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Kaum beachtet von der Öffentlichkeit legte Bundeskanzler Gerhard Schröder zwischen den Jahren vor, CSU-Chef
Edmund Stoiber setzte Mitte Januar nach: Es ging um einen der umstrittensten Punkte der EU-Osterweiterung, die Freizügigkeit der Arbeitskraft.
Schröder schlug vor, den künftigen EU-Bürgern aus dem Osten erst sieben Jahre nach ihrem Beitritt zur EU freien Zugang zum Arbeitsmarkt der
"alten" EU zu gewähren. Stoiber findet das grundsätzlich richtig, will aber die Frist ausweiten. Was beide vorschlagen, läuft de facto
auf ein Apartheidsystem hinaus. Die neuen EU-Bürger sollen wegen ihrer Herkunft zu Bürgern zweiter Klasse werden.
Ebenso solle die Niederlassungsfreiheit von Bau- und Handwerksunternehmen in der
"Übergangsperiode" beschränkt werden, erklärte Schröder. Mit seinem Vorstoß schlägt er mehrere Fliegen mit
einer Klappe: Deutsche Unternehmen werden vor Billigkonkurrenz aus dem Osten verschont und können gleichzeitig EU-Bürger, die offiziell gar nicht
arbeiten dürfen, aber dennoch Arbeit im Westen suchen werden, ohne lästige arbeitsrechtliche Vorschriften ausbeuten. Der protektionistische Teil der
Gewerkschaften dürfte Schröder zumindest attestieren, sich größte Mühe zu geben, um ein Lohndumping durch die neuen EU-
Bürger zu verhindern.
Die Einzelgewerkschaften, die sich nicht beruhigt an die Mauern der Festung Europa lehnen, stehen
nun vor der Frage, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, wie er in anderen europäischen
Ländern üblich ist, drücken sich die Gewerkschaften mit Verweis auf die "Tarifautonomie". Doch das wäre eine rechtliche
Grundlage, die weitere Möglichkeiten eröffnen und z.B. mittelfristig wie in den USA sogar für Arbeitsmigranten ohne
Aufenthaltserlaubnis einklagbar sein könnte. Bis auf die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die mehrheitlich Beschäftigte
organisiert, die sich in ungeschützten Arbeitsverhältnissen befinden, gibt es bisher trotz schwindender Kampfkraft der Gewerkschaften keine Anzeichen
für eine Mindestlohnkampagne.
Schröder behauptete, seine "vernünftigen Übergangsregelungen liegen
genauso im Interesse der bisherigen Mitgliedstaaten wie der Beitrittskandidaten". Ob das die polnische Regierung unterschreibt, bleibt abzuwarten. Angesichts
des von vielen Experten vorausgesagten "Bauernsterbens" und dem damit einhergehenden Anstieg der Arbeitslosenquote in Polen dürfte die
Ankündigung Schröders der Regierung in Warschau einiges an Kopfzerbrechen bereiten. Sollen die neuen Erwerbslosen alle in den Unternehmen der
New Economy, in Internet-Start-Ups beschäftigt werden, die künftig in Polen entstehen werden?
Nein. Sollte ein neuer Branchenboom im Sektor der Kommunikations- und Informationstechnologie
kommen, sieht Schröder eine Ausnahmeregelung vor: Bei Arbeitskräftemangel in den alten Mitgliedstaaten sollen diese im nationalen Alleingang
für die gefragten Qualifikationen die Grenzen öffnen können. Das ist soziale Selektion à la Schröder, mundgerecht fürs
Unternehmerlager.
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