Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.26 vom 21.12.2000, Seite 12

Mexiko

Die Armee als langer Arm der USA

Wenige Wochen vor dem Amtsantritt des ersten mexikanischen Präsidenten Mexikos, der nicht aus den Reihen der über 70 Jahre lang herrschenden Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) hervorging, entstand das folgende Interview mit Carlos Montemayor, Historiker, Schriftsteller und Spezialist in Fragen der mexikanischen Guerillabewegung und der mexikanischen Armee. Mit ihm sprach Jutta Klaß in Mexiko.


Mit der Verhaftung von zwei Generälen Ende September rückte die Frage nach der Verbindung der Armee mit den Drogenkartellen erneut in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion. Sind die mexikanischen Streitkräfte bereits von den narcos unterwandert?

Carlos Montemayor: Die Frage der Verbindungen zwischen der mexikanischen Armee und den nationalen und internationalen Drogenkartellen ist meiner Ansicht nach ein Teilaspekt eines viel komplexeren Problems. Ich werde etwas ausholen, um dies deutlich zu machen. In der Vergangenheit konnte die mexikanische Armee, im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Armeen, eine relative Autonomie gegenüber den USA behaupten. Veränderungen in dieser relativen Autonomie ergaben sich u.a. durch die Entscheidung der USA, den Kampf gegen den Drogenhandel alsTeil ihrer nationalen Sicherheit zu definieren. Der Einsatz der Armee bei der Drogenbekämpfung widerspricht eigentlich ihren ursprünglichen Aufgaben.
Doch dieser Einsatz wurde in den vergangenen Jahren immer stärker ausgeweitet — in allen lateinamerikanischen Ländern, mit der damit verbundenen Gefahr der dadurch möglich werdenden Korruption und Unterwanderung. Die einzige Armee, die nicht im eigenen Land zur Drogenbekämpfung eingesetzt wird, ist die US-Armee. Wiederholt erklärte Barry McGuffry, führender US-Drogenbekämpfer dass damit vermieden werden solle, die US-Armee erpressbar und korrumpierbar zu machen.
Diese Skrupel bestehen nicht in Bezug auf den von den USA geforderten Einsatz lateinamerikanischer Armeen bei der Drogenbekämpfung. Wir könnten jetzt darüber spekulieren, ob dieser Verschleiß, verbunden mit der Gefahr der Korruption der lateinamerikanischen Armeen, darunter auch der mexikanischen Armee, Teil der US-Strategie und damit verbunden dem "Plan Kolumbien" ist. Doch auf den "Plan Kolumbien" werden wir später noch zu sprechen kommen. Zurück also zu der Komplexität des Problems.
Es fällt auf, dass bislang fast ausschließlich Mitglieder der mexikanischen Armee, darunter etliche Generäle, wegen Korruption, Drogenhandel bzw. Unterstützung der Drogenkartelle vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, obwohl seit Jahren in zahlreichen Untersuchungen und in der systemkritischen Presse auf die Zusammenarbeit von Politikern aller Ebenen, Funktionären, Bankiers, hohen Polizeibeamten etc. mit der Drogenmafia hingewiesen wird.
Der Begriff der narcopolítica bringt das Problem auf den Punkt. Doch kaum ein Mitglied dieser politischen, ökonomischen und finanziellen Strukturen wurde bisher angeklagt und verurteilt. Warum? Es sieht jedoch so aus, als ob es politische Strategie der Regierung wäre, sicher zu stellen, dass nur Militärs verurteilt werden, die politische Elite jedoch vor Verfolgung geschützt bleibt.

Welche Rolle spielt das Militär heute, bzw. wird es wahrscheinlich unter Fox spielen?

Carlos Montemayor: Die Zukunft der Armee in der aktuellen Übergangsphase wird aus drei Gründen keine erfreuliche sein. Erstens begann der aktuelle Übergang nicht im Juli am Tag der Präsidentschaftswahl, sondern bereits im Juli 1982, als mit der Wahl von Miguel de la Madrid zum Präsidenten die Wirtschaftspolitik Mexikos radikal verändert wurde.
Der Inhalt der damals eingeleiteten wirtschaftspolitischen Veränderungen widersprach vollkommen den seit 1929 formulierten Zielen mexikanischer Politik. Carlos Salinas und später Ernesto Zedillo setzten diese veränderte Wirtschafts- und Sozialpolitik fort. Der Wahlsieg von Vicente Fox garantiert die Fortsetzung dieser Politik. Kurz: der politische (und ökonomische) Machtwechsel hatte bereits vor Fox begonnen.
Zweitens fordert das Konzept und Projekt der nationalen Sicherheit der USA die Unterordnung der mexikanischen Streitkräfte unter die Ziele und politischen Entscheidungen der USA. Durch die Ausbildung mexikanischer Militärs in den Ausbildungszentren in den USA, die unter Miguel de la Madrid 1982 begann, gibt es heute einen wachsenden Einfluss der USA auf die mexikanische Armee. Und der gewählte Präsident Vicente Fox zeigt eine große Fähigkeit, Mexiko zu zwingen, sich den USA auf allen Gebieten — wirtschaftlichen und politischen — unterzuordnen.
Es ist also zu erwarten, dass er Mexiko nicht nur eine Art FBI aufzwingen, sondern auch dazu beitragen wird, die Strukturen der mexikanischen Armee, die in der Vergangenheit eine relative Autonomie gegenüber den USA ermöglicht haben, aufzulösen, bzw. so zu verändern, dass die Unterordnung unter die Programme der USA erleichtert wird. In anderen Worten: unter Vicente Fox besteht die Gefahr, dass die mexikanische Armee zu einer fast vollständigen Unterordnung unter die Konzepte der nationalen Sicherheit der USA gezwungen wird.
Drittens besteht für die mexikanische Armee ein weiteres Risiko in der Macht der Drogenkartelle und dem Verschleiß der Armee im Kampf gegen den Drogenhandel. Und der Zermürbungsprozess geht weiter, wenn man bedenkt, dass die Militärs — wie ich vorher schon aufzeigte — die einzigen sind, die wegen Verbindung zur Drogenmafia und Korruptionsvorwürfen bestraft werden, während die politischen und finanziellen Eliten Straffreiheit genießen.
Aus diesen Gründen spreche ich von einer gezielten und systematischen Politik des aktuellen, seit 1982 dominierenden Systems gegen das mexikanische Militär mit dem Ziel, die relative Autonomie zu zerstören und die Unterordnung und Abhängigkeit von den USA zu erreichen.

Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der "Plan Kolumbien" für Mexiko?

Carlos Montemayor: Der "Plan Kolumbien" ist der Start- und Ausgangspunkt des großen nordamerikanischen Projekts und Konzepts der kontinentalen Sicherheit. Kurz- und mittelfristiges Ziel der USA auf militärischer Ebene ist die Umwandlung der lateinamerikanischen Streitkräfte in "Komplementärkräfte", d.h. die Aufgabe ihrer autonomen Rolle als nationale Streitkräfte. Faktisch bedeutet dies die Übernahme von Funktionen einer spezialisierten Polizeieinheit.
Das langfristig angestrebte Ziel der nordamerikanischen strategischen Programme ist, die US-Armee zur einzigen auf dem amerikanischen Kontinent bestehenden militärischen Streitmacht auszubauen. Dies ist das nationale und kontinentale militärische Sicherheitskonzept der US-amerikanischen Modernität mit den bereits beschriebenen Folgen für die mexikanischen Streitkräfte. Keine guten Aussichten.

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