Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 07.12.2000, Seite 3

Weltklimakonferenz von Den Haag

Gefangen im Unmöglichen

Wenn die ansonsten staatstragenden Ressortchefs der großen bürgerlichen Zeitungen plötzlich "Systemantagonismen" wie weiland Karl Marx entdecken und wenn üblicherweise mainstreamige Jungredakteure verschwendetes Papier und teure Hotelrechnungen nicht gedankenlos konsumieren, sondern mit schlechtem Gewissen öffentlich zählen, dann weiß der interessierte Zeitgenosse: es war mal wieder Weltklimakonferenz.
Auch im sechsten Anlauf nach der großen Ökokonferenz von Rio 1992 ist es Regierungen und Experten aller Länder nicht gelungen, eine kapitalismuskonforme Lösung der wichtigsten Umweltkrise voranzutreiben oder überhaupt erst einmal zu finden. Noch weiter entfernt ist die kapitalistische Weltordnung von einer ideologischen Aufarbeitung dieser Krise, mit der die Köpfe der Menschen auch bei diesem Thema zu braven Systemstützen geformt werden könnten. Das verbittert naturgemäß die Schar der Berufsideologen, die in ihrem Frust deshalb immer wieder mal die Wahrheit in ihren Blättern schreiben.
An der "Sechsten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention", "COP 6", in der vergangenen Woche im niederländischen Den Haag haben insgesamt 177 Vertragsparteien mit 2215 Delegierten teilgenommen. Sie wurden in ihrem Treiben von 663 JournalistInnen beobachtet und von 3552 VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen — dazu zählen natürlich auch 19 Lobbyisten vom Bundesverband der Deutschen Industrie und ähnliche Halunken anderer Länder — kritisch begleitet, munitioniert oder ausgebremst. Mussten die fünf Delegierten aus Mosambik mit der Jugendherberge Vorlieb nehmen, so belagerten die großen und mächtigen Delegationen die großen und mächtigen Büfetts in entsprechenden Hotels.
Rausgekommen ist auf dieser Konferenz nur das Minimum: Vertagung auf ein weiteres Nachfolgetreffen im Mai 2001 in Bonn. Das freut die Gastronomie am Rhein.
Sechsmal getroffen, sechsmal vertagt und nichts vorangebracht. Fast ein Jahrzehnt verspielt, in dem der Handlungsdruck stetig anwuchs: die Erhöhung der Jahresmittel — und der Wassertemperaturen in den Ozeanen infolge des Ausstoßes von "Treibhausgasen", vorrangig die 30 Milliarden Tonnen CO2, gefährden nach kaum noch ernsthaft bestrittener Ansicht zunehmend das Weltklima. Mit welchen genauen Auswirkungen mag noch unklar sein — schön ist keine davon. Sechsmal angetreten ohne Erfolg, noch nicht einmal an Erfahrung gewonnen, hat da jemand nach Trainerwechsel oder Spieleraustausch, oder gar beidem gerufen?
Im Juni 1992 wurde von 20 Vertragsstaaten und der Europäischen Union die Klimarahmenkonvention unterzeichnet. Sie tritt 1994 in Kraft und verspricht die CO2-Emissionen auf dem Stand von 1990 zu stabilisieren. Im März 1995 (COP 1) erteilen 160 Staaten das "Berliner Mandat", mit dem bis 1997 ein Protokoll zu Reduzierung der Treibhausgasemissionen verbindlich festgelegt werden soll.
Auf der COP 2 im Juni 1996 unterstreicht die "Genfer Erklärung" eine Studie des UN-Klimarats (IPCC), dass die Menschheit ihr Klima immer mehr zerstört. Im Dezember 1997 wird von der COP 3 das "Protokoll von Kyoto" festgelegt. Es schreibt für die einzelnen Staaten bzw. Staatenblöcke bindende Reduktionsziele bei den Treibhausgasen vor. Auf Basis der Werte von 1990 müssen die ausstoßstarken Länder erhebliche Reduktionen bis 2012 durchführen — Deutschland z.B. um 21% —, während den Staaten mit weniger Treibhausgasproduktion teilweise noch erhebliche Zuwächse erlaubt werden.
Der Trick von Kyoto: sind die Zahlen und Ziele auch konkret, so wurden die genauen Umsetzkriterien und Ausnahmeregelungen offen gelassen. Die COP 4 vom November 1998 verabschiedet den "Aktionsplan von Buenos Aires". Ein Glanzstück der Verschiebetechnik: in 138 Punkten wurde die Konkretisierung der versprochenen Konkretisierung bis 2000 versprochen. Und schließlich einigt sich die COP 5 vom Oktober 1999 in Bonn auf einen Zeitplan zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls.
Das Protokoll von Kyoto tritt in Kraft wenn es von 55 Vertragsstaaten, die mindestens 55% der Emissionen der Industriestaaten repräsentieren, ratifiziert worden ist. Alle großen Umweltzerstörerstaaten gehören bisher nicht zu den Ratifizierern. Sie erhöhen munter ihre Ausstoßmengen. Die USA, die allein ein Viertel aller Treibhausgase produzieren, bspw. +13,2% statt der versprochenen —7%.
Allein der frühere nichtkapitalistische Osten hat seine Emissionen drastisch reduziert. Nicht jedoch aus ökologischer Einsicht, sondern durch das Plattmachen seiner Industrieanlagen in Folge der imperialistischen Übernahme. Nun haben die Menschen dort bessere Luft, aber dafür in ihrer Mehrzahl tiefe ökonomische Armut. Auch Deutschland gehört auf diese Weise zu den Musterschülern. Gut die Hälfte der Kyoto-Zielsetzung ist erreicht, aber vor allem als Folge der Übernahme der DDR. Dass ein strenger Stiefel bei ökonomisch unrentablen Betrieben zwar die Massenerwerbslosigkeit und Armut in die Höhe treibt, der Umwelt aber ganz gut tun kann, beweist auch Großbritannien, das auch ohne eine DDR ähnliche Reduktionszahlen aufweisen kann wie Deutschland.

Von der Konferenz des Erwachens…

Die erste UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung, 1972 in Stockholm, ist in die Geschichte als Konferenz des Erwachens eingegangen. Zum ersten Mal wurden dort die berühmten "Grenzen des Wachstums" beim Namen genannt. Es wurde eine Klimadiskussion eröffnet, die voller Pessimismus und radikalen Untergangsszenarien war. Eine Horrorperformance für die bürgerliche Herrschaft, die sich immer der geistigen Urheberschaft des "Fortschritt"-Begriffs wähnte und deren Experten "alles für machbar" erklärten.
Viele offizielle Studien, erwähnt sei nur der Bericht Global 2000 an die US- amerikanische Regierung unter Carter, untermauerten diese pessimistische und auf ihre Art mystisch antikapitalistische Perspektive. Sie wurde begleitet durch eine Reihe von spektakulären Protestbewegungen gegen die Atomenergieanlagen, Staudammbauten, Verkehrsprojekte und andere Umweltverbrechen überall auf der Welt, die mit scharfer Repression der Regierungen verfolgt wurden. Es konnte aber nicht verhindert werden, dass das Massenbewusstsein bezüglich der Möglichkeiten einer umweltgerechten Zukunft des Kapitalismus immer kritischer wurde. Ein, wie die westdeutschen Grünen es zu Recht nannten, "Jahrhundertthema" wurde aufgemacht: wie kann die ewigem Wachstum verpflichtete kapitalistische Markwirtschaft die unvermeidlichen schwerwiegenden Auswirkungen auf Natur, Umwelt und Klima verringern und systemkonform reparieren?
Zwanzig Jahre später wurde die zweite UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung, 1992 in Rio de Janeiro, zu einem bösen Flop. Eigentlich sollte sie der strahlende Abschluss einer weltweiten ideologischen und wissenschaftlichen Offensive der bürgerlichen Klasse zur Bewältigung der Umwelkrise werden. Politische radikale Umweltparteien, die auf dem Hintergrund der sozialen Massenproteste entstanden waren, wurden erfolgreich domestiziert und in die Gemeinschaft der Demokraten eingebunden.
Diese "neue" und die klassische alte Sozialdemokratie hatte fast zehn Jahre gearbeitet, um schöne "Umbauprogramme" auszutüfteln, die allesamt einen "ökologischen reparierten Kapitalismus" versprachen. Die Reparatur- und "End-of-the-pipe-Technologien" wie auch neue Energieträger und Produkte wurden zum Markt der Zukunft erklärt. Und es wurde als ideologischer Kitt ein Zauberwort erkoren, mit dem alle — Arme, Reiche, ArbeiterInnen und Kapitalisten, Regierungen und "Experten" — ins Staunen versetzt werden konnten: sustainable development — nachhaltige Entwicklung war der neue Fortschrittsbegriff.
Nachhaltige Entwicklung, das passte gut zum auf politischer Ebene verkündetem "Ende der Geschichte" und erlaubte gleichzeitig auch erziehungsdiktatorische Maßnahmen im Namen der Neuen Weltordnung. Aber Rio wurde nicht die erhoffte Megashow der Nachhaltigkeit. Kleinkarierte nationale Interessen und massiver Protest der armen Länder, angeführt von Fidel Castro, der für seine kurze Rede gegen den Kapitalismus den wildesten Beifall erhielt, dominierten das Konferenzgeschehen.
Und ein weltweiter Orientierungswechsel in den bürgerlichen Klassen selbst in Richtung "Entstaatlichung", Deregulierung und neuer Privatisierungsoffensive schob den schönen Begriff der "Nachhaltigkeit" in die Schublade der reformistischen Missgriffe. Dumm gelaufen.

…zur neoliberalen Kapitalismuspflege

Die nächste UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, 2012, soll jetzt ganz im Zeichen der Aussöhnung von neoliberaler Kapitalismuspflege und Bewältigung der Umweltkrise stehen. Dazu wurden alte Projekte ausgegraben und durch die sechs Konferenzen nach Rio und unzähligen sonstigen Treffen und Studien vertieft. Das Ziel lautete, die Natur wie auch deren Vernutzung und Verschmutzung in ökonomisch abgesicherte und damit austauschbare Einheiten zu zerteilen, die einen Preis hätten und mit denen ein gesetzmäßiger Handel möglich wäre.
Es wurde ein dem neuen Zeitgeist entsprechendes "win-win"-Konzept ausgearbeitet, das die Umweltzerstörung, wie auch den Verbrauch von Rohstoffen, die Abwasser- und Abfallerzeugung mittels "Zertifikaten" in handelbare Emissions- oder Verbrauchsrechte verwandelte.
Ein Betrieb, der viel die Umwelt verschmutzt, muss dafür an einer Umweltzerstörungsbörse Anrechte erwerben. Deren Grenzwerte werden politisch, zentral, möglichst auch weltweit, festgelegt. Ein Betrieb, der umweltschonend produziert benötigt weniger Zerstörungszertifikate, kann die, die er aus früheren Zusammenhängen hat, entsprechend teuer im Umweltzerstörungsbörsenhandel verscherbeln.
Bei diesem Spiel sollten natürlich alle gewinnen: die Umweltzerstörer und die Zerstörungsopfer, weil aus dem Umweltverbrechen noch ein seriöses Geschäft gemacht wurde. In Kyoto und den Folgekonferenzen wurde dieses Prinzip auf den Treibhausgasausstoß schon mal praktisch angewandt. Die USA geben z.B. Russland Geld — weil dort aktuell weniger Treibhausgase produziert werden — dürfen dafür weiter ungestört CO2 in die Umwelt pusten. Russland verkauft ungenutzte Umweltzerstörungszertifikate an die USA.
Gleichzeitig sollten alle denkbaren Sonderformen von Nichtumweltzerstörung in Preise verwandelt und die Rechnung miteinbezogen werden: Aufforstungen von Wäldern und Landflächen (sog. CO2-Senken), Umweltprogramme im Rahmen von Entwicklungshilfe, ja sogar der Bau von Atomkraftwerken in den armen Ländern und finanziert durch die reichen. Der Ansatzpunkt wurde 1991 vom heutigen US-amerikanischen Finanzminister ausgerufen: die Dritte Welt wäre "scandalously underpolluted", könnte also noch gut Geld einsacken, damit die USA weiter freveln können.
Das gesamte Konzept von Kyoto und jetzt Den Haag gibt sich überaus marktwirtschaftlich, wenn es aber einmal wirklich funktionieren sollte — was definitiv niemals der Fall sein wird — wäre es zutiefst unmarktwirtschaftlich, setzt, wie der SPD-Umweltpolitiker Scheer zu Recht erkennt, zentrale Planung und Investitionslenkung voraus. Dann — und das unterstützen wir als SozialistInnen sofort — sollte doch gleich eine demokratische Planwirtschaft eingeführt werden.
So aber wird Kyoto scheitern. Es wird die nächste Großkonferenz 2012 mit Sicherheit keine Aussöhnung von Natur und Kapitalismus bringen, von Markt und Ökologie. Und die in anderen Dingen so selbstbewusste bürgerliche Klasse wird weiterhin nach ihrer systemkonformen Lösung der Umweltkrise und der dazu passenden Ideologie suchen.

Thies Gleiss

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