Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 07.12.2000, Seite 15

Tom Tom Club

The goood, the bad and the funky

Die Rhode Island School of Design in New York gehört zu einer der Wiegen des Punk. Hier lernten sich unter anderem Tina Weymouth, Chris Frantz und David Byrne Anfang der 70er Jahre kennen. Zusammen gründeten sie die Talking Heads, zu denen 1976 nach einem Konzert in Boston Jerry Harrison stieß, der sie dort gesehen hatte.
Ob die Tatsache, dass Tina und Chris aus Soldatenfamilien stammten, Einfluss darauf hatte, dass sie die Rhythmusabteilung der Talking Heads wurden ist anzunehmen. Dass sie ihr eigenes Projekt Tom Tom Club nannten, zeugt auf jeden Fall von einem humorvollen Umgang. Doch so innovativ wie das Musizieren zusammen mit David Byrne auch gewesen sein muss, so anstrengend scheint der Mensch Byrne gewesen zu sein. Bereits 1981 gründeten die beiden den Tom Tom Club. "Wordy Rappinghood" war ihre erste Single, die in einer Menge Charts weltweit landete. Hier bewiesen die beiden, dass sie auch ohne ihren Chef Byrne Trends setzen konnten. Freestyling Rap über funkigen Melodien, das war neu. Es folgten noch vier Alben bis 1992, von denen das dritte, Boom Boom Chi Boom Boom, besonders hervorzuheben ist, da es wiederum durch seinen krassen Stilwechsel auffiel: Nun spielte der Tom Tom Club auf einmal minimalistischen Rock.
In der Folgezeit ab 1992 war kaum etwas von Tina und Chris zu hören. Sie produzierten Ziggy Marley und Shirley Manson (Garbage) und ihre Songs wiederum wurden remixed. (Unter anderem von Grandmaster Flash: "The genius of love").
Besonders zu erwähnen ist vielleicht vielleicht noch die Escape from New York Tour zusammen mit Debbie Harry (Blondie), The Ramones und Jerry Harrison, eben jenen frühen Figuren des New York Punk. Diejenigen, die diese Tour sahen unterstreichen alle wie einmalig dieses Ereignis war.
Bei solch einer Vorgeschichte ist die Neugierde, die dem aktuellen Album vorausging sicherlich nachzuvollziehen. Tina Weymouth erklärte in einem Interview in Eins Live, dass sie vorgehabt hätten ein Album für die Jugend des neuen Jahrzehnts herauszubringen, eine Jugend die tanzen und Spaß haben wolle. Es bleibt sicherlich zu fragen was die Jugend dieses Jahrzehnts in diesen Punkten von jeder anderen jungen Generation unterscheidet. Der Unterschied zu anderen Generationen von Jugendlichen (wobei klar ist, dass es die Jugendlichen nicht gibt), liegt mehr darin, was sie scheinbar nicht wollen: nämlich rebellieren. Wenn dies stimmt, ist der Wandel der Musik des Tom Tom Club zeitgemäß.
Der erste Song, der mir besonders durch seinen abrupten Anfang gefällt, "Time to bounce", hat nichts mehr mit "Fight four your right…" zu tun, sondern gilt für die jüngeren Geschwister derjenigen, die das Recht auf Party bereits durchgesetzt haben. Ansonsten steht die Platte ganz im Zeichen postmoderner Gestaltung: Alles geht. Das bedeutet nicht etwa neue Experimente wagen, als viel mehr, von anderen abgucken und den eigenen Senf dazugeben. In "She‘s dangerous" erinnert das Arrangement an Ziggy Marley und "She‘s a freak" kommt im Garbage Sound daher. Ansonsten bietet die Platte alles, vom nachgemachten Kratzer einer Vinylscheibe, bis zu gutem Dub Sound.
Es bleibt die Frage: Ist das der Sound des neuen Jahrzehnts oder eine Retrospektive der Produzentenarbeit von Tina Weymouth und Chris Frantz. Wahrscheinlich beides. Erst wenn sich Jugendliche ihre Rebellion zurückholen, wird es auch wieder einen Musikstil geben, der Ausdruck dieser Rebellion ist. Bis dahin bleibt die Möglichkeit mit dem Vorhandenen zu spielen, es in Frage zu stellen und weiterzuentwickeln. Dafür ist diese Scheibe ein guter Ausdruck.
Dass die Stücke hervorragend produziert, Charles Pettigrew — seines Zeichens Soul-Sänger — und auch die Gastmusiker und Musikerinnen ebensolche hervorragenden Profis sind, die Musik einprägend ist, will ich nicht abzustreiten. "Happiness can‘t buy money" hat gar das Zeug zum Ohrwurm, und dennoch fehlt der Kick bei dieser Platte. Sie gehört vor allem nicht zu jenen Produktionen, die durch häufiges Hören besser werden. Doch wenn der Tom Tom Club im Februar und März nächsten Jahres auf Europatournee geht, ist der Besuch eines Konzerts sicher eine lohnenswerte Sache.

Tommy Schroedter

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