Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.03 vom 31.01.2001, Seite 13

Davos ist die Vergangenheit

Porto Alegre ist die Zukunft

Einmal nicht nur reagieren, sondern agieren wollten die Organisatoren des Weltsozialforums, das am Dienstag im brasilianischen Porto Alegre zu Ende ging — nicht den Treffen der Mächtigen dieser Welt hinterherreisen, wie so oft in den letzten Jahren anlässlich diverser Gipfel, sondern die Vertreter sozialer Bewegungen und Gewerkschaften dort zusammenbringen, wo optimale Bedingungen herrschen.
Gekommen waren rund 3000 Delegierte sozialer Bewegungen sowie weitere 7000 Gäste, die in zahllosen Foren und über 500 Arbeitsgruppen tagten. Die Themen reichten über ökonomische Alternativmodelle, gewerkschaftliche Arbeit, Bekämpfung von Sklaverei und Kinderarbeit bis zu Arbeitsgruppen mit Titeln wie "Imperialismus heute", "Gewerkschaften und Neoliberalismus", "Marxismus und Feminismus" und "Weltbank-Boykott".
Die angesprochene politische Bandbreite ist denkbar breit. Weitgehend Einigkeit besteht in der Ablehnung der unter dem Oberbegriff "Neoliberalismus" zusammengefassten Politik des Freihandels, der Deregulierung und Privatisierung. Über die Frage, was zu tun ist, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Viele soziale Bewegungen aus dem Süden und auch Wissenschaftler, wie der philippinische Soziologe Walden Bello, der in Bangkok das Institut "Focus on the Global South" leitet, fordern die Auflösung von Weltbank und IWF. Im Aufruf für Porto Alegre hieß es hingegen: "Das Weltsozialforum wurde entwickelt als Konsequenz der wachsenden internationalen Bewegung, die für eine grössere Teilhabe der Zivilgesellschaften an den internationalen Finanzinstitutionen wie dem IWF, der Weltbank und der WTO eintritt."
Stark vertreten war unter anderem Via Campesina, ein internationales Bündnis von Kleinbaürn, der auch die brasilianische Bewegung der Landlosen (MST) angehört. Deren Sprecher nutzten die Gelegenheit, für den 7.April zu einem internationalen Aktionstag gegen Gentechnik aufzurufen. Die internationale Agrarpolitik müsse grundsätzlich umgestaltet und auf regionale Versorgung und interne Märkte ausgerichtet werden. Nur so sei der Hunger zu bekämpfen.
Viele hatten reichlich Wut mitgebracht: "Die Regierungen, die sich in Davos versammeln, um ihre zukünftige Politik zu skizzieren, sind diejenigen, denen weder die Hand zittert noch das Herz sich rührt, wenn sie Hunger und Unterdrückung globalisieren", meint Gilberto Silvestre. Der Mexikaner koordiniert den lateinamerikanischen Zweig von Via Campesina. Auch der französische Bauern- Aktivist José Bové, der zuhause durch den Abriss eines McDonald‘s-Imbiss zum Held der Globalisierungsgegner wurde, war gekommen. Es gehe nicht so sehr um ausgefeilte theoretische Konzepte, als vielmehr um die revolutionäre Tat, äusserte er gegenüber Nachrichtenagenturen. Beim Sturm auf die Pariser Bastille habe man auch nicht gewusst, was danach kommt.
Gesagt getan: Am Freitag vergangener Woche zerstörten die Delegierten von Via Campesina zusammen mit Mitgliedern der MST und einer bäuerlichen Frauenorganisation ein Versuchsfeld des Gentechnikmonopolisten Monsanto. Der Anbau sei in Brasilien sowieso illegal, so ein MST-Sprecher.
Auch das weltweite Netzwerk "Frauenmarsch 2000" nutzte wie viele andere internationale Initiativen das Forum für seine Diskussion. Konkret ging es um die Nachbereitung des Weltfrauenmarsches, der zwischen März und Oktober 2000 stattfand. Der Marsch führte durch viele Hauptstädte auf allen Kontinenten und endete in New York am Sitz der UNO. Er prangerte Armut und Gewalt an, unter denen Frauen besonders zu leiden haben, und forderte eine Umverteilung des Reichtums.
Auf einer Podiumsdiskussion in Porto Alegre, an der Vertreterinnen der Organisationen aus Brasilien, Kanada, Europa und Indien teilnahmen, war man sich einig, dass die Kampagne ein Erfolg war und in anderer Form fortgesetzt werden soll. Sie hätten nicht erwartet, dass man die Politik der mächtigen internationalen Organisationen sofort ändern könne. Aber sie hätten deutlich gemacht, dass die Frauen einen Wandel fordern. Es habe sich gezeigt, dass die Frauen ein unverzichtbarer Bestandteil der Bewegung gegen die Globalisierung seien und ihnen eine führende Rolle zukommen sollte, gibt eine lateinamerikanische Nachrichtenagentur die Diskussion wieder. Wichtig sei nicht so sehr, Strukturen aufzubauen, sondern die Bewegung zu dynamisieren — ein Schlüssel dazu sei die Arbeit auf lokaler und regionaler Ebene.
Kritik gab es in Porto Alegre am Auftritt des ehemaligen Ministers der französischen "Links"regierung, Jean Pierre Chevènement, der offensichtlich von ATTAC-Frankreich eingeladen worden war. Die französische Bewegung der Sans Papiers protestierte zusammen mit dem Bauernverband von Bové, den Vertretern von SUD sowie Abgeordneten der Grünen und der LCR gegen dessen Auftritt, weil er als Innenminister an Repressionen gegen ImmigrantInnen beteiligt gewesen war.
Auch der jetzige französische Handelsminister trat in Porto Alegre auf — und erntete heftigen Protest. Seine Regierung trete für eine gerechte Handelspolitik ein, meinte er, was ihm allerdings keiner so recht abnehmen mochte. Verschiedene Delegierte hielten ihm die hohen Einfuhrzölle der EU für Produkte aus der Dritten Welt und die europäischen Exportsubventionen entgegen, die in den armen Ländern die Bauern ruinieren.
Zu den wichtigsten Organisatoren des Forums gehörte das inzwischen in gut 20 Ländern vertretene "Netzwerk für ein demokratische Kontrolle der Finanzmärkte", ATTAC, das allerdings überwiegend in der frankofonen Welt operiert. Entsprechend war die Beteiligung aus Asien und dem angelsächsischen Raum sehr schwach. Auch aus Mittel- und Osteuropa waren nur sehr wenig Menschen in die brasilianische Hafenstadt gekommen, die ein Aushängeschild demokratischer Kommunalpolitik der hier seit zwölf Jahren regierenden PT ist.
Da das Forum zur regelmässigen Einrichtung werden soll, bleibt zu hoffen, dass diese relative Beschränkung auf die Frankofonie in den nächsten Jahren überwunden wird. Die Beteiligung französischer Regierungsvertreter wird da genauso wenig förderlich sein, wie die Einbindung deutscher Quasiregierungsagenturen wie der Böll-Stiftung und des Goethe-Instituts. So werden z.B. Gruppen aus dem People‘s Global Action Network, die in Porto Alegre weitgehend fehlten, nicht eingebunden werden können.

Wolfgang Pomrehn

Kontakt: www.worldsocialforum.org.

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