Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.02 vom 17.01.2001, Seite 13

Palästina

Der Clinton-Plan ist Betrug

Einmal mehr begrüßt die "internationale Gemeinschaft" einmütig die "ungeheuren Kompromisse", die von Israel dank der Vermittlung US-Präsident Clintons akzeptiert werden, und tut so, als ob sie nicht verstünde, wie die Palästinenser ein so großzügiges Angebot nur zurückweisen können. Doch großzügig ist es keineswegs.
Der US-amerikanische Vorschlag ist inakzeptabel und wird von der Gesamtheit der politischen Strömungen in Palästina abgelehnt, auch wenn die weitsichtigsten unter ihnen wissen, dass es nicht leicht sein wird, zu einer Koalition Nein zu sagen, die aus Clinton, Putin, Chirac, Mubarak, Jordaniens König Abdallah, Mohammed VI. von Marokko und anderen besteht.
In einem von der palästinensischen Tageszeitung El Ayyam veröffentlichten Leitartikel erklärt der Chefredakteur und Arafat-Intimus Akkram Haniyyeh, der im Juli letzten Jahres die Reise nach Camp David mitmachte, warum dieser Vermittlungsversuch nicht die Unterstützung der Palästinenser erhalten kann.
Zunächst sei dies kein Plan, sondern höchstens eine zweite Grundsatzerklärung, die "mehr Probleme schafft als löst. Solche allgemeinen Grundsätze brauchen dutzende ergänzende Abkommen, um verwirklicht werden zu können … Dabei waren zehn Monate schwieriger Verhandlungen für eine weit geringfügigere Sache wie der Straße der Märtyrer in Hebron erforderlich (und das Abkommen ist auch nach fünf Jahren immer noch nicht von Israel umgesetzt!). Stellen wir uns vor, wieviele Jahre nötig sein werden, um zu einem Abkommen zu kommen, das die Grenzen zwischen den verschiedenen Teilen Jerusalems oder zwischen den Siedlungen und den benachbarten palästinensischen Dörfern regelt!"
Entgegen den Behauptungen mancher Journalisten enthält der Clinton-Plan keine Karte, sondern nur allgemeine Vorstellungen und Prozentangaben: In Jerusalem sollen die jüdischen Viertel israelisch werden, die arabischen palästinensisch; 5—8% des Westjordanlands sollen von Israel annektiert werden; es soll einen Gebietsaustausch geben; drei Siedlungsblocks sollen von Israel annektiert werden, usw.
Nichts wird ausgesagt über die Entscheidungsmechanismen in den Fällen, in denen Israel wieder einmal versuchen würde, eine maximalistische Lesart des Abkommens zu erzwingen oder die Angelegenheit unendlich zu verschleppen. Im Clinton-Plan sind die Palästinenser wie nach der Unterzeichnung der Grundsatzerklärung von Oslo der Gnade des israelischen Vetos ausgeliefert, aber diesmal haben sie die Falle begriffen und sie sind nicht bereit, ein zweites Mal in diese Falle zu gehen.
Der zweite Grund für die palästinensische Weigerung ist, dass dieser Plan die Annexion der besetzten Gebiete im Grundsatz akzeptiert, die jüdischen Siedlungen legalisiert und das Rückkehrrecht der Flüchtlinge ablehnt. Damit verachtet er das Recht, das so manches Mal in Resolutionen der Vereinten Nationen zum Ausdruck gebracht wurde. "Die zahllosen Erklärungen der Palästinenser, laut denen jedes Abkommen dem internationalen Recht entsprechen muss, sind Ausdruck einer prinzipiellen Haltung, nicht Erklärungen für die Presse."
In Bezug auf Jerusalem fährt Haniyyeh fort: "Indem sie eine israelische Souveränität auf dem Untergrund des Haram el Sharif vorschlagen, zeigen die Amerikaner, dass sie aus dem Scheitern von Camp David und aus der Intifada keine Lehren gezogen haben. Solche Vorschläge nähren das Feuer und laufen Gefahr, einen Religionskrieg auszulösen."
Noch weniger akzeptabel ist die Ablehnung des Rückkehrrechts der Flüchtlinge. "Der Vorschlag für die Flüchtlinge — sie sind das Kernstück des palästinensischen Problems —, verletzt die Resolution 194, die explizit das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Häuser anerkennt, und ersetzt sie durch das vage Recht auf Wiederansiedlung im [künftigen] palästinensischen Staat und finanzielle Entschädigungen."
Es besteht kein Zweifel, dass es Clinton bei seiner Vermittlung hauptsächlich darum geht, den Palästinensern den Verzicht auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge in ihre Heimat und auf ihr Immobilieneigentum aufzuzwingen. Dazu ist Clinton bereit, von Israel zu fordern, dass es den verrückten Traum von einer jüdischen Souveränität über ganz Ostjerusalem und vor allem über den Haram el Sharif aufgibt.
Aber für Yasser Arafat ist das, als schlüge man ihm vor, nachdem man ihm seine beiden Kinder weggenommen hat, ein Abkommen zu unterschreiben, in dem man ihm eines der beiden Kinder mit einem amputierten Arm unter der Voraussetzung wiedergibt, dass er das zweite eigenhändig umbringt.
Der Redakteur von El Ayyam zieht die Schlussfolgerung: "Für die Palästinenser ist es wichtig, zu einem endgültigen Abkommen zu kommen, das wirklich einen endgültigen Charakter hat. Das heißt ein Abkommen, in dem alle Details geregelt sind, einschließlich der Karten, ein Abkommen, das nicht ein Dutzend weiterer Abkommen erfordert, um tatsächlich durchgeführt zu werden, und das weder Lücken noch Fallstricke enthält … Die bittere Erfahrung der vergangenen sieben Jahre erfordert, dass ein Schlussabkommen wirklich endgültig ist."
Gut gesagt und eine richtige Schlussfolgerung aus sieben Jahren Manipulation und Mogeleien. Aber wird die palästinensische Führung die Kraft haben, diese Position durchzusetzen, die wirklich nur der Ausdruck des gesunden Menschenverstands ist? Der Guerillakrieg, der nach und nach die Intifada ersetzt, gibt ihr die Mittel dazu. Und auch wenn er nicht ausreicht, das Recht rasch zu erzwingen, kann er die israelische Gesellschaft zumindest destabilisieren (Anzeichen sind schon vorhanden) und früher oder später die neue Regierung Barak—Sharon zwingen, ihre Forderungen zurückzustecken.

Michel Warschawski (Jerusalem)

Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des Alternative Information Centre in Jerusalem: www.alternativenews.org

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