Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.02 vom 17.01.2001, Seite 5

Pariser Erwerbslosenversammlung

Bessere Organisierung der europäischen Erwerbslosen

Mit über 150 Teilnehmenden aus zwölf EU-Ländern war die europäische Erwerbslosenversammlung, die vom 2. bis 4.Dezember in Paris stattfand, die bisher kleinste, aber auch die am repräsentativsten zusammengesetzte.
Die Teilnehmerzahl widerspiegelt den Rückgang der Erwerbslosenbewegung in Europa. Wie in einem Einleitungsreferat dargelegt wurde, hat dies zum einen mit dem derzeitigen Wirtschaftsaufschwung (laut Europäische Zentralbank um die 2% in den nächsten Jahren) und der damit zusammenhängenden Absenkung der offiziellen Erwerbslosigkeit in der EU auf 16 Millionen zusammen.
EU-Statistiken verkünden, allein im Jahr 2000 seien 2,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden. Dieselben Statistiken geben allerdings zu, dass es sich dabei in der Mehrzahl um ungeschützte, d.h. zeitlich befristete, oftmals nicht sozialversicherungspflichtige bzw. nicht tariflich abgesicherte Arbeitsplätze handelt. So nimmt trotz abnehmender Erwerbslosigkeit dennoch die Armut in der EU zu.
Die Regierenden suggerieren aber, durch ihre Politik könnten die sozialen Probleme in unseren Gesellschaften überwunden werden — wenn die Erwerbslosen nur wollten. Erwerbslosigkeit wird wieder zu einem persönlichen Problem gestempelt, für das die Betroffenen selbst verantwortlich seien. Zugleich wird ihre Notlage ausgenutzt, um sie in schlechte Jobs zu zwingen, die von ihrem bisherigen Lohn- und Qualifikationsniveau abgekoppelt sind. Erwerbslose und Sozialhilfebeziehende geraten zunehmend unter Rechtfertigungszwang, wenn sie eine Arbeit unter ihrem Niveau ablehnen. Die repressiven Momente in der Arbeitsvermittlung nehmen zu.
Diese Situation lastet auf der Erwerbslosenbewegung; sie muss auf die neuen Herausforderungen neue politische Antworten finden, manchmal geht das auch mit organisatorischen Umstrukturierungen einher. In der Bundesrepublik ist es gelungen, die großen Organisationen der Erwerbslosen und Sozialhilfebeziehenden ähnlich wie in Frankreich um einen Tisch zu versammeln.
Ähnliche Entwicklungen gibt es in Italien und Belgien. Deshalb waren die Delegationen aus diesen Ländern diesmal erheblich repräsentativer zusammengesetzt als früher. Zur italienischen Delegation gehörte auch ein starkes Kontingent von prekär Beschäftigten aus Neapel, die dort einen exemplarischen Kampf für unbefristete Arbeitsverträge führen, sowie Vertreter der unabhängigen Gewerkschaft Sin Cobas.
Aus der Bundesrepublik waren erstmals alle bundesweiten Erwerbslosenorganisationen vertreten, darüber hinaus ein Betriebsrat von MacDonald‘s und eine Vertreterin der Kampagne Citicritic. In der belgischen Delegation waren neben den Märschen auch Gewerkschafter des FGTB und Vertreter der Menschenrechtsliga.
Schwerpunkte der Debatte waren die Lage der Erwerbslosen, der Kampf gegen die verschiedenen Formen der ungeschützten Beschäftigung sowie Inhalt und Status der EU-Grundrechtecharta. Die Charta wird uns weiter beschäftigen, weil in Nizza die Frage offen geblieben ist, ob sie in das Vertragswerk der EU aufgenommen werden soll. Die Frage soll jetzt definitiv in vier Jahren entschieden werden; dann soll es eine neue Regierungskonferenz geben, die auch über eine mögliche Verfassung für die EU zu entscheiden hat. Die Bundesregierung strebt an, dass die Charta zur Präambel einer solchen Verfassung wird.
Die Erwerbslosenversammlung hat vereinbart, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich einen Überblick über die Formen ungeschützter Beschäftigung in Europa verschaffen will.
Nicht viel weiter gekommen ist die Konferenz in der Frage, welche gemeinsamen Aktionen wir auf europäischer Ebene zu den Themen "Grundrechtecharta" und "Mindesteinkommen" entwickeln können. Deshalb wurde eine weitere Arbeitsgruppe eingerichtet, die dazu Vorschläge erarbeiten will. Die genannten Arbeitsgruppen bilden zusammen mit zwei weiteren, die sich um Finanzen und Öffentlichkeitsarbeit kümmern, das Gerüst für ein europäisches Sekretariat der Erwerbslosenversammlung.
Die nächsten Mobilisierungstermine sind Göteborg am 14. und 15.Juni und Brüssel in der ersten Dezemberhälfte 2001. In Brüssel wird es eine neue europäische Versammlung der Erwerbslosen geben.

Angela Klein

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