Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 10

Medien & WTO

Informationsmüll statt Wissen

Die Stimmen zur US-Präsidentschaftswahl waren noch nicht ausgezählt, da hat der noch amtierende Präsident Clinton schon angekündigt, dass die US-Regierung eine neue Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) anstrebe. Während des Wahlkampfs kam der Welthandel kaum zur Sprache, denn seit den Protesten gegen die "Millenniumsrunde" der WTO im November 1999 ist ein nicht unerheblicher Teil der amerikanischen Öffentlichkeit krititsch sensibilisiert.
Anders EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy: Er verkündet schon seit dem Frühsommer dieses Jahres, dass die EU-Kommission unverändert an einer umfassenden Tagesordnung einer neuen Verhandlungsrunde festhalten will, die zusätzliche Kompetenzen für die WTO im Bereich geistiges Eigentum und Investitionen beinhalten würde.
Im Rahmen des Dienstleistungsabkommens GATS (General Agreement on Tariffs and Services), erhielt die WTO für die als "Dienstleistung" definierten Sektoren schon 1994 ein Verhandlungsmandat, das sie auch ohne neue Verhandlungsrunde von ihrem Hauptsitz in Genf aus wahrnimmt. Dort wurden bereits vor den Präsidentschaftswahlen etwa die Weichen für den Medien- und Unterhaltungssektor gestellt.
Noch sind nicht alle Bereiche der beiden Sektoren als "Dienstleistungen" definiert. Das GATS umfasst zwar schon die Leistungen der Telekommunikation, nicht jedoch für die Verbreitung von Rundfunkprogrammen über Kabel und Satelit. Doch vor allem die USA haben ein starkes Interesse daran, den Mediensektor mit einzubeziehen.
Ziel der WTO ist eine weitgehende Deregulierung und Liberalisierung der internationalen Märkte. Nicht nur im Telekommunikationssektor hat das GATS-Abkommen bisher zu Marktkonzentrationen und aggressiven Eroberungsstrategien der führenden und miteinander konkurrierenden Konzerne geführt. Dasselbe ist für den Mediensektor zu befürchten, mit allen negativen Auswirkungen für die Beschäftigten und die kulturellen Errungenschaften in vielen Regionen der Welt. Nur wenige Standorte der Filmproduktionen werden es bspw. mit Hollywood aufnehmen können. Für die USA ein Grund, in der WTO auf weltweite Marktöffnungen für die Filmindustrie als "Dienstleistungssektor" zu drängen, deren Exporteinnahmen schon heute alle anderen der USA, eingeschlossen Rüstung und Agrarproduktion, in den Schatten stellen.
Doch auch ohne die WTO fusionieren immer mehr Unternehmen zu gigantischen Konzernen, als jüngstes Beispiel sei die Fusion von Time Warner und America Online erwähnt. Doch diese Zusammenschlüsse sind, verglichen mit einer Marktliberalisierung in der WTO, allenfalls ein Vorspiel. Die Angriffe auf öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, Bürgerradios und andere öffentlich geförderte Medienprojekte werden an Schärfe zunehmen.
Die Auswirkungen auf die Medienbranche sind schwerwiegend: Informationen, die in erster Linie wirtschaftlichen Kriterien unterliegen, werden mittel- und langfristig unabhängige Berichterstattung und investigativen Journalismus noch weiter in den Hintergrund drängen. Die vielgepriesene "Informationsgesellschaft", so deutet es sich an, wird Menschen zunehmend mit werbedurchtränktem und wissensentleertem Entertainment versorgen, mit Informationsmüll statt Wissen.
Mit dem zunehmenden Einsatz der neuen Medien und den Megafusionen geht eine kulturelle Vereinheitlichung einher, die sich besonders gut an der Sprachentwicklung festmachen lässt. Die Anzahl der weltweit vorhandenen Sprachen schrumpft zwar schon seit der Kolonialära, doch mit der weltweiten Verbreitung der Informationstechnik und Fernsehsendern wie CNN ist ihr weiterer Rückgang vorprogrammiert, meint die Bonner Entwicklungsorganisation WEED. Wer bspw. am weltweiten Austausch via Internet teilhaben will, der kommt an der englischen Sprache nicht vorbei.

Werbemilliarden sind Motor

Die Milliardenbeträge der werbetreibenden Industrie sind ein wesentlicher Motor hinter dem Strukturwandel des Mediensektors. Die Investitionen in Werbung wuchsen weltweit schneller als das Sozialprodukt und die Kaufkraft. Große, international operierende Konzerne werben vor allem im kommerziellen Privatfernsehen. Dort stellen sie auch Ansprüche an das Werbeumfeld und beeinflussen so die Medieninhalte.
Die Konkurrenz um diese Werbemilliarden, 1999 allein mehr als 312 Milliarden US-Dollar, bestimmt die Zukunft der einzelnen Mediengattungen. Ein Abwärtstrend ist vor allem in den Printmedien zu verzeichnen, deren Werbeaufkommen zugunsten des Fernsehens und zunehmend auch des Internets sinken.
38% der Werbeausgaben werden allein in Nordamerika getätigt, in Afrika sind es lediglich 2%. Nicht nur die Verteilung der Werbemilliarden macht die wachsende Kluft zwischen der Ersten und Dritten Welt deutlich.
Auch der Zugang zu den neuen Technologien ist ungleich verteilt: Während in Deutschland Ende 1998 insgesamt 7,3 Millionen Nutzer über einen Anschluss ins Internet verfügten, standen in Kamerun gerade einmal 1000 Internetterminals zur Verfügung.
Technisches Knowhow, Kenntnisse der englischen Sprache und die entsprechenden finanziellen Mittel sind Voraussetzung, um an der "Informationsgesellschaft" — ungeachtet ihrer Qualität — teilhaben zu können. Sowohl auf globaler Ebene als auch auf innergesellschaftlicher werden deshalb neue Gräben zwischen den information rich und information poor entstehen.
Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, erachten es z.B. Hans Kleinsteuber und Barbara Thomas für unerlässlich, "jenseits von Technik und Wirtschaft ethische Fragestellungen bei Produktion, Verteilung, Bewahrung und Gebrauch von Informationen zu berücksichtigen". Die UNESCO hat mittlerweile sog. infoethics entwickelt, die ein Grundrecht auf Information formulieren. "Wissen ist ein öffentliches Gut, das der Öffentlichkeit auch zugänglich gemacht werden muss", heißt es in der Stellungnahme des zweiten UNESCO-Infoethik-Kongresses von 1998.
Das Durchsetzungsvermögen der Stellungnahme darf angesichts des machtvollen Sanktionsapparats der WTO, der ausschließlich wirtschaftliche Kriterien zugrunde legt, angezweifelt werden. Ähnliches gilt für die Staaten Schweden, Neuseeland, Kanada, Mexiko, Frankreich, Südafrika, Indien u.a., deren Regierungen in den 90er Jahren regulierend in den Mediensektor eingegriffen haben: Die Maßnahmen reichen von Einschränkungen bei Firmenbeteiligungen und Lizenzvergaben, Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Medien und Non-profit-Projekten, bessere Regelungen zur Mitbestimmung der Beschäftigten, Abgaben auf Werbeeinnahmen usw. All dies schränkt den Aktionsradius der Medienkonzerne ein und dürfte spätestens in der nächsten Verhandlungsrunde der WTO zur Disposition stehen.
"Das globale Mediensystem benötigt eine globale und demokratische Antwort, nicht nur eine Reihe von nationalen und lokalen Gegnern … Globale Medien sind keine schlechte Sache an sich, sondern nur insofern … dass sie die Interessen einiger Wohlhabender, nicht aber die der vielen bedienen", schlussfolgert Robert W. McChesney, Professor am Institut für Kommunikationsforschung der Universität Illinois.

Gerhard Klas

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