Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 07.12.2000, Seite 1

BSE

Profitabler Wahnsinn

Rinder sind pflanzenfressende Nutztiere. Bis 1994 wurden sie in Deutschland mit Tiermehl gefüttert, das sich aus toten Laborratten bis hin zu verendeten Artgenossen zusammensetzte und bis zum jüngsten Verbot noch an Schweine und Geflügel verfüttert wurde. Diese Art der Mast ist ebenso widersinnig wie die Vorstellung, menschliche Verwandte nach chemischer Verarbeitung in Form von Eiweißpillen zu sich zu nehmen.
Hemmungslos wurde die industrielle Produktion von Billigfleisch ausgeweitet, mit der nicht nur für die einheimische Bevölkerung der kostengünstige Fleischkonsum ermöglicht, sondern auch die Weltmärkte erobert werden sollten. Dadurch entstand ein erhöhter Bedarf an eiweißhaltigen Futtermitteln, der lange Zeit mit Tiermehl gestillt wurde. Nun fällt den Landwirtschaftsministern und Bauernverbänden, die bisher jede Kritik an der intensiven Massentierhaltung zurückgewiesen haben, ihre rücksichtslose Politik auf die Füße. Mit dem BSE-Erreger und der für den Menschen gefährlichen Creutzfeld-Jakob- Krankheit, die durch BSE ausgelöst wird, hat diese Art der profitablen Fleischproduktion einen mehr als faden Beigeschmack bekommen.
BSE ist keine Naturkatastrophe, sondern menschengemacht. Obwohl auch nach 1994 in Futtermischungen für Rinder bei Kontrollen regelmäßig bis zu einem Prozent Tiermehl entdeckt wurde, suggerierten europäische Politiker, allen voran deutsche Landwirtschaftsminister, dass BSE ein rein britisches Problem sei, das durch nationalstaatliche Grenzen eingedämmt werde.
Doch nun hat sich erwiesen, dass das Ausmaß der Epidemie und die Gefahr für die Bevölkerung größer ist als bisher angenommen. Sogar Bundeskanzler Schröder kommt nicht umhin, einen grundlegenden Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik anzumahnen. Er will jetzt weg von den "Agrarfabriken".
Wie weit sein Engagement gehen wird, bleibt abzuwarten. Bisher kam es dem "Genossen der Bosse" auch nicht in den Sinn, mit kleinen und unaufwendigen Maßnahmen wie einem monatlichen autofreien Sonntag der menschengemachten Klimakatastrophe vorzubeugen. Statt einer Abschaffung der Agrarfabriken kündigen sich Vorboten an, die aus den Unternehmen des "Life-Science"-Sektors kommen.
In Frankreich soll künftig genmanipuliertes Soja das verseuchte Tiermehl ersetzten. Ob in Deutschland aus den USA importiertes Soja, hergestellt mit den Mitteln der Risikotechnologie, künftig als Surrogat dient und damit neue, kaum abwägbare Gefährdungen der Gesundheit Einzug halten, ist noch nicht ausgemacht. Aber auch Importe von Soja aus Brasilien hätten zur Folge, dass dort noch mehr Regenwald abgeholzt wird, um in Europas Betrieben der Massentierhaltung die Produktion anzukurbeln.
Ein Schritt in die richtige Richtung könnte hingegen der Wechsel von der intensiven Massentierhaltung zur extensiven Weidewirtschaft — von der Massenproduktion zur Qualitätsproduktion — bedeuten. Dafür müsste allerdings nicht nur das Bollwerk des einflussreichen konservativen Bauernverbands in Deutschland eingerissen werden, sondern ein Wandel stattfinden, der sich vom profitorientierten Exportkurs der Landwirtschaft entfernt.
Die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaftspolitik setzt die Europäische Union, die jährlich mit etwa 80 Milliarden Mark — ihrem größten Haushaltsposten — Agrarprodukte subventioniert. Neben Milchprodukten und Getreide ist es vor allem Rindfleisch, das nur durch die großzügigen EU-Exportsubventionen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist.
Diese Politik wird sich auch mit der im März 1999 verabschiedeten Agenda 2000 kaum ändern, die nun stückweise umgesetzt wird. Schon im Vorfeld hatte der immer noch amtierende EU-Agrarkommissar Fischler betont, dass auf dem Binnenmarkt der EU — abgesehen von der geplanten Osterweiterung — nur begrenzte Zuwächse bei der Nachfrage zu erwarten seien. Demgegenüber würde die Weltbevölkerung innerhalb der nächsten Jahre voraussichtlich um 85—90 Millionen Menschen wachsen. Nach Ansicht Fischlers alles potenzielle Konsumenten für europäische Produkte aus der Nahrungsmittelindustrie.
Entgegen der Forderungen alternativer Bauernverbände in Europa sieht die Agenda 2000 keine verbindlichen sozialen und ökologischen Kriterien für die künftige Mittelvergabe der EU vor. Lediglich 10% des EU- Agrarbudgets sollen in den Fonds "ländliche Entwicklung" fließen, der neben den Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen auch den ökologischen Landbau fördern soll.
Nach wie vor wird also die EU-Politik ganz im Sinne der Agrarlobby vor allem der intensiven Massentierhaltung förderlich sein. Dort wird es ebenso wie beim Tiermehl, von dem heute ein Großteil nach Osteuropa und Asien verkauft wird, nicht um Qualität gehen.
Gute Ernährung gilt aber überall auf der Welt als ein wesentlicher Bestandteil von Lebensqualität. Die BSE-Seuche ist ein weiteres und überaus deutliches Beispiel dafür, dass die kapitalistische Mehrwertproduktion mittel- und langfristig immer auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher und vieler Produzenten geht. Doch der Rindfleischmarkt ist nur ein kleines Segment der gesamten Nahrungsmittelpalette. Kaum absehbar sind die Folgen, wenn im Zuge des weltweiten Privatisierungswahns auch die Wasserversorgung vollständig betriebswirtschaftlichen Kriterien unterworfen wird.

Gerhard Klas

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