Sozialistische Zeitung |
Helmut Dahmer:
Bürgerkomitees gegen Gewalt
Wer als Demokrat, Sozialist oder "Alternativer" jetzt nichts tut, um dem Jagen und Erschlagen und Verbrennen von Fremden und
Schwachen ein Ende zu machen, also die Menschenrechtsgarantien für jedermann in der Bundesrepublik wiederherzustellen, der diskreditiert sich und
seine Sache für alle Zeit.
Was ist zu tun? Wir müssen die Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres
Status potenzielle Opfer der rechten Gewalttäter sind, schützen. Wie? Indem wir, wo immer das nötig ist, gefährdete Personen,
Wohngemeinschaften, Versammlungsstätten unter zivilen, unter unseren Schutz stellen. Indem wir über das zahlenmäßig
beschränkte Personal der alternativen Gruppen hinaus an die deutsche Wohnbevölkerung appellieren, den Terror der rechten
Menschenjäger bei sich nicht zu dulden, Ausländerschutzkomitees oder Bündnisse zur Verteidigung der Angegriffenen zu organisieren,
Asylantenheime, türkische Läden, Synagogen und Moscheen zu adoptieren, Tag- und Nachtwachen zu stellen, Telefonketten zu bilden. Den (mit
Schlagringen, Springerstiefeln und Baseball-Schlägern) "bewaffneten" Skinheads können wir nur Widerstand leisten, indem wir
viele unbewaffnete Menschen, die einander abwechseln, zum Schutz der (potenziellen) Opfer aufbieten.
Nur wenn wir einen solchen zivilen Widerstand organisieren, werden auch Exekutive und
Judikative tun, was ihres Amtes ist. Nur wenn "normale" deutsche Bürger und Honoratioren Front gegen die "Skinheads"
machen, wird "der Staat" seine repressive Toleranz aufgeben, den Personen- und Objektschutz für Nichtprivilegierte und Diskriminierte
organisieren und faschistische Organisationen und Parteien verbieten. Nur wenn Hunderte und Tausende von Menschen aus dem Umland die von den Rechten
okkupierten und von ihnen als "befreite Zonen" bezeichneten Straßen in kleinen und mittleren Städten der "neuen
Länder" friedlich "zurückerobern", wird sich auch "der Staat" auf sein Gewaltmonopol besinnen und wird der
Innenminister den Bundesgrenzschutz zur Wiederherstellung der "Hoheit" in den (einstweilen von "Fremden" und für
deutsche Nationalisten) "befreiten Zonen" einsetzen.
Die alte Linke hat sich in ihren besseren Tagen geweigert, den bürgerlichen Staat
gegen ihre Gegner um Hilfe zu bitten. Sie war überzeugt, die "Arbeiterklasse" werde rechtzeitig das Schlimmste verhüten. Doch
konnte die Arbeiterbewegung des vorigen Jahrhunderts weder die beiden Weltkriege noch den Holocaust verhindern; ihre Geschichte war eine Geschichte
von Niederlagen.
Zur "Arbeiterklasse", also zu den abhängig Beschäftigten,
gehören in Ländern vom Typus der Bundesrepublik neun von zehn Menschen. "Bürgerkomitees" sind darum, soziologisch
betrachtet, Arbeitnehmer- oder eben Arbeiterkomitees. Wenn man uns nach dem Leben trachtet, rufen wir nach der Polizei. Wenn die Polizei nicht kommt (oder
nichts tut), müssen wir fliehen oder unsere Selbstverteidigung organisieren. Die "Bürgerkomitees gegen Gewalt" werden Exekutive
und Judikative nötigen, gegen die rechten Schläger und ihre Organisationen so vorzugehen wie einst gegen die Angehörigen der Rote-
Armee-Fraktion (RAF).
Sobald es der Minderheit, die sich mit den Pogromen und Menschenjagden, die seit den
neunziger Jahren zum Alltag des wiedervereinigten Deutschland gehören, nicht abfinden kann, gelingt, ein paar hunderttausend Mitbürger ihrer
Apathie zu entreißen und zu gewaltfreien Aktionen gegen die rechten Schlägergruppen zu motivieren, ist die neonazistische Umsturzbewegung,
die sich in den letzten Jahren unter unseren Augen herausgebildet hat, am Ende. Die erfolgreiche zivile Verteidigung der "Fremden" und
Schwachen in der Bundesrepublik Deutschland würde uns und der "Welt" beweisen, dass die Deutschen von heute mehr tun
können, als Mahnmale für die Ermordeten der 30er und 40er Jahren errichten dass sie aus der Geschichte der Weimarer Republik und des
"Dritten Reiches" wirklich etwas gelernt haben.
Helmuth Dahmer ist Herausgeber der Trotzki-Schriften (Rasch & Röhring, jetzt beim Neuen ISP Verlag) und Soziologieprofessor an der
TH Darmstadt.
Manuel Kellner:
NPD-Auflösungskomitees
Vor einigen Ausgaben schrieb die SoZ, man könne schlecht gegen ein Verbot der NPD sein, es komme aber darauf an, wesentlich weiter zu
gehen. Das ist richtig, aber warum diese etwas verlegen klingende Fomel?
Der Grund ist die in unserer politischen, auf Trotzki zurückgehenden Strömung
sehr präsente Erfahrung, welch schlimme Rolle das Vertrauen auf staatliche Maßnahmen gegen faschistische Kräfte in der Weimarer
Republik (und anderswo) gespielt hatte. Trotzki beschwor die deutsche Arbeiterbewegung, auf die eigene Kraft zu vertrauen, sich zusammenzutun gegen den
nationalsozialistischen Feind (ebenso wie gegen Lohn- und Sozialkürzungen) und sich selbst zu verteidigen. Hieraus hätte ein Umschwung
erwachsen können; aus den Einheitsfrontorganen hätte sogar von unten eine Rätemacht hervorgehen und die sozialistische Revolution
möglich machen können. Staatliche Repression richtete sich letzten Endes immer gegen die Linke und gegen "die da unten".
Die Lehren bleiben wertvoll, aber heute ist einiges anders. Vor allem ist die BRD offiziell
Nachfolgestaat des Dritten Reichs und musste daher ausdrücklich Anti-Nazi-Bestimmungen in Gesetzesform verabschieden. Auch ist die
Arbeiterbewegung nicht im Zustand von damals (man vergleiche nur den Grad der Selbstorganisation einschließlich der Kampfverbände) und die
Spaltung in zwei Lager (die mit der Spaltung in Nocherwerbsarbeitende und Erwerbslose zusammenfiel) ist heute nicht das Problem Nummer Eins. Es ist
richtig, wenn Revolutionäre heute das Einhalten der Anti-Nazi-Gesetze einklagen und zugleich alles tun, damit breite Anti-Nazi-Bewegungen
entstehen. Es ist auch richtig: Was die Bürgerlichen tun, die nur Verbot sagen und vielleicht "noch mehr Aufklärung", reicht nicht.
Aber was Autonome sagen ("Stürmt die NPD-Zentrale") ist unpolitisch und sektiererisch. Man muss beides verbinden: das Wirken auf
politischer Ebene und die Förderung von breiter Mobilisierung, Selbstverteidigung, Selbstorganisation von unten. Aber wie?
Es klingt nicht offensiv, wenn man etwas verlegen sagt, man sei nicht gegen das Verbot der
NPD. So wird keine Schlacht gewonnen, nicht mal ein Scharmützel! Man muss, weil es heute im Zentrum steht, klar und deutlich sagen: "Verbot
der NPD aufgrund der Anti-Nazi-Gesetze!" Und man muss zugleich sagen, dass hierfür nicht dem Staat vertraut werden kann, allein schon
weil seine Repressionsorgane mit Sympathisanten des Rechtsextremismus durchsetzt sind. Und man kann an eine jüngere Erfahrung aus der deutschen
Geschichte anknüpfen: an die Stasi-Auflösungskomitees, die beim Sturz des SED-Regimes entstanden waren.
Das ist es also: breite Mobilisierung für das Verbot der NPD und aller
Neonaziorganisationen! Bildung von NPD-Auflösungskomitees aus Vertreterinnen und Vertretern von Antifa-Initiativen, Flüchtlings- und
Migrantenorganisationen, Gewerkschaften, politischen Organisationen, Kulturschaffenden, Bürgerinnen und Bürgern, die sich entsprechend
engagieren wollen.
Diese Komitees stellen sich die Aufgabe, während der ganzen Dauer der Debatte
einschließlich der Verhandlung vor dem BVG die Realität der NPD, der JN und aller Neonaziorganisationen an jedem Ort zu erkunden, deren
Aktivität an den Pranger zu stellen, ihr öffentliches Auftreten wo immer möglich zu verhindern, die Verteidigung aller ihrer potenziellen
Opfer zu organisieren, ihnen ihre Schlupfwinkel (Treffpunkte, Kneipenhinterzimmer usw.) unbewohnbar zu machen und ihre wirkliche Auflösung nach
dem Verbot zu kontrollieren und selbst sicherzustellen.
Bei der Schaffung der Komitees ist darauf zu achten, dass sie möglichst breit und
repräsentativ und zugleich wirklich aktiv sind. Sie sollen das Tummelfeld aller militanten Antifaschisten werden, aber auch aller SPD- oder PDS-
Anhänger, die wirklich etwas gegen die NPD und die Neonazis tun wollen.
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