Sozialistische Zeitung |
Während der Druck auf die türkische Regierung zugenommen hat, den Forderungen der Gefangenen
nachzugeben, machen Ultrarechte in der Türkei und im Ausland mobil.
Anfang Dezember sah es fast so aus, als käme es zu einem Kompromiss zwischen
der türkischen Regierung und den fast 1000 hungerstreikenden Gefangenen. Der türkische Ministerpräsident Ecevit erklärte, dass
die Einführung der Isolationszellen vorerst zurückgestellt werde. Außerdem hatte er die Freilassung kranker Gefangener in Aussicht
gestellt. Doch die Vorschläge erhielten keine wirklichen Zugeständnisse: Schon mehrmals machten Regierungsvertreter klar, dass für die
Einführung der Isolationszellen noch Schulungen von Personal und einige Gesetzesänderungen notwendig seien, die mehrere Monate Zeit
brauchten. Auch die Freilassung von einigen tausend Gefangenen ist schon seit längerem erbittertes Streitthema in der türkischen Koalition.
Justizexperten wiesen darauf hin, dass für die gegenwärtig über
zehntausend politischen Gefangenen niemals genügend Einzelzellen zur Verfügung stehen. Von der geplanten Amnestie sollen in erster Linie
Gefangene der Mafiastrukturen und noch inhaftierten Terroristen der faschistischen Grauen Wölfen profitieren. Hingegen dürften linke
Gefangene nur in den Genuss der Amnestie kommen, wenn sie sich verpflichten, die bestehenden Verhältnisse anzuerkennen und ihren
ursprünglichen politischen Zielen abzuschwören.
Ob die Gefangenen des Öcalan-Flügels der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK),
die diese Voraussetzungen eigentlich schon erfüllt haben, in den Genuss der Amnestie kommen sollen, ist in der politischen Arena von Ankara noch
offen.
Das Militär und die rechtsextreme Regierungspartei MHP wollen davon nichts
wissen. Sicher ist jedenfalls, dass alle führenden Aktivisten und Aktivistinnen der noch aktiven linken Organisationen von der Amnestie ausgeschlossen
blieben. Sie sind die eigentliche Zielgruppe für die neu errichteten Isolationsgefängnisse nach EU-Norm.
Daher bezeichneten die hungerstreikenden Gefangenen die Regierungserklärung als
leicht durchschaubare Demagogie und setzen ihren Kampf fort. Währenddessen machen auch in der Türkei MHP und andere rechte Gruppen
gegen die Gefangenen und die Solidaritätsbewegung mobil. Am 12.Dezember griffen Graue Wölfe, die Terrorabteilung der MHP, eine
Solidaritätsdemonstration für den Widerstand der Gefangenen an, die anschließend auch noch von der Polizei mit Schlagstöcken
zusammengeschlagen wurde.
Es gab zahlreiche Schwerverletzten und vielen Festnahmen. In Istanbul marschierten am
12.Dezember mehr als 3000 Polizisten in Uniform auf, um gegen jeglichen Kompromiss in der Gefangenenfrage mobil zu machen und die Position der
Ultrarechten in der Regierung zu stärken.
Am 9.Dezember wurde der in Belgien lebende Migrant aus der Türkei, Safer Dereli,
in der Rotterdamer Innenstadt von türkischen Faschisten erstochen. Wie in vielen anderen europäischen Städten haben auch in der
Rotterdamer Innenstadt türkische Linke in einem Zelt auf einem öffentlichen Platz den Gefangenenwiderstand in der Türkei mit einen
Solidaritätshungerstreik unterstützt. Dabei gab es wiederholt Angriffe türkischer Faschisten auf das Zelt der Aktivisten.
Anfang Dezember erreichten die Attacken einen Höhepunkt. Das Komitee gegen
Isolationshaft (IKM) macht auch den türkischen Staat für den Tod von Dereli mitverantwortlich. Schließlich ist die MHP Teil der
Regierungskoalition in Ankara. Die Hamburger IKM-Sprecherin Selda Delgiz erinnert daran, dass in einem Istanbuler Armenviertel ein Jugendlicher von der
Polizei erschossen wurde, als er Solidaritätsplakate für die Hungerstreikenden klebte.
Die rechte Offensive ist eine Antwort auf den innenpolitische Unterstützung, die die
Forderung der hungerstreikenden Gefangenen in den letzten Wochen erfahren hatte. Führende Intellektuelle hatten in mehreren türkischen
Städten mit Solidaritätshungerstreiks begonnen und ihre Vermittlung in dem Konflikt angeboten. Auch die Ärztekammer sowie
verschiedenen linke Parteien unterstützen die Forderungen der Gefangenen.
Auch im Ausland nimmt die Solidarität weiter zu. Am 20.Dezember traten die
Gefangenen der Guerilla-Organisationen Grapo und PCE(r) in einen einwöchigen Solidaritätshungerstreik und riefen politische Gefangene aus
anderen Ländern dazu auf, sich an der Aktion zu beteiligen.
Doch die Zeit wird knapp. Das Leben mehrerer Gefangener, die durch vorangegangene
Widerstandsaktionen sowie polizeilicher Folter in schlechter gesundheitlicher Verfassung sind, ist mittlerweile akut bedroht. Viele Angehörige
befürchten, dass sich eine Situation von 1996 wiederholen könnte. Damals starben zwölf Gefangene, bevor die Regierung ihren
Forderungen nachgegeben hatte.
Peter Nowak
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