Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 2

ÖTV

Handverlesener Aufstand

von Hans Peiffer

Die Kanzlerrede mit ihrem "Basta!" zur sog. Rentenreform und die Probeabstimmung der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) zum Eintritt in die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat zu einer nicht vorhergesehenen Dramatik geführt.
Die unverschämte Anmaßung des Bundeskanzlers, wie er mit der Gewerkschaft in der Diskussion über die Reform der Rentenversicherung umgegangen ist, stellt ein Novum dar. So hat noch kein Vertreter einer sozialdemokratisch geführten Regierung auf einem Gewerkschaftstag geredet. Die Delegierten haben zwar die Ausführung von Schröder mit Unmutsäußerungen und Murren bedacht, das war aber zu wenig! Bei der Provokation durch Schröder hätten die Delegierten spontan den Saal verlassen müssen. Ihnen hätte doch klar sein müssen: Wer so auftritt, der ist auch gewillt, zur Durchsetzung neoliberaler Politik die Gewerkschaften nicht nur verbal zu gängeln, sondern auch nach Thatcher-Art zu knebeln und in Fesseln zu legen.
Schon vor dem Gewerkschaftstag war klar, dass May nicht nur in der Mitgliedschaft und bei den Delegierten, sondern auch im Apparat an Ansehen eingebüßt hatte. Dies zeichnete sich schon im Verlauf der letzten Tarifrunde ab. Mit der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses unterbrachen die "Dirigenten" (Hauptvorstand und Bezirksfürsten) des Kongresses den Gewerkschaftstag, um zu beraten und einen Ausweg zu finden. Mai war nicht weiter gewillt, für den Vorstand zu kandidieren.
Der neu gewählte Vorsitzende Frank Bsirske wechselte vom stellvertretenden Besirksvorsitzenden zum Personal- und Organisationsdezernenten der Stadt Hannover, mutierte vom Gewerkschafter zum Personalchef. An wie viel Entscheidungen zum Personalabbau und Rationalisierungsmaßnahmen war er wohl beteiligt? Wie kommt ein Mensch in Arbeitgeberfunktion als Delegierter zum Gewerkschaftstag? Wenn man bedenkt, dass die Delegierten zu einem solchen Gewerkschaftstag überwiegend "handverlesen" sind, dann ist es schon erstaunlich, dass es zu einem solchen "Aufstand" gekommen ist, der die Führung in eine Krise stürzte.
Hoffentlich ist den Gewerkschaftsmitgliedern und den von ihnen gewählten Delegierten klar, dass es nicht ausreicht, May gegen Bsirske auszutauschen und dann kommt ver.di doch. Das ist alter Wein in neuen Flaschen.

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