Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 23.11.2000, Seite 16

"Brot und Rosen"

Interview mit Ken Loach

Seit "Kes" (1969) hat der britische Filmregisseur KEN LOACH nach und nach eine bedeutende Filmografie über die britische Arbeiterklasse geschaffen — von den glorreichen 30er Jahren bis zum Thatcherismus, den er scharf kritisierte: kleine Freuden und die Mühen des Alltags kennzeichnen Filme wie "Family Life", "Fatherland", "Riff Raff", "Ladybird" oder "Raining Stones"… Mit "Land and Freedom" und "Carla‘s Song" hat der Regisseur kleine und große Geschichte (die spanische bzw. die nikaraguanische Revolution) vermischt. Sein jüngster Film, "Bread and Roses", führt die Zuschauerinnen und Zuschauer in den amerikanischen Albtraum. Alain Krivine, revolutionär-marxistischer Abgeordneter im Europäischen Parlament, sprach mit Ken Loach über seinen letzten Film.

Mit Bread and Roses hast du zum ersten Mal in den USA gedreht?

Ken Loach: Dies geschah dank eines Drehbuchs von Paul Laverty, der seit Jahren in Los Angeles lebt und sich für das Gebäudereinigungspersonal interessiert hat, das zum größten Teil aus Mittelamerika stammt, vor allem aus Mexiko. Wir waren beide sehr beeindruckt von der Art und Weise, wie diese Leute sich organisiert haben und einen bemerkenswerten Sieg für die Anerkennung ihrer Gewerkschaftsrechte errungen haben.
Es sind die am meisten Unterdrückten, es sind Immigrantinnen und Immigranten, sie sind verwundbar, sie sprechen kein oder nur sehr wenig Englisch. Und trotz dieser sehr ungünstigen Ausgangslage, ist es ihnen gelungen, am selben Strang zu ziehen, um sich zu organisieren. Sie haben die Anerkennung als Gewerkschaft erreicht, sie haben sozialen Schutz (Krankenversicherung) für sich und ihre Familien erkämpft, was in den USA ganz außerordentlich ist.
Wenn es nur einen Film in den USA zu machen gäbe, so wäre es sicher dieser. Aber die Lage der Immigrantinnen und Immigranten, besonders derjenigen aus Mittelamerika, bleibt dramatisch. Die Gebäudereinigerinnen haben einen Sieg errungen, aber dies ist ein Tropfen der Hoffnung in einem Ozean der Ausbeutung.
Für uns war es eine echte Erfahrung: diese Menschen waren voller Energie und Vitalität, während die professionellen Filmleute, die wir angeheuert hatten, so müde, so gelangweilt und so langweilig waren, dass wir sie am liebsten da gelassen hätten, wo wir sie gefunden haben!

War es schwierig, in Los Angeles zu drehen?

Ken Loach: Los Angeles ist sicher der Ort auf der Welt, wo es am schwersten ist, einen Film zu machen: es ist sicher leichter in einem x-beliebigen Dorf in Nikaragua! In Los Angeles macht jeder Filme, allezeit. Dabei haben die Leute ihre Unschuld verloren; es geht immer ums Geld. Wir haben auch mit bemerkenswerten Menschen gearbeitet, aber die Umgebung und der Kontext, in dem sie arbeiten, lasten schwer: Es gibt viele Regeln, viel Reglementierung.
Die Gewerkschaften werden von Weißen im mittleren Alter dominiert, während die Mehrheit der Arbeitenden in dieser Stadt Schwarze oder Latinos sind. Aber die meisten von denen, die an diesem Film beteiligt waren, waren sehr engagiert, obwohl sie Teil einer Industrie und einer Stadt sind, die die Entfremdung kultiviert.
Im Film gibt es Szenen von Straßendemonstrationen. Wir haben von der Polizei die Erlaubnis erhalten, sie zu drehen. Aber das leitende Personal der umliegenden Bürogebäude hat versucht uns zu vertreiben. Sie haben dem Geschäftsführer des Büros, wo wir gedreht haben, damit gedroht, dass er nur sehr schwer einen neuen Job finden würde. Der Mann war erschrocken: wenn wir geblieben wären, hätte das seine berufliche Zukunft beeinflusst.
Die Unternehmer haben eine enorme Macht, die nicht wirklich in Frage gestellt wird. Es gibt in den USA viel Respekt vor der Autorität. Die Propaganda behauptet, dass Amerika das Reich des Individuums sei, aber dies ist nicht wahr.

"Land and Freedom" erzählte eine Niederlage, aber es ist auch ein Film für die Revolution. "Bread and Roses" ist eine Hymne auf die Kämpfe der Sans-Papier, die für elementare Rechte kämpfen. Wieso bist du so optimistisch in einer Zeit, die derart geprägt ist von Pessimismus und Zynismus?

Ken Loach: Wenn eine Gruppe in einen Kampf, in eine Kampagne eintritt, auch wenn es um elementare Dinge geht, bspw. medizinische Versorgung, dann setzt das Energie frei, Kameradschaft, Humor, Solidarität. Der Kampf verleiht den Menschen Kraft. Man fühlt sich besser. Wenn man abends heimkehrt, ist man reicher als am Morgen, wenn man aufgestanden ist. Wer diese Erfahrung geteilt hat, kann nicht gleichgültig sein.
Auch wenn es nicht gut läuft, wenn alles düster aussieht, gibt es immer den einen oder die andere, die einen Spaß machen oder einen Witz erzählen kann. Wenn man dies von weitem betrachtet, als Journalist, kann man es nicht verstehen und man sieht nur düstere, blasse, feindselige Bilder. Aber das Leben ist nicht so.

Als ich dich daran erinnert habe, dass es anlässlich eines Treffens der extremen Linken war, dass wir uns zuletzt getroffen haben, hast du mich zurechtgewiesen…

Ken Loach: Es gibt nur wenige gewählte Repräsentanten, die Linke sind. Du bist eine Ausnahme. Die Labour Party ist nicht links, sie ist rechts. Sie ist die Partei des Big Business. Sie ist von Unternehmerkreisen an die Macht gebracht worden, als ihnen klar wurde, dass die Konservativen nutzlos waren. Sie haben ein neues politisches Personal für diese Arbeit gefunden.
Es gibt unter den großen Parteien keine linke Partei. Die Organisationen, die man als extreme Linke bezeichnet, sind die Linke, die einzige Linke, die es gibt. Sie sind die einzige Stimme derjenigen, die dadurch leben, dass sie ihre Arbeitskraft verkaufen.
Wir sollten den Begriff "extreme Linke" nicht verwenden; die Menschen denken dann an Bomben. Während es sich doch nur darum dreht, das Recht zu arbeiten zu verteidigen, zu einer Welt beizutragen, die der Mühe wert ist, und sich zu weigern, sich auf Gedeih und Verderb den Entscheidungen der großen Multis zu unterwerfen, die da sagen: wir machen euren Betrieb zu, wir machen eure Stadt zu, einfach weil wir anderswo billigere Arbeitskräfte gefunden haben. Dagegen Widerstand zu leisten, das ist nicht extremistisch!

Was hältst du von den Bewegungen gegen die Globalisierung, in Seattle, in Millau, in Prag?
Ken Loach: Das ist wirklich ein Signal für Optimismus. Man kann lange debattieren über Analysen der Globalisierung und die Mittel, sie zu bekämpfen. Aber was großartig ist, das ist dieses Gefühl, das tief in den Menschen drin sitzt, dass dies nicht die richtige Lebensweise ist, und die Energie und die fantasievolle Weise, mit der diese Kampagnen geführt werden. Sie bringen ihre Energie, ihre Intelligenz ein. Sie organisieren sich auf neue Weise. Der Tag, an dem die Angestellten von McDonald‘s die Fensterscheiben von McDonald‘s eingeschlagen haben, ist ein Tag, an den man sich noch erinnern wird…
Für das Brot kämpfen, aber auch für die Rosen? Ja, in gewisser Hinsicht ist das ein wenig meine Vorstellung von Sozialismus.

Aus: Rouge (Paris), Nr.1894, 19.10.2000.

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