Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 07.12.2000, Seite 12

Mumia Abu-Jamal

‘Neuer Prozess wäre ein großartiger Sieg‘

Einen fairen Prozess hat es für Mumia Abu-Jamal, Journalist und ehemaliger Black-Panther-Aktivist, nie gegeben. So sitzt er in Philadelphia in der Todeszelle, während sich seine Anwälte und eine internationale Solidaritätsbewegung um einen neuen Prozess bzw. seine Freilassung bemühen. Mit Steve Bloom (New York), führender Aktivist des "Bündnisses zur Freilassung von Mumia Abu-Jamal" und Mitglied der revolutionär-sozialistischen Organisation Solidarity, sprachen Eckart Thiel (Radio Lora) und Paul B. Kleiser.


Kannst du uns die Hintergründe des "Falls" Mumia Abu-Jamal darstellen, was er getan haben soll und wofür er verurteilt wurde?

Steve Bloom: In den 60er Jahren war Abu-Jamal ein Mitglied der Black Panther Party, als er noch Schüler an der High School war, dann wurde er Radiojournalist in Philadelphia. Er unterstützte immer die Befreiungsbewegung der Schwarzen, vor allem gegen das Establishment in Philadelphia, wie etwa Polizei und Stadtverwaltung.
Für seine Artikel und seine Radiosendungen hat Abu-Jamal eine Reihe von Preisen gewonnen. Allerdings konnte er davon nicht leben und verdingte sich nachts als Taxifahrer. Am 9.Dezember 1982 ereignete sich ein Zwischenfall, als er in den Rotlichtbezirk von Philadelphia fuhr. Er geriet in eine Auseinandersetzung, die sein Bruder mit der Polizei führte.
Bis hierher ist die Angelegenheit unbestritten. Über alles weitere wird bis heute gestritten. Ein Polizist wurde angeschossen und starb darauf. Auch Abu-Jamal wurde bei dieser Auseinandersetzung verwundet. Die Anklage behauptet, Abu- Jamal sei in Zorn geraten, weil die Polizei seinen Bruder beschimpft habe; er habe dann seine Pistole gezogen und den Beamten niedergeschossen.
Die Tat erfolgte wirklich mit der Pistole, die auf Abu-Jamal registriert war. Man muss aber wissen, dass alle Taxifahrer in Philadelphia bewaffnet sind, da sie häufiger angegriffen wurden. Es steht außer Zweifel, dass die tödlichen Kugeln aus Abu-Jamal Pistole kamen und dass Abu-Jamal einen Schuss aus der Pistole des Polizisten abbekam.

Was sagt Abu-Jamal dazu?

Steve Bloom: Abu-Jamal behauptet, er habe keinen Schuss abgegeben. Jedoch hat sich Abu-Jamal nie zum genauen Hergang der Auseinandersetzung jener Nacht geäußert. Er sagt, er warte auf einen fairen Prozess, in dem er seine Sicht der Dinge vor einer Jury, die ihm auch zuhört, darlegen könne. Beim ersten Prozess hat er sich nicht geäußert, weil er ihn für ungesetzlich und ungerecht hielt.
Inzwischen haben die Anwälte eine Reihe von Fakten zusammengetragen. Die Polizei behauptete, es hätte Augenzeugen gegeben, und solche haben im Prozess auch ausgesagt, Abu-Jamal habe die Schüsse abgegeben. Doch bei den ersten Vernehmungen haben die Zeugen nicht behauptet, dass Abu-Jamal geschossen hat. Viele sagten, es sei jemand nach der Schießerei vom Ort des Verbrechens weggerannt.
Viele Zeugen haben in der Berufungsverhandlung ausgesagt, sie seien von der Polizei unter Druck gesetzt worden, ihre Geschichten abzuändern. Ein Mann erzählte, die Polizei hätte ihm gesagt, seine Geschichte sei falsch und er müsse sie neu schreiben. Außerdem habe man ihm gedroht, ihn aus der Stadt zu werfen und sein Geschäft zu zerstören, sollte er nicht vortragen, was die Polizei von ihm erwartete.

Gab es auch Zeugen, die gesehen haben wollen, wie Abu-Jamal schoss?

Steve Bloom: Die einzige Person, die vor Gericht ausgesagt hat, sie habe Abu-Jamal feuern gesehen, war eine sich in diesem Bezirk aufhaltende Prostituierte. Heute sagt sie, sie habe vor Gericht gelogen, weil die Polizei ihr gedroht habe, sie mit einer Reihe von Verfahren zu überziehen, wenn sie nicht die gewünschte Story abliefere. Außerdem würde man ihr die Kinder wegnehmen. In Wirklichkeit befand sie sich zum Zeitpunkt der Schießerei gar nicht am Tatort.
Im ersten Prozess wollte sich Abu-Jamal selbst verteidigen, doch schließlich untersagte ihm der Richter dieses Ansinnen. Man gab ihm einen Pflichtanwalt, der gebeten hatte, nicht mit der Sache befasst zu werden, weil er völlig unvorbereitet war, den Fall zu verteidigen. Später wurde dieser Anwalt wegen Pflichtverletzung von seinen Pflichten entbunden. Er interviewte die Zeugen nicht vor dem Prozess, er machte keine Anstalten, die ballistischen Fragen vorab zu klären oder nach weiteren Zeugen zu suchen.
Inzwischen haben Ballistikexperten herausgefunden, dass Abu-Jamal nicht hätte verwundet werden können, wenn sich der Sachverhalt so zugetragen hätte, wie die Polizei behauptet. Und es gibt zahlreiche weitere Ungereimtheiten. Es steht inzwischen auch fest, dass Abu-Jamal von der Polizei geschlagen wurde. Als er im Hospital ankam, war sein Gesicht so entstellt, dass seine eigene Schwester ihn nicht erkannte.

Wie ging es nach der Verurteilung weiter?

Steve Bloom: 1995 gab es eine Berufungsverhandlung in Philadelphia, doch dieser Verhandlung stand derselbe Richter vor, der schon den ersten Prozess geführt hatte. Nun wurden aus dem Protokoll erhebliche Beweise entfernt, etwa das Bekenntnis der genannten Zeugin, sie habe vor Gericht falsches Zeugnis abgelegt. Der Richter sagte einfach, er glaube ihr diesmal nicht. Daher fand der Richter keine Grundlage für einen neuen Prozess. Vor zwei Jahren ging der Fall dann zum Obersten Gericht des Staates Pennsylvania, der die Entscheidung des Richters abzeichnete.
Jetzt liegt die Berufung auf der Bundesebene, beim Federal District Court, der ersten Ebene der Bundesgerichtsbarkeit. Abu-Jamals Anwälte haben einen Schriftsatz eingereicht, der die Anordnung eines neuen Prozesses verlangt. Im Moment kann das Todesurteil gegen Abu-Jamal nicht vollstreckt werden, da sich sein Fall noch in der Schwebe befindet.
Sollte aber die Berufung scheitern, dann könnte das Urteil rasch vollstreckt werden. Der Federal District Court wird den Fall so oder so entscheiden, aber dann wird es in die nächste Instanz gehen, denn entweder die Anwälte oder der Staatsanwalt werden gegen die Entscheidung Berufung einlegen. Danach würde noch die Möglichkeit bestehen, vor den Supreme Court — das Oberste US-Gericht — zu ziehen.
Doch dieses Gericht muss den Fall nicht annehmen, und oft verweigert es die Annahme von Fällen. Wenn alle diese Verfahren scheitern sollten, gäbe es nur noch die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Gouverneur des Staates oder den US-Präsidenten. Aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass einer von beiden etwas tun würde. Der amtierende Gouverneur hat im Fall von Abu-Jamal bereits zwei Hinrichtungsbefehle unterzeichnet, einen vor der Berufung von 1995 und einen nach der Entscheidung des Höchsten Gerichts des Staates Pennsylvania, aber vor der Eingabe bei den Bundesgerichten.

Inzwischen gibt es eine bedeutsame Solidaritätskampagne zugunsten von Mumia Abu-Jamal. Wer nimmt daran teil, organisiert oder unterstützt die Kampagne? Was sind die Folgen für die Linke in den USA?

Steve Bloom: An der Kampagne nimmt ein breites Spektrum von verschiedenen politischen Organisationen und Einzelpersonen teil, von der sozialistischen Linken zu liberalen Politikern, oder auch Berühmtheiten aus Hollywood. Auch der Zusammenschluss der schwarzen Abgeordneten des US-Kongresses hat sich zugunsten von Abu-Jamal ausgesprochen und einen neuen Prozess verlangt.
Der Großteil des liberalen Lagers unterstützt Abu-Jamal, weil es eben eine breite Massenbewegung gibt. Dies zeigte sich auch in einigen Demonstrationen, an denen zehntausende Menschen teilgenommen haben. Doch die Bewegung hat auch andere Formen angenommen und sie ist nicht nur eine linke Bewegung, sondern greift weit über die organisierte Linke in den USA hinaus.
Natürlich gab es unter den AfroamerikanerInnen eine erhebliche Unterstützung für Abu-Jamal, da er ja als eine Art Sprecher angesehen wird. Abu-Jamal ist als eloquenter Schriftsteller bekannt, der sich präzise ausdrücken kann und der die Lebensbedingungen der Armen und Unterdrückten in den Staaten gut beschreibt.
Daher hat er den Titel "Voice of the Voiceless" — Stimme der Menschen ohne Stimme — bekommen. Er hat einige Bücher geschrieben, und er sollte auch einen wöchentlichen Kommentar bei einer nationalen Radiostation bekommen, unter dem Titel "Leben in der Todeszelle". Doch dann gab es so großen Druck von rechts und vom Polizei- Establishment, dass das National Public Radio (NPR) den Vertrag mit Abu-Jamal aufkündigte.
So sind seine Kommentare als Buch und auf CD erschienen. All dies wegen der Qualität seiner Artikel und seiner Reden. Sie haben unter den Schwarzen, aber auch den Radikalen der USA ein erhebliches Echo ausgelöst. Um eine Vorstellung von der Breite der Unterstützung zu geben: Er wurde in den letzten beiden Jahren eingeladen, die Schuljahreröffnungsrede an drei Colleges zu halten, auch an der Kent State University in Ohio, einer staatlichen Universität, die nicht gerade für irgendwelche linken Aktivitäten bekannt ist. Kent war bekannt geworden durch ein Massaker an Studenten während des Kampfes gegen den Vietnamkrieg 1970, aber heute ist davon wenig geblieben.

Wie kann er an den Unis auftreten, wenn er doch im Gefängnis sitzt?

Steve Bloom: Er hat ein Tonband geschickt, das dann vorgespielt wurde. Die Band "Rage against the machine" gab eine großes Benefiz-Konzert in einem Stadion in New Jersey für Abu-Jamal. Die meisten gingen natürlich nicht hin, um Abu-Jamal zu hören, sondern um die Band zu sehen, aber die politische Rechte schrie auf.
All dies zeigt, dass Abu-Jamal als Person und als Fall, bei dem es um Gerechtigkeit geht, verstanden wird. Es gibt auch Auswirkungen auf internationaler Ebene. Amnesty International hat sich seit kurzem der Sache angenommen und verlangt einen neuen Prozess, und das Europäische Parlament hat eine Resolution mit gleicher Tendenz verabschiedet.

Es wird ein fairer Prozess gefordert, aber auch seine Freilassung. Wie verhalten sich diese beiden Forderungen zueinander?

Steve Bloom: Das Ziel der Kampagne hängt natürlich von denen ab, die sie betreiben. In den USA gibt es recht viele AktivistInnen, die meinen, dass die einzig richtige Forderung die nach seiner Freilassung ist. Unsere Koalition heißt "Bündnis zur Freilassung von Mumia Abu-Jamal" in New York. Wir sagen, dass er unschuldig ist und daher freigelassen werden muss. Die Gesetze der USA sprechen von "vernünftigem Zweifel", und jeder, der sich die Akten genau durchsieht, wird nicht umhin können, jenen "vernünftigen Zweifel" an der Schuld zu bekommen.
Auch viele Gewerkschaften haben Resolutionen verfasst. Sie verlangen jedoch in aller Regel einen neuen Prozess, denn man kann ziemlich leicht zeigen, dass er beim ersten Mal keinen fairen Prozess bekommen hat. Und auch Hollywood- Größen oder Kongressabgeordnete nehmen in der Regel denselben Standpunkt ein. Im Allgemeinen sagt man, dass alles, was das Bewusstsein hebt und zu seiner Freilassung beiträgt, positiv ist und alle das machen sollen, von dem sie glauben, dass es am besten hilft.
Niemand kann daran zweifeln, dass schon ein neuer Prozess ein großartiger Sieg wäre, denn bei all den neuen Beweisen würde sich jener "vernünftige Zweifel" vor einer neuen Jury schnell einstellen. Wir würden es aber nicht als Sieg ansehen, wenn der Gerichtshof nur die Todesstrafe aufhöbe, denn das hieße, dass Abu-Jamal den Rest seines Lebens hinter Gefängnismauern zu verbringen hätte. Und dafür treten wir natürlich nicht ein.

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