Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.03 vom 31.01.2001, Seite 12

Internationaler Gewerkschaftsbericht

Klima wird gewerkschaftsfeindlicher

Hundertvierzig ermordete Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zählt der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) weltweit in seinem jüngst veröffentlichten "Jahresbericht über die Verletzungen von Gewerkschaftsrechten 2000". Im Vorjahreszeitraum waren es noch 17 Todesfälle weniger.
Das ist nur die Spitze des Eisbergs. "Hunderte wurden zusammengeschlagen, verhaftet, in Gefängnisse gesperrt und gefoltert, nur weil sie Gewerkschaftsarbeit verrichet hatten", erklärt Bill Jordan, Generalsekretär der in Brüssel ansässigen Organisation. Der IBFG war 1949 von einigen antikommunistischen Gewerkschaften, die zuvor aus dem Weltgewerkschaftsbund ausgetreten waren, gegründet worden. Das Klima werde "Jahr für Jahr gewerkschaftsfeindlicher und die Arbeitnehmer verlieren zunehmend an Rechten", klagt nun der IBFG.
Die Informationen stammen aus Berichten der Mitgliedsorganisationen, der internationalen Berufssekretariate und der regionalen Organisationen sowie von Menschenrechtsorganisationen und aus den Medien. Trotz der großen Anzahl von Quellen gibt es Regionen, zu denen kaum Angaben vorliegen, z.B. aus dem Nahen Osten. "Dort sind die meisten Gewerkschaften schlicht und einfach verboten oder werden streng von den Behörden kontrolliert", so der IBFG.
In Europa kritisiert der IBFG die Lage der Gewerkschafter in nahezu allen osteuropäischen Staaten. "Betrug, Korruption und ungezahlte Löhne" seien weit verbreitet, in Weissrussland habe der Präsident Alexander Lukaschenko mühselige Registrierungsverfahren für Gewerkschaften eingeführt und individuell befristete Verträge zum regulären Beschäftigungsverhältnis gemacht. Die schärfste Kritik übt die internationale Organisation jedoch an Russland. Dort seien Lehrkräfte vier bis 18 Monate nicht mehr bezahlt worden. Ein Lehrer sei bei einem Hungerstreik gestorben. Ein hungerstreikender U-Bahn-Beschäftigter beging Selbstmord, weil er seit elf Monaten keinen Lohn mehr erhalten hatte.
Gewerkschafter, die sich an Protesten gegen ungezahlte Löhne beteiligen, leben in Russland gefährlich. Der IBFG zählt drei aktive Gewerkschafter, die deshalb ermordet wurden. Einer hatte sich zusätzlich mit Korruptionfällen befasst, bei einem anderen wiesen alle Spuren auf den "Einsatz eines gedungenen Killers" hin.
Aber auch in der Europäischen Union steht nicht alles zum Besten. Neben Großbritannien, Norwegen und Belgien kritisiert der IBFG die BRD. Nicht zum ersten Mal: Nach eigenen Angaben weist der IBFG die Regierungen in Deutschland schon seit 40 Jahren darauf hin, dass das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte dem von der Bundesrepublik ratifizierten ILO-Abkommen Nr.87 entgegenstehe. Bisher ohne Erfolg.
Auch wenn Jordan die "allgemeine Heuchelei" verurteilt, "wenn sich Regierungsvertreter bei internationalen Zusammenkünften angeblich für grundlegende Rechte einsetzen", stellt er das Prinzip der Sozialpartnerschaft nicht in Frage. Er appelliert sogar an diejenigen, "die behaupten, die Welt zu führen", dies "auch tatsächlich zu tun". Mit anderen Worten: Die Industriestaaten sollen gewerkschaftliche Rechte in der zweiten und dritten Welt durchsetzen. Angesichts der gewerkschaftsfeindlichen Politik einiger Industriestaaten wolle Jordan "den Bock zum Gärtner machen", so ein kritischer Gewerkschaftsexperte.

Gerhard Klas

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


zum Anfang