Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.02 vom 17.01.2001, Seite 6

Rentenreform und private Altersvorsorge

Jeder spart für sich allein

Bei der Anhörung zur geplanten Rentenreform der rot-grünenBundesregierung am 11. bis 13.Dezember 2000 formulierten Sozialverbände und Gewerkschaften zum Teil harte Kritik. Die Regierungskoalition verständigte sich daraufhin, Walter Riester‘s Ausgleichsfaktor zu beerdigen.
An dessen Stelle soll nun ein vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) entwickelter Rentenfaktor das Rentenniveau bis 2030 kürzen, um die Beitragssätze — wie im Ausgleichsfaktor — ebenfalls unter 22% zu halten. Nicht das Ziel —Beitragssatzstabilität durch Leistungskürzung — hat sich geändert, sondern der Weg zum Ziel.

Die Vorschläge der rot-grünen Bundesregierung sind weiterhin auf ein neues Renten-Mischsystem aus einer obligatorischen gesetzlichen Rente nach dem derzeitigen Umlagesystem mit einer jährlich zu ändernden Beitragsbemessungsgrenze (8600 DM) und einer kapitalgedeckten privaten Eigenvorsorge und gesetzlichen Rentenkürzungen auf 67% ausgerichtet.
Der Gesetzentwurf des Altersvermögensgesetzes (AVmG), das eigentlich noch in diesem Januar in Kraft treten sollte, sieht zwar vor, für BezieherInnen geringerer Einkommen die privaten Beiträge in spezielle Produkte der Versicherungswirtschaft für die Altersvorsorge mit staatlichen Zuschüssen zu fördern, aber mit einer "Zusatz"-Rente im Alter darf das nicht verwechselt werden.
Obwohl gebetsmühlenartig behauptet wird, die private Altersvorsorge ergänze die bisherige gesetzliche Rente, machen einige Regelungen deutlich, dass sie eigentlich nur die Absenkung derselben auffangen soll. Tatsächlich will nämlich die rot-grüne Bundesregierung auch weiterhin die private Altersvorsorge nur soweit mit Zuschüssen oder Steuerersparnissen fördern, wie sie — die Bundesregierung — den Anspruch aufgesetzliche Renten kürzt. Heute schon bestehende Versorgungslücken bei den Alterseinkommen spielen bei ihren Überlegungen keine Rolle.
Auch sollen Zuschüsse nur diejenigen erhalten, die gleichzeitig Beiträge in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen. Damit sind alle, die nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehen (wie z. B. geringfügig Beschäftigte oder Sozialhilfebeziehende), prinzipiell von der Förderung ausgegrenzt. Dieser Aspekt wiegt um so schwerer, als die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus ausnahmslos alle treffen wird — gleichgültig ob sie sich eine private Altersvorsorge leisten können oder nicht.

Geschenk an die Arbeitgeber

Der springende Punkt bei der Rentenreformdiskussion ist nach wie vor die einseitige Entlastung der Arbeitgeber im Gesetzentwurf, es bleibt beim Einstieg in die Privatvorsorge ohne obligatorisch festgelegte Beteiligung der Arbeitgeber. Diese werden nicht nur aus der paritätischen Finanzierung der Altersvorsorge entlastet, sondern es bleibt auch beim Dogma der Beitragssatzstabilität: "Nicht mehr als 22%!" Dies scheint jetzt auch von den Gewerkschaftsspitzen akzeptiert worden zu sein, obwohl sie wissen, dass Regelungen zur Begrenzung des Beitragssatzes auch anderweitig möglich gewesen wäre. Ihre Vorschläge dazu waren z.B. Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze, Ausweitung der Beitragsverpflichtung und nicht zuletzt die Forderung nach einer vernünftigen Arbeitsmarktpolitik. Diese Maßnahmen hätten nicht nur allen demografischen Begründungen das Wasser abgegraben, sie hätten auch für vier Millionen Erwerbslose eine neue Arbeitsplatzchance bedeutet.
Hieran wird deutlich, dass die Verbilligung des Faktors Arbeit ein wesentlicher Aspekt der rot- grünen Rentenreform ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass das "Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbstätigkeit" — ein zum Rentenrecht gehörendes Übergangsgesetz — ebenfalls seit dem 1.Januar 2001 einschneidende Veränderungen für erwerbsgeminderte Personen unter 40 Jahren mit sich bringt. Sie werden nur noch eine niedrigere staatliche Grundsicherung erhalten. Die Versicherungswirtschaft hat selbstredend darauf erfreut reagiert und hält natürlich sofort ein entsprechendes Produkt bereit: So soll — nach einem Bericht der Faz — für einen männlichen Angestellten von 30 Jahren eine Rentengarantie von 2000 DM im Monat einen monatlichen Versicherungsbeitrag von 150 DM kosten; eine Frau müsste etwa — wegen der längeren Lebenserwartung — 170 DM aufbringen.
Mit ihrer Feststellung, die "Grundlagen des bisherigen Rentensystems stimmen nicht mehr", will die Bundesregierung über ausreichende politische Handlungsspielräume verfügen, um die solidarische und umlagefinanzierte Alterssicherung zugunsten einer individuellen, kapitalgedeckten Altersvorsorge zu reduzieren.
Durch das neu geschaffene Altersvermögensgesetz wird eine erhebliche Verlagerung von Altersvorsorgeaufwendungen in den privaten Finanzdienstleistungsbereich erfolgen, und bisher mit einer unzureichenden Produktqualitätssicherung geplant.
Bekannt ist lediglich, dass Riester voraussichtlich — wie derzeit bei einer Vielzahl von Vereinbarungen über betriebliche Altersvorsorge — die bisher bekannten vier Durchführungswege weiter fördern will, aber primär auch die Gehaltsumwandlung, und damit die nachgelagerte Besteuerung, verankern will. Das wird zu weiteren Senkungen der Sozialbeiträge führen.
Gängige Praxis ist derzeit aber auch, Überstundenvergütungen, vermögenswirksame Leistungen oder Urlaubs- und Weihnachtsgeld in die betriebliche/private Altersvorsorge einzuzahlen. Sowohl die Senkung der Bruttobezüge als auch die Umwidmung anderer Gehaltsbestandteile bringt den ArbeitnehmerInnen zwar kurzfristig Steuer- und Sozialabgabenersparnisse, führt aber wiederum auch dazu, dass die gesetzliche Rentenversicherung und alle anderen Sozialsysteme weniger Einnahmen erhalten. Gesamtgesellschaftlich wird damit das Loch in den sozialen Sicherungszweigen vergrößert, die sozialen Leistungen weiter eingeschränkt, gleichzeitig die Versichertenrenten auf Dauer nochmals weiter gesenkt.
Während der Arbeitgeber durch Senkung der Bruttobezüge Sozialabgaben geschenkt bekommt und die Versorgungszusage auch noch als Betriebsausgabe steuerlich geltend machen kann, schlägt der Fiskus beim Rentenbezieher zum Zeitpunkt der Rentenauszahlung im Alter ganz individuell steuer- und sozialabgabenrechtlich zu. Wieder einmal haben nur die Arbeitgeber durch Lohn-/Gehalts- und Steuereinsparungen profitiert.
Als "Königsweg der Rentenreform" gelten seit neuestem die Pensionsfonds. Auch sie können durch Gehaltsumwandlung und ein Zahlungsversprechen des Arbeitgebers gespeist werden. Pensionsfonds haben jedoch gegenüber anderen Durchführungswegen der kapitalgedeckten Altersvorsorge aus Sicht der Arbeitgeber und auch der "rot"-grünen Bundesregierung einen strategischen Vorteil: Sie ermöglichen den ArbeitnehmerInnen einer zunehmend flexibilisierten Arbeitswelt eine größere — aber auch riskantere — Anlagevielfalt und entlasten zusätzlich die Arbeitgeber.

Pensionsfonds

Nach dem Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) können sich Pensionsfonds in weit größerem Umfang auf Aktieninvestitionen stützen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichtsgremien der Anlagegesellschaften entbinden so den Arbeitgeber nicht nur von seiner Beitragsgarantie, sondern auch von einem späteren "festen" garantierten Rentenbetrag. Die von den Gewerkschaften favorisierten rechtsfähigen Versicherungseinrichtungen — wie bspw. Pensionskassen — hingegen sichern den ArbeitnehmerInnen auf ihre Leistungen einen Rechtsanspruch mit einer garantierten Verzinsung und unterliegen den strengen Regeln der Versicherungsaufsicht.
Ob allerdings Pensionsfonds für die abhängig Beschäftigten tatsächlich eine lukrative Anlageform sein wird, muss sich erst herausstellen. Einerseits werden die Investmentgesellschaften selbst und die dann mit dem aufgehäuften Altersvorsorgevermögen operierenden Wirtschaftsunternehmen rigoros mit allen in den Betrieben bekannten Konsequenzen den shareholder value — der Rentenrendite wegen — realisieren, andererseits wird die private Rente durch die ausschließliche Orientierung an der Aktie als Anlageform unmittelbar an die Börsenkurse gekoppelt. Da heißt es: "Geht der Dax rauf, gibt es eine gute Rente; geht der Dax runter, gibt es eben keine." Das turbulente Börsenjahr 2000 sollte zu denken geben.
Die Anlagegesellschaften wollen unter gar keinen Umständen eine Rendite garantieren; 4% werden aber zum Ausgleich des Rentenverlustes benötigt. Dieses einseitige Risiko zu Lasten der privaten Altersabsicherung wurde von "Rot"- Grün ebenfalls übersehen.
Während in der Schweiz die Einlagen für private Rente eine garantierte Verzinsung von 4% haben und in den Niederlanden eine steuerlich finanzierte Grundrente (bis zu 2000 Gulden) die begrenzte Alterssicherung der gesetzlichen Rente einigermaßen kompensiert, verkennen offenbar die Befürworter des Kapitaldeckungsverfahrens — aus Unwissenheit oder absichtlich— die Größenordnung der Aufwendungen, um das derzeitige Leistungsniveau der Altersversorgung zu gewährleisten.
Das heißt im Klartext: Die Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Gewerkschaften bzw. der SPD-Linken beruht allein auf einer ominösen 67%-Zusage in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Rentenbezug.
Aus all diesen Gründen ist die geplante Umstellung der gesetzlichen Sicherungssysteme auf ein kapitalgedecktes Mischsystem deshalb unverantwortlich, weil weder betriebliche noch tarifvertragliche Regelungen flächendeckend vorhanden sind, und prekär beschäftigte Belegschaften zum Teil in solche Vereinbarungen nicht genügend einbezogen oder sogar aus ihnen ausgeschlossen sind. Dieser Personenkreis kann aber aufgrund niedriger Einkommen (siehe die Diskussion um die Einführung von Niedriglohnsektoren) vielfach keine private Altersvorsorge betreiben.
So wie die Rentenreform derzeit angelegt ist, muss deshalb befürchtet werden, dass Altersarmut dramatisch zunimmt und deutlich mehr Sozialfälle zu verzeichnen sein werden.
Wenn berücksichtigt wird, dass das Steueraufkommen zum überwiegenden Teil aus Einkommens- und Verbrauchssteuern (wie z.B der sog. Öko-Steuer) resultiert, dann stellen sich die 20 Milliarden DM, die zur Förderung der Umstellung des Rentensystems vorgesehen sind, als eine grandiose Subventionierung der Finanzwirtschaft durch die "rot"-grüne Bundesregierung dar.
Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, da gerade von diesem Wirtschaftssektor eine immense volkswirtschaftliche und globale Krisenhaftigkeit ausgeht. Obwohl den Befürwortern der Rentenreform in der öffentlichen Meinung ein ideologischer Coup gelungen ist und die kritischen Stimmen mit ihren Argumenten kaum Gehör finden, darf doch bezweifelt werden, dass mit dem Ausspielen von Individualinteressen gegen das Solidarprinzip die Alterssicherung aller nachhaltig gewährleistet werden kann. Wenn auch noch, wie dies vereinzelte Stimmen fordern, die Sozialhilfe begrenzt würde, dann wäre das Verfassungsgebot, die Würde des Menschennicht anzutasten, im Kern verletzt.
Da die Rentenreform in ihrer jetzigen Form offenbar so wenig überzeugend ist, wurde die Einführung des kapitalgedeckten Teils erst einmal um ein Jahr — bis nach den nächsten Bundestagswahlen — verschoben. Als Grund wurde die Vermeidung weiterer Steuerausfälle genannt. Der geplante Zeitrahmen für die Rentenreform hätte den 18 Millionen wahlberechtigten Rentnerinnen und Rentnern im Wahljahr — auch unter Wegfall des Ausgleichsfaktors — eine Rentenerhöhung um gerade mal 0,7% beschert. Möglicherweise hat auch der öffentliche Protest von zehntausenden der 12 Millionen gewerkschaftlich organisierten wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern auf die "rot"-grüne Bundesregierung Eindruck gemacht. Vor allem die Gewerkschaften, aber auch die Parteien bleiben aufgerufen, von der Bundesregierung die Aufgabe des Zeitplans für ihre Rentenreform und eine erneute Debatte zu verlangen.
In der öffentlichen Diskussion muss die einseitige Darstellung einer Abwägung der gesellschaftlichen Tragweite aller Konsequenzen weichen. Die Verabschiedung der geplanten Rentenreform wäre nämlich eine Weichenstellung, die nicht durch die Wahl neuer Politiker zu revidieren wäre.

Anna-Lena Bollain

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