Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.03 vom 31.01.2001, Seite 2

Davos

Weltwirtschaftsforum vor dem Aus?

Das Weltwirtschaftsforum scheint sich selbst abzuschaffen. Nach der faktischen Verhängung des Ausnahmezustands über weite Teile der südöstlichen Schweiz, gerät das wegen seiner ungezwungenen Atmosphäre bei Staatschefs und Wirtschaftsführern geschätzte Treffen in Davos unter Beschuss. Nicht nur bei Globalisierungsgegnern, auch bei Forumsteilnehmern und der lokalen Bevölkerung macht sich inzwischen Empörung breit.
Als "einen der grössten Bluffs dieser Welt" bezeichnete 1996 der damalige US- Sonderbotschafter Richard Holbrooke das Davoser Gipfeltreffen. Damals regte sich noch kein Widerstand gegen das Weltwirtschaftsforum und die Antiglobalisierungsproteste steckten noch in den Kinderschuhen. Doch das hat sich seither geändert. Zum vierten Mal in Folge wurde das hochkarätige Treffen in den Schweizer Alpen von Protesten begleitet. Was sich im Gegensatz zu den Vorjahren geändert hat, ist die Reaktion der Sicherheitskräfte auf die angekündigte Demonstration vom vergangenen Samstag.
Der faktische Ausnahmezustand, der in und um Davos verhängt wurde, ist in dieser Form einmalig in der jüngeren Schweizer Geschichte. Das Aufgebot von Polizeieinheiten aus sämtlichen Kantonen, Berufsmilitärs und Angehörigen der Milizarmee konnte die rund 3000 Demonstrationswilligen, die aus ganz Europa angereist waren, in Schach halten. Nur rund ein Zehntel davon schaffte den Weg nach Davos, um dort doch noch einen kleinen, aber umso lauteren Protestzug durch das Schneegestöber zu wagen. Wasserwerfersalven (bei Minusgraden!) brachten den Marsch jedoch in grosser Entfernung zum Kongresszentrum zum Stehen.
Die Verhinderung einer Grossdemonstration in der Tradition von Seattle, Prag & Co. wird die Koalition "WOW! — Wipe out WEF" problemlos verkraften. Ziel der rund 80 Organisationen, die sich auf Initiative der Schweizer Anti-WTO- Koordination zu WOW zusammengeschlossen haben, ist nichts Geringeres als das WEF-Treffen in Davos abzuschaffen. Und diesem Bestreben ist das heterogene Bündnis durchaus einen Schritt näher gerückt — aus verschiedenen Gründen.
Die sog. Vertreter der Zivilgesellschaft, die seit einigen Jahren als Beweis für die Dialogbereitschaft des WEF nach Davos eingeladen werden, äusserten harsche Kritik an den Sicherheitsmassnahmen. Der bekannte Gentech-Kritiker Jeremy Rifkin drohte gar mit der frühzeitigen Abreise aus Davos, denn es werde ihm "sehr, sehr schwer fallen, im Sinne des berühmten Geistes von Davos weiterzudiskutieren, wenn die Schweizer Regierung und die Organisatoren des Weltwirtschaftsforums das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäusserung und der Versammlung nicht anerkennen", so Rifkin gegenüber dem Schweizer Radio. Ähnlich äusserten sich Vertreter von weiteren zehn am WEF akkreditierten Nichtregierungsorganisationen.
Gar nicht erst nach Davos schaffte es ein Referent der zugelassenen Gegenkonferenz. Der Malaysier wurde schon Kilometer vor Davos verhaftet und von der Polizei umgehend an die Landesgrenze bei Basel gestellt.
Der vielzitierte "Dialog", für den sich das WEF gerne rühmt, ist nicht zuletzt aufgrund dieser Ereignisse arg in Misskredit geraten. Die WEF-Verantwortlichen stehen in einem Legitimationsnotstand. Als ob die herkömmlichen Kommunikationskanäle nichts mehr taugten, schaltete das WEF vergangene Woche in verschiedenen Schweizer Tageszeitungen ganzseitige Inserate. Darin wies es auf die 30-jährigen Bemühungen der Stiftung für eine "bessere Welt" hin.
Eher im Bereich des Absurden ist die polizeiliche Mitteilung anzusiedeln, die Demonstranten mit Jauche abzuspritzen. Bauern aus der Region reagierten empört und kündigten an, sie würden sich weigern, den Kuhdung der Polizei zur Verfügung zu stellen. Nicht nur die Landwirte, auch weitere Bevölkerungskreise äusserten Kritik am WEF, was bislang als Tabu galt, ist doch der Grossveranstalter ein entscheidender Wirtschaftsfaktor in der Region.
Jene, die nicht direkt von den rund 2000 Teilnehmenden des Forums profitieren, beklagen sich über Ertragsausfälle, weil Skitouristen trotz der schneesicheren Zeit Ende Januar ausblieben. Ausserdem empfinden es manche Davoserinnen und Davoser als Zumutung, rund eine Woche lang quasi in einem Hochsicherheitstrakt zu wohnen.
Selbst von Teilnehmern des Forums waren in diesem Jahr ungewohnt kritische Töne zu hören. UNO-Generalsekretär Kofi Annan machte etwa deutlich, dass die Globalisierung, solange sie sich nur an der Profitmaximierung orientiere, längerfristig nur Verlierer kenne.
Die globalisierungskritischen Proteste gegen das WEF erweisen sich vor diesem Hintergrund als Katalysator von Widersprüchen, die irgendwann aufbrechen mussten. Bereits im Vorfeld der 30.Auflage des Forums vor einem Jahr wurde gemunkelt, es sei vielleicht besser, die Grossveranstaltung in eine Stadt wie Genf zu verlegen, wo sich der Hauptsitz des WEF befindet.

Nick Lüthi

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