Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.26 vom 21.12.2000, Seite 7

Ab 1.1.2001 Erziehungsgehalt

Wieder eine Neuauflage der Hausfrauenehe?

Die Möglichkeit der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit der Frauen war seit Beginn der Industrialisierung eng mit der wirtschaftlichen und strukturellen Entwicklung der Industriegesellschaft verbunden. Immer dann, wenn die Wirtschaft die Arbeitskraft der Frauen benötigte, stand ihrer Erwerbstätigkeit nichts im Wege. Zu Zeiten eines Überangebots von um bezahlte Arbeit Nachsuchenden jedoch wird die Notwendigkeit der kindlichen Versorgung und der Hilfe von Pflegebedürftigen im eigenen Haushalt ganz hoch aufgehängt und die Berufstätigkeit der mit Sorgearbeit behafteten Frauen generell problematisiert.
Darauf, dass das Bundeserziehungsgeldgesetz eine Maßnahme ist, um den Arbeitsmarkt von Frauen, die gleichzeitig Sorgearbeiten leisten, zu entlasten, haben Wissenschaftlerinnen schon lange hingewiesen. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die 1995 in den neuen Bundesländern durchgeführt wurde, greift die Maßnahme voll: Trotz des "besonderen Kündigungsschutzes", den Mütter nach §18 des Bundeserziehungsgeldgesetzes genießen, werden 45% der befragten Frauen nach Ablauf des "Erziehungsurlaubs" nicht wieder in ihrem früheren Betrieb beschäftigt. 34% der "Erziehungsurlauberinnen" verloren noch vor Beendigung des "Erziehungsurlaubs" ihren Arbeitsplatz.
Häufig erfolgen Entlassungen unmittelbar nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Heute wird dieses Gesetz in vielen Verlautbarungen aus Politik, Praxis und Wissenschaft als ein Gesetz angesehen, das für junge Frauen ein erhebliches Beschäftigungsrisiko mit sich bringt, für die Berufschancen junger Männer jedoch keine Auswirkungen hat. An der traditionellen Arbeitsteilung "Haupternährer" und "Zuverdienerin" ändert auch die ab dem 1.Januar 2001 geltende Reform des Gesetzes nichts.
Obwohl die Nachteile von Berufsausstiegen und die Schwierigkeiten der beruflichen Wiedereingliederung für Frauen breit diskutiert sind, werden immer wieder neue Modelle aufgelegt, die noch längere Ausfallzeiten propagieren. Familienverbände, der Deutsche Frauenrat und andere mit dem Thema "Familienarbeit" befassten Organisationen haben sich seit einiger Zeit mit einem neuen "Reformkonzept" auseinanderzusetzen: Mit dem "Erziehungsgehalt 2000".
Endlich eine Aufwertung der Erziehungsleistungen! So die Position der euphorischen einen Seite. Eine Maßnahme, Frauen an den häuslichen Herd zu verbannen! So die Position der Kritikerinnen auf der anderen Seite. Dazwischen diejenigen, die durch ein Erziehungsgehalt einen Weg aus der "Krise" der Familie sehen, diejenigen, die hoffen, junge Väter durch ein Erziehungsgehalt in der Zukunft für die jetzt ungeliebten Arbeiten begeistern zu können.
Für Katrin wäre es ein Retter aus der Not. Sie begrüßt das Konzept "Erziehungsgehalt 2000". Nach der vorgelegten Konzeption würde sie 2000 DM pro Monat für das erste und 1000 DM für ihr zweites Kind bekommen, bis zu sieben Jahren. Ihre Alleinerziehende Freundin Marion bekäme einen Zuschlag von 15%, weil sie keinen Haupternährer hat. Der "Ersatz" ist niedrig gehalten, nicht ohne Absicht, denn laut Konzept darf "ein Erziehungsgehalt keinen Anreiz geben, nicht zu heiraten" und "keinen Anreiz zur Auflösung von Ehe- und Haushaltsgemeinschaften" bieten. Ayse, die türkische Hausbewohnerin, würde das Erziehungsgehalt nicht erhalten, weil sie ihren ersten Wohnsitz und Lebensmittelpunkt noch keine fünf Jahre in der BRD hat, denn — auch das steht im Konzept — "das Erziehungsgehalt soll keine Anreize zur Zuwanderung setzen". Warum muss das betont und (im Original) zudem kursiv hervorgehoben werden? Ayse hat ihr Herkunftsland nicht verlassen, weil sie sich in der BRD ein Erziehungsgehalt erhofft. Auch sie sucht einen Arbeitsplatz, von dem sie leben kann.
Attraktiv für Katrins Ehemann ist das konzipierte Erziehungsgehalt nicht. Er würde dafür ebensowenig zu Hause bleiben, wie er es für das Erziehungsgeld getan hat, das lediglich von 1,5% der Männer in Anspruch genommen wurde. Schließlich wäre es zudem Katrin, die von den Nachbarn als Rabenmutter angesehen würde, wenn sie trotz der Kleinen einer Berufsarbeit nachginge. Und es wäre auch sie, die verantwortlich gemacht werden würde, wenn das Kind Schul- oder andere Schwierigkeiten haben sollte. Die Probleme für die berufliche Laufbahn würden auch nach dem "neuen" Modell bei den Frauen bleiben.
Positiv ist zu vermerken, dass das Konzept "Erziehungsgehalt 2000" von der lange geforderten und längst fälligen Abschaffung des Ehegattensplittings ausgeht. Denn davon profitieren — gerechtfertigt ausschließlich durch den Tatbestand der Ehe — die "Alleinverdienerehen". Wenn Katrin ein drittes Kind zur Welt bringt, soll sie nach dem Modell "Erziehungsgehalt" ein Gehalt bekommen, das einem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen entspricht. Wenn das jüngste Kind sieben Jahre alt ist, wird ihr sogar, abhängig vom "Haushaltseinkommen", eine Grundsicherung in Aussicht gestellt. Der Druck auf erwerbstätige Mütter, im eigenen Haushalt zu bleiben, würde generell steigen.
Die Finanzierung des Erziehungsgehalts soll der Studie zufolge durch "automatische Einsparungen", die sich bei der Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe und dem Wohngeld ergeben, geschehen. Zudem könnten "ca. 50% der staatlichen Mittel für Kinderkrippen aufgrund höherer einkommensbedingter Gebühreneinnahmen umgeschichtet werden". Für ein "Restdefizit wird (wahlweise) vorgeschlagen, Abstriche bei den Familienzuschlägen im öffentlichen Dienst oder einen Familienzuschlag auf die Lohn- und Einkommenssteuer vorzunehmen. Weitere Optionen sind verstärkte Besteuerung der Alterseinkommen, Erhöhung der Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer oder "Familiensoli" auf die Lohn- und Einkommenssteuer.

Antiquiertes Kleinfamilienmodell

Das größte Problem ist, dass dieses Modell von einem völlig antiquierten Modell, der bürgerlichen Kleinfamilie ausgeht, das für Männer in erster Linie Erwerbsarbeit und für Frauen Haus- und Sorgearbeit vorsieht. Zugegeben, es lässt einen Rollentausch zu. Mit dem traditionellen Rollenverständnis, das auf der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung beruht, sind die meisten Frauen (und auch einige Männer) aus vielerlei Gründen nicht mehr einverstanden. Noch nie gab es so viele so gut ausgebildete Frauen wie heute. Und diese Frauen wollen ihre durch Ausbildung und Studium erworbenen Qualifikationen auch anwenden. Ohne ihre viel beklagte "Erwerbsneigung" gingen der Wirtschaft ungeheure Potenziale verloren.
Anstatt auf die Möglichkeit einer ebenbürtigen Beteiligung von Frauen und Männern an allen gesellschaftlich notwendigen Arbeitsbereichen hinzuwirken, wird durch einen finanziellen Anreiz ein Ausstieg aus der Erwerbsarbeit gefördert. Ist der durch das Erziehungsgeldgesetz vorgesehene dreijährige Ausstieg schon problematisch, so verschärft sich die Situation bei dem vorgesehenen siebenjährigen Ausstieg, der noch verlängert werden kann, erheblich. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regelung des Kündigungsschutzes und der Rückkehrgarantie auf einen Arbeitsplatz beim "Erziehungsgehalt 2000" vollständig fehlt.
Das dem Modell zugrunde liegende traditionelle Familienbild führt dazu, dass "Kinderlosen" Egoismus oder Karrierestreben unterstellt wird. Sie werden als "Trittbrettfahrer" diskriminiert und als "Nutznießer" der positiven externen Effekte, die Familien erzeugen, bezeichnet. Da unser Rentensystem auf eine zahlenmäßig ausreichende "mittlere Generation" angewiesen ist, seien sie, wenn sie im Alter gebrechlich und pflegebedürftig würden, von den Kindern anderer abhängig. Es können aber nur diejenigen Kinder später in das Rentensystem einzahlen, die entsprechende Arbeits- und Lebensbedingungen vorfinden, die ihnen das ermöglichen. Ist das nicht der Fall, sind sie es unter Umständen, die den "Kinderlosen und Kinderarmen" zur Last fallen (müssen).
Zu Zeiten von Vollbeschäftigung, wie das zu Beginn der 70er Jahre auch im Westen der Fall war, wurden die — zweifellos auch zu Zeiten der Ideologisierung der Kernfamilienbetreuung vorhandenen — Sozialisationsschwächen der Kleinfamilie aufgezeigt. Es wurde u.a. in einer Studie des damaligen Familienministeriums von 1973 nachgewiesen, dass die Kleinfamilie nicht geeignet ist, Kinder auf die Bewältigung ihrer Geschlechterrollen, ihrer späteren Familienrollen sowie ihrer Berufsrollen angemessen vorzubereiten und dass bereits Säuglinge gut ausgebildete Bezugspersonen brauchen, um die für ihre Zukunft notwendige Sozialkompetenz zu entwickeln.
Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und -pädagogik zeigen ferner, dass familienergänzende Betreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersgruppen wichtige Erfahrungsmöglichkeiten bieten. Das Modell "Erziehungsgehalt 2000" fördert einseitig die Betreuung von Kindern in der Familie und damit durch die Mütter. Gleichzeitig mit der Einführung eines Erziehungsgehaltes soll nämlich die öffentliche Förderung von Krippen und Kindergärten auf die Investitionskosten beschränkt werden. Das hieße, die Betriebskosten müssten die Eltern selbst bezahlen. Zudem sollen die höheren einkommensbedingten Gebühren für Kinderkrippen maßgeblich zur Finanzierung des Erziehungsgehalts umgeschichtet werden.
Der Verband allein erziehender Mütter und Väter ist gegen solche Modelle. Er tritt — wie die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen insgesamt — für ein ausreichendes Angebot an flexiblen und bedarfsgerechten außerhäuslichen Betreuungsmöglichkeiten ein.
Im Zusammenhang mit der Diskussion um das Erziehungsgehalt wird häufig damit argumentiert, dass Berufsorientierung nicht zum entscheidenden Wertmaßstab einer Gesellschaft stilisiert werden soll. Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass Erziehungsarbeit produktive gesellschaftliche Arbeit sei. Erziehungsarbeit ist aber auch produktive gesellschaftliche Arbeit, wenn sie in Kinderkrippen und Kindergärten bezahlt geleistet wird und wenn dafür gut ausgebildete ErzieherInnen zur Verfügung stehen.

Radikale Arbeitszeitverkürzung nötig

Eine gesicherte Existenz aus gesellschaftlich sinnvoller und öffentlich anerkannter Arbeit für beide Elternteile bedeutet Erleichterung und Entlastung in der Gestaltung des Familienlebens. Aus der Feststellung, dass Beruf und Familie heute nur durch Seiltänzerinnen zu vereinbaren sind, ist die Konsequenz abzuleiten, dass Strukturveränderungen in der Arbeitswelt und in der Familie notwendig sind. Es kann nicht darum gehen, Menschen (vorwiegend Frauen), die Familienarbeit schmackhaft zu machen, weil beides so schlecht zu kombinieren geht und weil der Arbeitsmarkt ohnehin entlastet werden muss. Notwendig wird eine Neuverteilung von (jetzt) bezahlt und (jetzt) unbezahlt geleisteter Arbeit zwischen den Geschlechtern.
Voraussetzung ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung für alle im Bereich der Vollzeitarbeit Tätigen (6-Stunden-Tag), eine aktive Arbeitsmarktpolitik und die Verbesserung des Zugangs zu Arbeitsplätzen für Menschen mit Kindern sowie die Professionalisierung und Neugestaltung etlicher jetzt unbezahlt geleisteten Arbeiten im Haushalt sowie im Sozial- und Gesundheitsbereich. Das Erziehungsgeldgesetz müsste steuerpflichtige Lohnersatzleistungen gewähren und eine Rückkehrgarantie auf den alten Arbeitsplatz nach der Phase der ca. 12-monatigen Unterbrechung beinhalten. Männer und Frauen, die gemeinsam Kinder erziehen wollen, sollten sich den "Urlaub" teilen können.
Für Alleinerziehende müsste die gesamte Zeit zur Verfügung stehen, aber auch auf Antrag auf andere Bezugspersonen übertragbar sein. Sonderregelungen, die ihre Arbeitsmarktssituation wiederum erschweren, bräuchten Menschen, die alleine mit ihren Kindern leben, dann nicht. Zudem werden flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersgruppen und Ganztagsschulen notwendig.
Katrin, Marion und Ayse und vielen anderen Frauen wäre mehr gedient, wenn an Modellen gearbeitet werden würde, die Rahmenbedingungen schaffen, um beiden Geschlechtern und Menschen, die in unterschiedlichen Zusammenlebensformen leben, die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit mit Haus- und Sorgearbeiten, künstlerischen, kulturellen, politischen oder gemeinwesenorientierten Arbeiten zu ermöglichen.

Gisela Notz

Zur Lage junger erwerbstätiger Mütter in den neuen Bundesländern, insbesondere zur Wirksamkeit von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld (Hg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), Stuttgart 1995.
C.Leipert/M.Opielka, Erziehungsgehalt 2000. Ein Weg zur Aufwertung der Erziehungsarbeit, Freiburg 1998.
G.Notz, Du bist als Frau um einiges mehr gebunden als der Mann. Die Auswirkungen der Geburt des ersten Kindes auf die Lebens- und Arbeitsplanung von Müttern und Vätern, Bonn 1991.
G.Notz, "Wi(e)der die Neuauflage der Hausfrauenehe. Die ungleichen Auswirkungen der Geburt eines Kindes auf die Lebens- und Arbeitsplanung von Frauen und Männern", in: Beschäftigungsrisiko "Erziehungsurlaub", Opladen 1998.


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