Sozialistische Zeitung |
Wider besseres Wissen haben Sie zu verantworten, dass die Kostenfaktoren Regionen‚ nicht unverzüglich durch eine
adäquate und effektivere Organisationsform abgelöst wurden. Sie haben es fahrlässig in Kauf genommen, den Vorstandsposten
‚Verkauf frei werden zu lassen und dieses immens wichtige Ressort nebenbei zu machen. Sie haben, und dass unterstelle ich Ihnen, bewusst diese
Situation so belassen, um Ihre eigene Haut zu retten, nicht aber die der Coca Cola Erfrischungsgetränke AG (CCE AG). Sie haben die ‚Region
Manager auseinander dividiert, damit Sie Ihre Macht halten können und dabei vorsätzlich in Kauf genommen, dass Sie diese
gegenüber Ihren Leuten zu Marionetten machen und zum Spielball Ihrer egoistischen Strategien."
Es war der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der CCE AG, Jan Botella, der diese
Strafpredigt in der Betriebsräteversammlung am 24./25.Oktober in Magdeburg an den Vorstandsvorsitzenden Espen Mansfeldt richtete. "Ach ja,
da waren ja noch die Verlierer dieses ganzen Zaubers", setzte er seinen Bericht fort. "Die Verlierer sind das operative Geschäft und die
Kunden mit der Konsequenz, dass das ganze Kasperletheater nunmehr seinen traurigen Höhepunkt erreicht, in dem ganz schnell eben mal 1400
Köpfe rollen sollen. Aber leider eben nicht die Köpfe, die arroganterweise glauben, um sie würde sich die Welt drehen."
In der Tat geht es darum, dass die CCE AG einen "Sanierungskurs"
angekündigt hat, der dazu führen soll, dass bis Ende 2001 eine Reihe von Vertriebsstandorten geschlossen werden. 1400 der 11000
Arbeitsplätze in 70 Betrieben würden hierbei wegfallen. Durch den Personalabbau beabsichtigt der Vorstand, 150 Millionen Mark einzusparen.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Jan Botella forderte in Magdeburg hingegen den
Vorstandsvorsitzenden Mansfeldt dazu auf, Konzepte vorzulegen, welche die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verbessern und die
Arbeitsplätze langfristig sichern. Verlangt wurde auch der Verzicht auf "betriebsbedingte Kündigungen".
"Innenleben" eines Weltkonzerns
Es geschieht nicht allzu oft, dass ein Bericht über das "Innenleben" eines Weltkonzerns Einblicke ermöglicht, die Zweifel
wecken, ob die von Konzern getroffenen Entscheidungen wirklich dem "Wohle des Unternehmens" dienen. Offenbar werden dort auch harte
interne Machtkämpfe ausgetragen und "um den Gesellschaftern zu gefallen", wird manches beschlossen, das Schaden anrichtet.
"Mir scheint", erklärte Jan Botella, "als würde meine
Befürchtung aus dem Jahre 1997 wahr werden. Damals sagte ich sinngemäß, dass uns hoffentlich die gleiche Entwicklung erspart bleibt
wie bei anderen Unternehmen. Dass sich die Herren Vorstände nur um ihren Verzeihung Arsch kümmern, anstatt sich den
Problemen des Unternehmens zu widmen, um sich dann, wenn alles zusammenbricht, mit einem Sack Geld zu verabschieden."
"Herr Mansfeldt", richtete Botella das Wort an den Vorstandsvorsitzenden,
"Sie sind nicht deswegen drei Jahre im Amt bestätigt worden, um diesen Stall vollends kaputt zu machen, sondern deshalb, weil sich
womöglich keiner so richtig darum reißt, diesem Unternehmen vorzustehen. Versuchen Sie nun endlich, da Sie jetzt ein kleines finanzielles
Polster haben, couragiert auch denen entgegenzutreten, die sich um dieses Unternehmen langfristig keine Gedanken machen, sondern lediglich die schnelle
Mark absahnen wollen: die Anteilseigner. Sie gebrauchen nicht nur das Wort Wachstum, sondern ziehen diesem abgedroschenen Begriff ein Mäntelchen
um und sagen profitables Wachstum. Klingt gut, Herr Mansfeldt. Und genau das ist es, was Sie mit diesem Unternehmen machen werden, eben kein Wachstum
mehr. Das heißt übersetzt, es passt alles hervorragend in Ihr Konzept: Personalabbau und gleichzeitig Kundenabbau, sei es durch mangelnden
Service, sei es durch chaotische Personalplanung, sei es durch Rückzug aus der Fläche oder sei es durch weitere Standortschließungen und
ungenügende Investitionen ... Nach Ihren in den Medien angekündigten 1400 Kündigungen ... können Sie doch nicht allen Ernstes
so tun, als könnten Sie das Schiff retten, indem Sie unüberlegte Konditionskonzepte in die Landschaft streuen: Verkaufsmannschaften, personell
ausdünnen, Standorte in ländlichen Gebieten schließen wollen, sich von Dienstleistern abhängig machen, Kunden an den
Getränkefachgroßhandel abgeben, ausreichende Investitionen nicht tätigen. Auf der anderen Seite haben Sie keine Ideen hinsichtlich
weiterer Standbeine, wie zum Beispiel Heißgetränke und Snackgeschäft. Es ist verdammt gefährlich, wenn Sie sagen, wir
können das nicht. Die Belegschaften haben es bereits bewiesen, dass sie es können. Lernen Sie bei Ihrer Belegschaft, solange Sie sie noch haben.
Voraussetzung hierfür ist natürlich der Wille."
Ausschüsse des Gesamtbetriebsrats
In seinem ausführlichen Bericht über die Arbeit des Gesamtbetriebsrats (GBR) bemühte sich Jan Botella auch, auf positive
Entwicklungen hinzuweisen. So insbesondere auf die Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten. Hier bestand offensichtlich ein erhebliches Interesse
des Arbeitgebers daran, die entsprechenden EDV-System möglichst rasch einzusetzen.
Dennoch gab es vorerst auch hier Konflikte über die "verdeckte
Mitarbeiterüberwachung". Der GBR wandte sich entschieden gegen den "gläsernen Mitarbeiter" und verteidigte den Schutz
der Intimsphäre, den man auch dann nicht außer Acht lassen dürfe, wenn irgendwelche Verdachtsmomente gegen jemanden bestehen.
Im "Ausschuss für Arbeitssicherheit und Umwelt" (AGU) ging es darum,
krankmachende Arbeitsplätze zu erfassen, Gefährdungsanalysen zu erstellen, zu verhindern, dass Auszubildende als billiger Personalersatz
missbraucht werden, Schutzmaßnahmen so anzusetzen, dass sie nicht übermüdet angetreten werden. Obwohl hier Vereinbarungen
abgeschlossen und an die "Regionen" sowie von dort an die einzelnen Standorte mitgeteilt worden sind, kümmert sich niemand darum, sie
auch umzusetzen.
Dabei sind doch Aus- und Weiterbildung sowie Arbeitssicherheit elementare
Voraussetzungen für ein Unternehmen dieser Größe. Schließlich sei doch die Qualifizierung des Nachwuchses, die Verhinderung
von Unfällen, die Verringerung von Krankenzeiten durch Beseitigung von Ursachen, die zur Krankheit führen, die wiederum als
"Kostenfaktor" gilt, wichtig genug, um sie mit Nachdruck durchzusetzen, meinte Botella.
Der "Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit" fand für seine
Anfrage, ob es denn nicht möglich sei, für die Betriebszeitung Echo Gelder zur Verfügung zu stellen, um sie "professioneller"
zu gestalten, kein Gehör. Wegen Geldmangels lautete der Bescheid. Offenbar koste die "Berufsoptimistenzeitung Flaschenpost" des
Vorstands so viel, "dass es für uns nicht zu mehr gereicht hat", meinte Jan Botella.
Eine Demo als Signal
Mit der Ankündigung einer Demonstration als "Signal von den Betriebsräten an die Öffentlichkeit" schloss Jan
Botella seinen Bericht ab und vergaß nicht hinzufügen: "Wenn wir feststellen müssen, dass die Arbeitgeberseite nicht gewillt ist,
mit uns in eine inhaltliche Diskussion und an die Umsetzung der im Frühjahr abgeschlossenen Tarifverträge zu gehen, mit uns sinnvolle
Lösungen in den strategisch wichtigen Initiativen zu suchen, sondern nach wie vor nur daran festhält, 150 Millionen DM einzusparen, dann bin
ich überzeugt, dass es nicht bei dieser Demo bleiben wird."
An seine Kollegen und Kolleginnen appellierte Botella:
"Wir wollen diesem Unternehmen helfen, das ja auch unser Unternehmen ist. Wir
wollen verlässliche Konzepte, wir wollen langfristige Perspektiven, wir wollen den Ausbau verschiedener Standbeine, wir wollen
sozialverträgliche Umsetzungen, wir wollen Einhaltung von Verträgen und Ehrlichkeit. Wir wollen aber auf keinen Fall, dass durch Panik und
Angst vor den Aktionären dieses Unternehmen von einer Fehlentscheidung zur nächsten fällt. Wir brauchen einen klaren Kopf in klaren
Vorständen, die sich diesem Geschäft endlich wieder widmen und sich nicht vor ihrer Verantwortung drücken."
Rund 500 Betroffene, darunter 200 Betriebsräte aus allen Coca-Cola-Standorten
beteiligen sich an einer Demonstration unter den roten Fahnen der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Unermüdlich
verkündete der NGG Sekretär Jürgen Hinzer in Magdeburg über einen gewaltig tönenden Lautsprecher, dass dies ein Protest
gegen die drohende Vernichtung von 1400 Arbeitsplätzen bei Coca Cola sei.
Der Zug marschierte zuerst zum Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts, wo er von Minister
Gabriel (SPD) empfangen wurde. Dieser zeigte sich erbost darüber, dass dieses Unternehmen Fördermittel kassiere und hinterher
Arbeitsplätze vernichte. Die Demonstranten betonten, diese Demo sei ein Warnschuss, der sich gegen den Vorstand der CCE AG richte.
Jürgen Hinzer nutzte seinen Lautsprecher, um zu erklären, dies sei eine
Demonstration von Deutschen und "Ausländern" gegen die ihnen gemeinsam drohende Gefahr. "Nicht die ‚Ausländer
sind es, die euch Arbeitsplätze wegnehmen. Es sind deutsche Unternehmer, die dies tun", betonte er immer wieder.
Als er anschließend die internationale Solidarität hochleben ließ, kam
ein lebhaftes Echo aus den Reihen der Demonstrierenden, die sogar die "Internationale" anstimmten.
Stimmen vom Straßenrand zeigten, dass diese Demo nachdenklich machte. So sagte ein
Friseurmeister vor seinem Laden: "Das hätte ich nie gedacht, dass Coca Cola die Leute einfach rauswerfen will." Ein Polizeibeamter, der
"dienstlich" den Zug begleitete, meinte: "Solch eine Demo sollten wir vielleicht bei uns auch mal machen bei den vielen Überstunden,
die wir leisten."
Ein Passant sagte: "Wir sollten im Osten lieber unsere eigene Cola trinken."
Und eine Kollegin aus Magdeburg freute sich schlicht: "Ich fühl mich richtig gut. So ein Gefühl von Solidarität wie bei dieser Demo
habe ich schon lange nicht mehr gehabt." Einige "Ossis" wunderten sich darüber, dass ausgerechnet "Wessis" ihnen
vieles von dem ins Gedächtnis riefen, was sie über den bösen Kapitalismus in Schulungen gehört, aber niemals geglaubt hatten.
Mit Begeisterung wurde die Losung von Jürgen Hinzer aufgenommen: "Heute
Magdeburg, morgen Berlin und dann Atlanta." Dort ist in den USA der Sitz des Weltkonzerns Coca Cola. Natürlich weiß der NGG-
Sekretär, dass ein Protest in Atlanta einer langen Vorbereitung bedarf und nicht einfach vom Zaume gebrochen werden kann. Aber vorsorglich war
Jürgen Hinzer in New York, wo er mit militanten Gewerkschaftern Verbindung aufgenommen hat.
Für eine Überraschung ist er immer gut. Schließlich hat er schon einmal
einen Protest nach London getragen und hierdurch Arbeitsplätze bei Asbach in Rüdesheim gerettet.
Jakob Moneta
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