Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.02 vom 17.01.2001, Seite 2

EU-Osterweiterung

Schröders Apartheid

von GERHARD KLAS

Kaum beachtet von der Öffentlichkeit legte Bundeskanzler Gerhard Schröder zwischen den Jahren vor, CSU-Chef Edmund Stoiber setzte Mitte Januar nach: Es ging um einen der umstrittensten Punkte der EU-Osterweiterung, die Freizügigkeit der Arbeitskraft. Schröder schlug vor, den künftigen EU-Bürgern aus dem Osten erst sieben Jahre nach ihrem Beitritt zur EU freien Zugang zum Arbeitsmarkt der "alten" EU zu gewähren. Stoiber findet das grundsätzlich richtig, will aber die Frist ausweiten. Was beide vorschlagen, läuft de facto auf ein Apartheidsystem hinaus. Die neuen EU-Bürger sollen wegen ihrer Herkunft zu Bürgern zweiter Klasse werden.
Ebenso solle die Niederlassungsfreiheit von Bau- und Handwerksunternehmen in der "Übergangsperiode" beschränkt werden, erklärte Schröder. Mit seinem Vorstoß schlägt er mehrere Fliegen mit einer Klappe: Deutsche Unternehmen werden vor Billigkonkurrenz aus dem Osten verschont und können gleichzeitig EU-Bürger, die offiziell gar nicht arbeiten dürfen, aber dennoch Arbeit im Westen suchen werden, ohne lästige arbeitsrechtliche Vorschriften ausbeuten. Der protektionistische Teil der Gewerkschaften dürfte Schröder zumindest attestieren, sich größte Mühe zu geben, um ein Lohndumping durch die neuen EU- Bürger zu verhindern.
Die Einzelgewerkschaften, die sich nicht beruhigt an die Mauern der Festung Europa lehnen, stehen nun vor der Frage, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, wie er in anderen europäischen Ländern üblich ist, drücken sich die Gewerkschaften mit Verweis auf die "Tarifautonomie". Doch das wäre eine rechtliche Grundlage, die weitere Möglichkeiten eröffnen und z.B. mittelfristig — wie in den USA — sogar für Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltserlaubnis einklagbar sein könnte. Bis auf die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die mehrheitlich Beschäftigte organisiert, die sich in ungeschützten Arbeitsverhältnissen befinden, gibt es bisher trotz schwindender Kampfkraft der Gewerkschaften keine Anzeichen für eine Mindestlohnkampagne.
Schröder behauptete, seine "vernünftigen Übergangsregelungen liegen genauso im Interesse der bisherigen Mitgliedstaaten wie der Beitrittskandidaten". Ob das die polnische Regierung unterschreibt, bleibt abzuwarten. Angesichts des von vielen Experten vorausgesagten "Bauernsterbens" und dem damit einhergehenden Anstieg der Arbeitslosenquote in Polen dürfte die Ankündigung Schröders der Regierung in Warschau einiges an Kopfzerbrechen bereiten. Sollen die neuen Erwerbslosen alle in den Unternehmen der New Economy, in Internet-Start-Ups beschäftigt werden, die künftig in Polen entstehen werden?
Nein. Sollte ein neuer Branchenboom im Sektor der Kommunikations- und Informationstechnologie kommen, sieht Schröder eine Ausnahmeregelung vor: Bei Arbeitskräftemangel in den alten Mitgliedstaaten sollen diese im nationalen Alleingang für die gefragten Qualifikationen die Grenzen öffnen können. Das ist soziale Selektion à la Schröder, mundgerecht fürs Unternehmerlager.

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