Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 07.12.2000, Seite 14

Neu im BDI

Durchgeknallter Freiheitskämpfer

Ich wollte mich mit 60 aus dem operativen Geschäft zurückziehen und zusammen mit meiner Frau das Leben genießen. Aber so viel zu Hause, das wäre wie ein Käfig." Das hat er also vorgehabt, der Michael Rogowski, Vorstandsvorsitzender und zuletzt Aufsichtsratschef des Maschinenbau-AG J.M.Voith. Doch dann ist er ganz nah an die Gitterstäbe des Käfigs gegangen, hat alle Kräfte gesammelt und laut gerufen: "Gebt uns die Freiheit zurück!" Das hörten die Knappen vom Bundesverband der Deutschen Industrie und dachten: "Das ist es." So wurde er zum neuen Präsidenten des BDI gewählt.
Und so darf er denn auf allen Kanälen die Schwarte krachen lassen. Zum Beispiel im Interview des Marc Beise von der Süddeutschen Zeitung. "Gebt uns die Freiheit zurück! — das wird mein Credo sein. Ich will mithelfen, die soziale Marktwirtschaft wieder auf die Beine zu stellen. Die haben wir nämlich in den letzten 50 Jahren auf den Kopf gestellt. Vor lauter Gleichmacherei haben wir vergessen, dass es — krass gesagt — die Ungleichheit ist, die den Wettbewerb befördert und damit auch den Wohlstand."
Er hat wirklich "wir" gesagt. Diese spezielle Differenztheorie wird den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Clement aufhorchen lassen. Sucht er als Chef der SPD-Programmkommission doch seit einiger Zeit nach einem modernen Gerechtigkeitsbegriff, der genau dies integriert, dass soziale Ungleichheit die Triebfeder des Fortschritts ist.
Vielleicht sollte auch Clement einmal sich auf dem Kopf stehend in einem Käfig einsperren lassen, um sich mit Rogowksi abzustimmen. Und wenn sie dann beide wieder hinauskommen, wird es sicherlich genügend Hilfsbereite geben, die der modernen und gerechten Differenztheorie einen modernen und gerechten Namen geben: Sozialdarwinismus. Und darin werden die Antworten auf Fragen gegeben, die unseren Rogowski quälen: "Setzen wir ausreichende Anreize, damit die Arbeitslosen aus eigenem Antrieb ein eigenes Einkommen anstreben? Diese Fragen gehören doch alle auf dem Prüfstand: Wie lange sollen wir Arbeitslosenhilfe gewähren? Und unter welchen Voraussetzungen? Wie lange sollen wir Sozialhilfe zahlen?"
Und wenn dann außerhalb des Käfigs die eifrigsten Sozialdarwinisten zur Sache gehen, und Sozialhilfeempfang auf ihre Weise beenden, dann können Clement und Rogowski immer noch zu Haudrauf Schröder eilen und einen Aufstand der Anständigen ausrufen.
Das wiederum würde Schröder zurück zu dem finden lassen, was Rogowski bei ihm zur Zeit vermisst: "Vor allem aber vermisse ich bei der Regierung Schröder die klare Linie, die Vision. Es gab sie einmal mit dem Schröder/Blair-Papier. Das war ungeschickt inszeniert, aber in der Sache erfreulich freiheitsorientiert. Jetzt aber ist der Bundeskanzler auf dem Trip des reinen Pragmatismus und setzt dabei auf den unseligen Teil des Korporatismus, jene Strömungen, die immer noch sehr konservativ sind, um nicht zu sagen sozialträumerisch, und ihre Wurzeln in den Gewerkschaften haben, speziell in der IG Metall."
Wie so eine Vision aussehen könnte, verrät der BDI-Chef ein paar Minuten später. Seine Freiheit heißt vor allem frei von Steuern: "Ich plädiere deshalb als nächsten Schritt für ein echtes Umsteuern. Die Entstehung der Wertschöpfung sollte von der Steuer freigestellt und nur die Inanspruchnahme der Wertschöpfung besteuert werden." Nanu? Will da jemand den "Inanspruchnehmern der Wertschöpfung", also den Unternehmern, die sich den in den Betrieben erwirtschafteten Mehrwert aneignen, eine deftige Steuer aufdrücken? Aber nein, das ist nur BDI-Ideologendeutsch und bedeutet: Abschaffung der direkten Steuern und Erhöhung der indirekten Steuern. (Aber gegen die Ökosteuer hetzen…) Für diesen Zweck will der Freiheitskämpfer Rogowski das ganz große Ding drehen: das "Bündnis für Arbeit" hätte nämlich durchaus noch Sinn, aber nur "wenn es mir gelingt, aus dem Bündnis für Arbeit ein Bündnis für mehr Freiheit zu machen oder ein Bündnis für mehr netto."
Jetzt aber schnell zurück in den Käfig, bevor er völlig durchknallt.

Thies Gleiss

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