napster als Download vorhanden war: "Das gab der Band neues Leben … Als wir dann in Tel Aviv spielten, kannten die Fans jedes einzelne Lied." Radiohead gehört sicherlich zu denen die überhaupt nicht begeistert sind, dass Bertelsmann Napster aufkauft um dem kostenlosen Herunterladen ein Ende zu machen.
"How to disappear completely", eines der Stücke des neuen Albums und dort dasjenige, was die Wurzel Pink Floyd am deutlichsten macht, stammt dem Titel nach aus einem Selbsthilfebuch für Menschen, die sich aus ihrem bisherigen Leben verdünnisieren wollen, um anderswo von vorne Anfangen zu können. Mehr als Kid A ist dies Stück kennzeichnend für die gesamte CD.
Innerhalb von einem Jahr haben Radiohead 25 Stücke eingespielt, von denen 10 auf diese CD gebrannt wurden. Angeblich die radiotauglichsten. Nach dem Studiotagebuch (www.Radiohead.
co.uk) mit dem Radiohead Transparenz in ihr Schaffen bringen wollen, schüttelte selbst Produzent Nigel Godrich ab und zu den Kopf ob der neuen Wege.
Dabei sind viele der Wege lediglich für Radiohead neu. So spielt Jonny Greenwood, mangels Einsatz an der Gitarre (es sind lediglich drei Gitarrenstücke auf der CD) auf einem Ondes Martinot, einem 1928 zum ersten mal gebauten Instrument, das dem Mellotron ähnelt. Auch die Streichereinsätze des St.John Orchestra, so wie die Bläser von "Hook Horns blown for the National Anthem" haben nichts revolutionäres an sich.
Das verwunderliche an der Platte ist vor allem, dass diese Musik von Radiohead kommt. Was bleibt ist die oft klare manchmal wimmernde Stimme von Thom York und das Schlagzeug von Phil Selway. Gerade letzteres wirkt bei dieser Produktion wieder als der Teil der Musik der dieses rasend Unruhige in die beklemmenden Melodien hinein transportiert.
Auch der Humor ist den fünf aus Oxford geblieben, wo sie in den 80er Jahren gemeinsam eine "versnobte Privatschule" besuchten. Ein einlullender Sechsminutentrack mit dem Titel "Motion Picture Soundtrack" beendet die CD, der sich nach drei Minuten verabschiedet, um dann nach mehr als einer Minute noch einmal mit einem Abspann aufzutauchen.
Bereits jetzt diskutieren einzelne Kritiker, ob diese Band der "Stubenhocker" (F. Lähnemann) die erste große Band des neuen Jahrhunderts ist. Daran zu zweifeln ist sicherlich angebracht, denn ihr neues Album ist wohl mehr eine Erinnerung an das vergangene Jahrhundert. An die Wege die dort in elektronische Popmusik gegangen wurden. Es ist auch ein Beispiel wie der Wunsch nach Harmonien und Brüche mit der eigenen Vergangenheit eine Unruhe entstehen lassen, die vor allem für das letzte Jahrzehnt kennzeichnend war. Kid A ist daher weniger Ausblick als mehr Resumé, aber als solches öffnet es sicherlich auch Türen in die Zukunft. In diesem Sinne ist die CD auch anregend und sie wird wohl auch ohne die zwanghaften Bemühungen anderer Produktionen ein kommerzieller Erfolg.

Tommy Schroedter

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