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Konkrete Gestalt hat die Armee der Europäischen Union angenommen: Am 20. November trafen sich die
Außen- und Verteidigungsminister der EU in Brüssel, um sich über die Anteile der einzelnen Länder zu verständigen. Mit
Ausnahme von Dänemark wollen sich alle Staaten an den Krisenreaktionskräften beteiligen.
Insgesamt gab es Zusagen von über hunderttausend Soldaten. Damit steht der beim
EU-Gipfel in Helsinki Ende 1999 angepeilten Größe der Truppe von rund 60000 Soldaten nichts mehr im Wege. Dazu kommen 100
Kriegsschiffe und 400 Kampfflugzeuge. Besonders brisant: die neue Truppe soll nach Presseberichten einen Einsatzradius von 4000 Kilometern rund um
Brüssel haben. Die Entfernung macht Einsätze im Nahen Osten, im Kaukasus oder in Nordafrika denkbar.
Wie die Krisenreaktionskräfte der EU eingesetzt werden könnten, hat der
deutsche Außenminister Joseph Fischer in einem Interview Anfang November angedeutet. "Wenn wir im Nahen Osten oder in Asien den Ruf
nach einer stärkeren deutschen Rolle hören, dann ist damit immer der Ruf nach einer stärkeren Rolle Europas gemeint. Aber dieses
Europa, das politisch weltweit handeln und Verantwortung übernehmen kann, gibt es noch nicht. Das müssen wir erst schaffen."
Und Deutschland beteiligt sich nicht zu knapp: Laut Verteidigungsminister Rudolf Scharping
wird die Bundesrepublik 30000 Soldaten stellen, wobei 18000 in ständiger Bereitschaft sind. Damit stellen die Deutschen den größten
Anteil, gefolgt von Großbritannien und Frankreich mit 12500 und 12000 SoldatInnen. Bis zum Jahre 2003 soll die Truppe nach den Beschlüssen
von Helsinki einsatzfähig sein. Die deutsche Dominanz wird noch dadurch verstärkt, dass die Bundesrepublik mit Rainer Schuwirth den
Vorsitzenden des EU-Militärstabs stellt, was sie in einem harten Streit gegen Frankreich durchgesetzt hat.
Eine Woche vor der Truppenstellerkonferenz hatten die Außen- und
Verteidigungsminister die Westeuropäische Union (WEU) in die Bedeutungslosigkeit geschickt. Die wichtigsten militärischen Funktionen wurden
der EU übertragen, so etwa die Zuständigkeit für Kriseneinsätze. Logistisch wurde die WEU ausgeschlachtet. Die EU bekommt das
Satellitenzentrum der WEU im spanischen Torrejon sowie das Zentrum für militärische Studien in Paris.
Ebenfalls von der WEU übernommen wurde die Aufgabenstellung, die sog.
Petersberg-Aufgaben. Sie umfassen humanitäre Hilfe, Evakuierungsoperationen, sowie friedenssichernde und friedenserzwingende Maßnahmen,
also Kampfhandlungen. Auch hierfür ist jetzt die EU zuständig.
Übrig bleibt von der WEU nur noch ein Gerippe, nämlich die politischen
Strukturen. Denn Artikel 5 des WEU-Vertrags enthält eine Beistandspflicht für ihre Mitglieder, die über die der NATO hinausgeht. In der
Praxis hat die WEU nun nichts mehr zu tun. Selbst die Ausbildung der albanischen Polizei, die die WEU bisher durchführte, fällt nun unter EU-
Zuständigkeit.
Mit Argusaugen wurde die Truppenstellerkonferenz der EU in den USA verfolgt. Um
Befürchtungen entgegenzutreten, die EU mache sich selbstständig und koppele sich von der NATO ab, beschwört die EU in ihrer
Erklärung vom 20.November, dass nicht an eine europäische Armee gedacht sei. Es ginge nur um autonome "Fähigkeiten"
der EU, die die EU einsetzen könnte, wenn die NATO nicht aktiv wird.
Dabei muss die EU bislang auf amerikanische Mittel zurückgreifen. Kriege wie gegen
Jugoslawien gelten bisher für die EU-Staaten als mehrere Nummern zu groß. Der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses,
der deutsche General a.D. Klaus Naumann, beklagt in der Welt am Sonntag die "fehlenden Führungs- und
Aufklärungskapazitäten", die Unfähigkeit zu "elektronischer Kampfführung", "die unzureichenden See- und
Lufttransportkapazitäten", "die unterentwickelte Fähigkeit, aus sicherem Abstand Präzisionschläge
auszuführen", sowie mangelnde "Interoperabilität der nationalen Kontingente".
Naumann befürchtet, dass die EU-Truppe und somit der deutsche Einfluss an
unzureichender Finanzierung leiden. In Deutschland, so Naumann, fehle es "keineswegs an Geld, dafür aber am Willen". "Ohne
deutschen Beitrag aber läuft weder in der NATO noch in der EU irgendetwas."
"Hätten die EU-Minister wenigstens eine bindende Verpflichtung
beschlossen", klagt Naumann, "dann hätte man wenigstens sagen können: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Europa
militärisch handlungsfähig wird. Doch nichts dergleichen."
Mögen auch die finanziellen Mittel noch zu gering sein, um in einer Liga mit den USA
spielen zu können, so fehlt es zumindest rhetorisch der EU nicht an Selbstbewusstsein. Im Februar hat die Europäische Kommission in ihrem
Papier "Strategische Ziele 20002005" die Rolle Europas in der Welt skizziert. Die EU wird dort als "Modell" bezeichnet, das
der Welt zeige, dass eine "immer engere Einigung der Völker" möglich sei.
"Die Welt erwartet von Europa eine entschlossene Führungsrolle", so die
Kommission von Romano Prodi. Wenige Sätze weiter ist die Rede von einem Europa, das Hervorhebung im Original "eine
originäre Führungsrolle in der Welt spielen kann". Über die Nachbarstaaten der EU heißt es, sie hätten "die
Chance, an diesem Wohlstand teilzuhaben, und wir haben die einzigartige Gelegenheit, ihnen dies zu ermöglichen".
Vier strategische Ziele gibt die Kommission für die nächsten vier Jahre an
den Zeitraum, in dem die europäischen Krisenreaktionskräfte einsatzbereit sein sollen. Das erste Ziel ist, die europäischen
Entscheidungsprozesse zu reformieren. "Ein stabileres Europa mit einer stärkeren Stimme in der Welt" ist Ziel Nummer Zwei. Europa solle
bereit gemacht werden, "die Führung beim Aufbau einer neuen globalen Wirtschaft zu übernehmen". Ziel drei und vier sind eine
"neue wirtschafts- und sozialpolitische Agenda" sowie "höhere Lebensqualität".
"Die Schwäche des internationalen Systems, die wachsende Zahl von
Konflikten, die Zunahme der Armut und die Ausbreitung des Organisierten Verbrechens verlangen von der Union ein entschlossenes Vorgehen",
postuliert die Kommission.
"Unser Ziel muss es sein, Europa zu einem Akteur auf der Weltbühne zu
machen, einem Akteur, dessen politisches Gewicht seiner Wirtschaftskraft entspricht, der mit einer starken Stimme sprechen und in die Gestaltung der
internationalen Politik entscheidend eingreifen kann."
Kommissionspräsident Romano Prodi bekräftigte am 15.Februar die
Ambitionen der EU: "Europa muss eine gesellschaftliche Weltmacht im Dienste einer nachhaltigen Entwicklung in der ganzen Welt werden",
erklärte Prodi vor dem Europäischen Parlament. Nicht ohne klarzustellen: "Es hat überhaupt nichts mit imperialistischen Ambitionen
zu tun, wenn wir danach streben, dieses Modell auf die nach Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit trachtenden Völker im Osten und Süden zu
übertragen und mit ihnen zu teilen."
Dirk Eckert
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