Sozialistische Zeitung |
Die Al Aqsa-Intifada hat den sog. Friedensprozess von Oslo beendet und dessen kolonialistisches Fundament entlarvt.
Während Israel im religiös-nationalistischen Fanatismus versinkt, entsteht beiderseits der grünen Grenze eine neue
palästinensische Einheit.
Das Osloer Abkommen verfolgte im Wesentlichen zwei Ziele:
die Sicherung der politischen Stabilität der Region, damit sie für
Kapitalanlagen attraktiv wird;
die Fortschreibung der Kontrolle des israelischen Staates über die seit 1967
besetzten Gebiete in Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, die palästinensische
Oppositionsbewegungen unterdrücken und die ökonomischen und Sicherheitsinteressen Israels bedienen sollte.
Hinter dem Osloer Abkommen stand die Annahme, Arafat werde in der Lage sein, Israels
Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen, ohne dabei auf den Protest legaler demokratischer und politischer Institutionen zu stoßen, weil es solche in
dem Regime, das er im Palästinensischen Autonomiegebiet errichten sollte, nicht geben würde.
Diese Annahme hat sich nicht verwirklicht aus mehreren Gründen.
Die Schicht von Bürokraten, die Arafat aus seinem Exil in Tunis nach Palästina
brachte und an die Spitze der Autonomiebehörde stellte, zog sich den Zorn der ortsansässigen palästinensischen Bevölkerung zu
nicht zuletzt weil sie wirtschaftlich und politisch korrupt ist. Nicht nur die demokratische Elite, die aus der "ersten Intifada"
hervorgegangen ist, von Arafat aber an den Rand gedrängt wurde, ging in Opposition zu ihr, sondern auch führende Politiker und
Militärs, die diese Elite damals repräsentierten.
Selbst die Fatah-Miliz Tantheem, die sich mit Genehmigung Arafats in den besetzten
Gebieten etablieren konnte, ist mehrheitlich gegen den Regierungsapparat Arafats eingestellt. Sie zeigt zunehmend Tendenzen zur politischen und
operationellen Unabhängigkeit von Arafat; damit stellt sie den Oslo-Prozess, den sie eigentlich umsetzen soll, eher in Frage.
Es stimmt, was Danny Rubenstein in der israelischen Tageszeitung Haaretz (18.10.)
schrieb: Arafat hat den Aufstand nicht unter Kontrolle, er ist spontan ausgebrochen und wurde weitgehend von Tantheem angeführt.
Ebenso unhaltbar war die dem Osloer Prozess zugrundeliegende Annahme, die
Polizeieinheiten, die Arafat aufbauen durfte, würden sich ausschließlich ihrer Aufgabe verpflichtet fühlen, die Sicherheit der Israelis zu
garantieren d.h. der Siedler, Soldaten und Zivilisten, die innerhalb der Grünen Demarkationslinie leben.
Die "zweite Intifada" hat jedoch deutlich gemacht, dass die
palästinensische Polizei, einschließlich der Präventiven Sicherheitskräfte, sich in erster Linie als Schutzmacht für die eigene
Bevölkerung versteht, wenn diese von israelischen Soldaten angegriffen wird.
Die Vorstellung, es werde möglich sein, eine Art Südlibanesische Armee zu
bilden, die von der besiegten und unterdrückten palästinensischen Bevölkerung getrennt ist, hat sich als Irrtum erwiesen. Viele
palästinensische Polizisten haben während der militanten Demonstrationen gezeigt, dass sie sich stark mit ihnen identifizierten, sich sogar an
ihnen beteiligten und israelische Soldaten und Siedler angriffen.
Anders als erwartet ist Arafat heute noch nicht in der Lage, ein Abkommen zu unterzeichnen,
das das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr und die Hoheit über Ostjerusalem und den Bezirk um die Al-Aqsa-Moschee preisgibt.
Obwohl es zur Zeit noch keine organisierte demokratische Opposition gibt, gibt es doch in
weiten Schichten der palästinensischen Bevölkerung in Palästina wie in der Diaspora einen hohen Grad an Politisierung
und Bereitschaft zum Handeln, die für die Führung um Arafat eine ernste Gefahr darstellen.
Die israelische "Linke" hat den Prozess von Oslo in Gang gesetzt; sie hat dabei stets seine Bedeutung für die "Trennung
der beiden Völker" hervorgehoben. "Lasst uns in Frieden auseinandergehen", erklärten die führenden Vertreter von
"Frieden jetzt".
Diese Losung wurde gebetsmühlenartig wiederholt obwohl sowohl die
Arbeitspartei als auch der Likud-Block an der Regierung dafür gesorgt haben, dass israelische Siedlungen bis an den äußersten Rand
palästinensischer Städte und Dörfer vorstoßen konnten. Diese Siedlungen dienten gerade dazu, eine Trennung zu verhindern und
die Vorstellung von einer palästinensischen "Souveränität" im Rahmen ihrer autonomen Enklaven bedeutungslos werden zu
lassen.
Als ebenfalls unrealistisch hat sich die Vorstellung erwiesen, es sei möglich, den Staat
Israel durch eine grüne Grenze von den 1967 besetzten Gebieten zu trennen. Der zehntägige Aufstand der in Israel lebenden
palästinensischen Araber hat gezeigt, wie boshaft und töricht die Losung "Zwei Staaten für zwei Völker" ist. Das aber
war jahrelang die Losung des "radikaleren" Flügels der israelischen Linken.
Die Verkünder dieser Losung haben die Existenz der palästinensischen Araber
in Israel einfach ignoriert und die Stärkung ihrer nationalen palästinensischen Identität nicht wahrgenommen. Diese Identität hat
die grüne Grenze verwischt, wie israelische Kommentatoren der Al-Aqsa-Intifada bemerkten.
Die grüne Grenze wurde aber nicht nur durch die starke Identifikation der in Israel
lebenden Palästinensern mit dem Aufstand in den besetzten Gebieten verwischt. Israel selbst hat diese Grenze seit langem niedergerissen, indem es
seine arabische Bevölkerung als Feind behandelte und gegen sie dieselben Unterdrückungsmethoden einsetzte, die es gegen seine Untertanen in
den besetzten Gebieten anwendet: Schusswaffengebrauch gegen Demonstranten, Niederwalzung "illegaler" Häuser, Beschlagnahmung von
Land und die Errichtung von Siedlungen dicht am Rand der arabischen Wohngebiete, denen dieses Land abgenommen wurde um ihre Ausdehnung zu
verhindern.
Wir stoßen hier auf einen immanenten Widerspruch in der Politik des jüdisch-
zionistischen Staates gegenüber seinen arabischen Bürgerinnen und Bürgern. Auf der einen Seite möchte dieser Staat einen
Unterschied machen zwischen den Palästinensern, die nach dem Krieg von 1948 im israelischen Staatsgebiet wohnen blieben, und denen, die
außerhalb desselben lebten. Er will sie voneinander trennen.
Gleiche Rechte
Auf der anderen Seite ist Israel gezwungen, immer wieder das Argument der "Sicherheit" zu bemühen, um die Existenz eines
jüdischen Staates zu rechtfertigen. Dieses Argument verhindert, dass es die palästinensischen Araber als Bürger gleichen Ranges
akzeptiert und als eine nationale Minderheit anerkennt.
Die israelische "Linke" hat sich darauf verlassen, dass die Politik der
Enteignung der in Israel lebenden Palästinenser, einschließlich der "Judaisierung" von Galiläa und des Dreiecks Um el
Fahem an der Nordgrenze zum Westjordanland (Westbank) ungebrochen fortgesetzt werden könne.
Mittelklasse-Yuppies, meist Ashkenasim (europäische Juden), die den "Frieden
wollen", suchten in Galiläa und im Dreieck die "Lebensqualität" städtischer Vororte und bauten dort Siedlungen. Ihrer
Meinung nach waren sie dabei bestrebt, "gutnachbarliche Beziehungen" zu den arabischen Bewohnern zu pflegen, indem sie mit den Jugendlichen
"Workshops für Koexistenz" organisierten. Das rosige Bild, das sich diese "fortschrittlichen Siedler" von sich selbst gemalt
haben, wurde in den letzten Wochen nun erschüttert.
Zur Amtszeit von Rabin wurden im Staatshaushalt die Mittel für die arabischen
Kommunen aufgestockt. Das war Teil der politischen Koalition zwischen den arabischen Mitgliedern der Knesset (dem israelischen Parlament) und der
Minderheitsregierung, der Rabin vorstand; sie sollte ihm die parlamentarische Mehrheit sichern.
Damals ging man in fortschrittlichen akademischen Kreisen in Israel davon aus, dass der der
Prozess der "Israelisierung" der in Israel lebenden Araber zur Lockerung ihrer Identifikation mit der palästinensischen Bevölkerung
in den besetzten Gebieten führen würde, die ihrerseits "palästinisiert" würden.
Sami Samoha, Soziologieprofessor an der Universität Haifa, erklärte, es sei
unvermeidlich, dass die in Israel lebenden Palästinenser den jüdischen Staat akzeptierten, der einen "tiefgehenden
Demokratisierungsprozess" durchgemacht habe "einfach weil es für sie keine bessere Alternative als das Leben in Israel gibt. Die
Perspektive eines Lebens in einem Palästinenserstaat ist für sie sicherlich nicht attraktiv. Deshalb ist klar: Ein Leben im jüdischen
und demokratischen Staat Israel ist, bei all seinen Nachteilen, doch das bestmögliche Los."
Die israelische "Linke" hat sich nie um die Probleme der nationalen arabischen
Minderheit und ihre individuelle wie kollektive Desorganisation gekümmert. Ihre Weltsicht war und ist geprägt vom Sicherheitsbedürfnis
des Staates Israel und seiner Exstenz als "jüdischer" Staat.
Die Massendemonstrationen der in Israel lebenden palästinensischen Araber in der
letzten Wochen haben deutlich gemacht, dass die arabische Minderheit in der israelischen Gesellschaft, die angeblich zersplittert und atomisiert ist, einen Sinn
der Solidarität mit ihren Brüdern und Schwestern jenseits der grünen Grenze entwickelt hat und damit ihre nationale
palästinensische Identität gestärkt hat, während sie gleichzeitig beharrlich für ihre vollständige
staatsbürgerliche Gleichstellung in Israel kämpft. Diese arabische Minderheit fordert nicht nur "gleiche Rechte" für die
Individuen, sondern auch die Anerkennung ihrer kollektiven Rechte: die Rückgabe der Ländereien, die ihnen enteignet wurden, kulturelle
Autonomie, usw. Damit stellen sie die rechtlichen und ideologischen Fundamente des jüdisch-zionistischen Staates in Frage, in dem ihre
Unterdrückung strukturell angelegt ist.
Offene Gewalt
Nun da die kolonialistischen Strukturen offengelegt worden sind, die der Zionismus errichtet hat, und die nationalen Bestrebungen der
palästinensischen Bevölkerung in Israel sichtbar werden, zeigt das Establishment der Arbeitspartei sein wahres Gesicht.
Die Arbeitspartei betont nicht länger die "substantielle Unterschiede",
die es zwischen links und rechts gebe, wie sie das seit dem Beginn der Kolonisierung Palästinas getan hat. Ihre eigenständigen politisch-
ideologischen Grundlagen sind zusammengebrochen, so auch das "politische Zentrum", das Barak vor den letzten Wahlen gegründet hat:
"One Israel".
Die Vertreter der Arbeitspartei unterstützen heute mehrheitlich eine Regierung der
nationalen Einheit zusammen mit Likud, unter der Führung von Sharon. Eine solche Regierung würde die Opposition in den besetzten Gebieten
mit gewaltsamen und blutigen Mitteln unterdrücken und die Palästinenser zwingen, das israelisch-amerikanische Diktat zu akzeptieren.
Die israelische Öffentlichkeit ist darauf vorbereitet, eine Politik der offenen
Gewaltanwendung hinzunehmen. Eine Meinungsumfrage von Gallup ergab, dass sie von religiös-nationalistischem Fanatismus durchtränkt ist.
Es vergeht kein Tag, an dem arabische Bewohner nicht geschlagen, verfolgt, ihr Besitz nicht angegrifffen und angezündet wird. Die meisten dieser
Übergriffe werden von keiner Polizei und keiner Menschenrechtsorganisation aufgenommen.
Die israelischen Großindustriellen sehen jedoch ihren Traum von einem "neuen
Nahen Osten" davonschwimmen. Sie protestieren gegen Baraks Versuch, sich mit Sharon zu verbünden, und fordern eine Koalition mit der Shas
eine ultraorthodoxe Partei, die vorwiegend afrikanische Juden repräsentiert. Zur Zeit der Regierungsbildung Baraks haben dieselben
Kräfte gerufen: "Nie wieder Shas!" Eine Regierung der nationalen Einheit mit Sharon würde die Brüche in den israelisch-
amerikanischen Beziehungen vertiefen und die palästinensische Opposition auf beiden Seiten der grünen Grenze stärken. Innerhalb der
israelischen Gesellschaft würde eine solide Strömung geschaffen, die sich vom neuen nationalistischen Bündnis absetzt.
Tikva Honig-Parnass
Tikva Honig-Parnass ist Herausgeberin der in Israel erscheinenden Zeitschrift Between the Lines, die eine "konsequente Ablehnung des
Osloer Abkommens und der Apartheidverhältnisse in den besetzten Gebieten" vertritt.
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