Sozialistische Zeitung |
Anfang Januar wurden in dem Andenland die Preise für Benzin und Nahverkehr drastisch angehoben. Dies löste in der
Hauptstadt Quito und in den Provinzen Protestkundgebungen aus. Sie konnten die Regierung nicht zur Rücknahme der Massnahmen zwingen, sind aber ein
Anzeichen für die anhaltende Stärke der Volksbewegungen.
Benzin wurde 75% teurer, Busfahrten 100%, Propangas-Kartuschen (die in zahlreichen Haushalten
verwendet werden) 40%. Die Preiserhöhungen sind Teil einer Einigung der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds, die nach anderthalb
Jahren Verhandlungen im April 2000 getroffen worden war.
Zum Hintergrund gehört die tiefe Wirtschaftskrise. Sie hat ihre Wurzeln im Ölboom der
70er Jahre; die Einnahmen aus dem Erdölexport brachten dem Land, das 1973 der OPEC beitrat, unter einer gemässigt progressiven, populistischen
Militärregierung eine gewisse Entwicklung. Längerfristig führte das Wirtschaftswachstum jedoch zu steigender Auslandsverschuldung und
erhöhter Abhängigkeit; der Boom mündete in eine Schuldenkrise.
Die "Asienkrise" und der Absturz der Weltmarktpreise für Erdöl
(Hauptquelle der Staatseinnahmen) 1997 und 1998 lösten eine tiefe Wirtschaftskrise aus. Die Regierung Präsident Jamil Mahuad bemühte sich um
eine Minderung des Haushaltsdefizits durch eine "restriktive Wirtschaftspolitik": Steuererhöhungen (die vom Parlament abgelehnt wurden),
Kürzung der Subventionen für Haushaltsgas (um 410%), Strom, Treibstoff usw.
Die Abwertung der Landeswährung Sucre im September 1998 um 15% reichte nicht; nach
einer Freigabe des Wechselkurses im Februar 1999 verlor der Sucre innerhalb weniger Tage über 40% seines Werts gegenüber dem US-Dollar. Es drohte
ein Zusammenbruch des Bankensystems, über die Hälfte der Privatbanken standen vor dem Bankrott und konnten nur gerettet werden, weil sie unter
staatliche Aufsicht gestellt wurden.
Die Abwertung des Sucre wurde auf die KonsumentInnen abgewälzt, das heisst auf die Armen
und die rapide verarmenden Mittelschichten: Importwaren wurden teurer, öffentliche Einrichtungen verfielen, Staatsausgaben für Soziales, Bildung,
Wohnungen usw. wurden zusammengestrichen.
Am 9.Januar 2000 kündigte der Präsident die "Dollarisierung" an.
Zwölf Tage darauf musste er nach einer Massenerhebung der sozialen Bewegungen unter Beteiligung eines Teils der Armee zurücktreten; an dem von
ihm eingeschlagenen Kurs änderte sich jedoch nichts. Sein Nachfolger Gustavo Noboa, zuvor Vizepräsident und bei den Präsidentschaftswahlen
1998 sein wichtigster Gegenkandidat, verkündete umgehend die Kontinuität in der Wirtschaftspolitik.
"Dollarisierung" bedeutet in Ecuador nicht nur eine fixe Parität zum US-Dollar,
wie sie 1991 in Argentinien eingeführt wurde, sondern die Einführung des Dollars als Landeswährung. Auf den Märkten sind die Preise
noch in Sucres ausgeschildert, bezahlt wird jedoch mit den grünen Scheinen der Gringos. In den Dörfern der Indígenas zirkulieren sie noch nicht.
Die "Dollarisierung" war mit einer weiteren Abwertung (um 200%) verbunden, 25000
Sucres wurden gegen 1 US-Dollar getauscht; im August 1998 hatte der Kurs noch bei 5000:1 gelegen. Die Inflation konnte dadurch nicht beseitigt werden: Nach
offiziellen Angaben lag sie 1998 bei 37%, 1999 bei 40%, im Jahr 2000 bei 91% (so hoch wie nie zuvor in Ecuador).
Die Auswirkungen sind verheerend, der Kaufkraftverlust rasant. Nach Angaben des Statistischen
Instituts benötigt eine fünfköpfige Familien derzeit 253 Dollar im Monat; die Beschäftigten im Privatsektor erhalten jedoch durchschnittlich
97 Dollar. Die niedrigsten Renten liegen bei 18 Dollar, mittlere Angestellte des öffentlichen Diensts beziehen 40 Dollar. Zwar liegt die Arbeitslosenzahl
"nur" bei 14 bis 16%, um so verheerender ist jedoch das Ausmaß der "Unterbeschäftigung": 58,2%.
An den Protesten gegen das aktuelle Sparpaket haben sich vor allem Jugendliche,
OberschülerInnen und StudentInnen beteiligt; sie sind von den Erhöhungen der Buspreise direkt betroffen. Vielleicht treibt sie aber mehr noch die
Tatsache an, dass ihnen die bestehende Gesellschaft keinerlei Perspektive bietet und die Regierung diskreditiert ist.
Die Gewerkschaftsverbände haben relativ geringes politisches Gewicht und wenig
Mobilisierungsfähigkeit. Zum wichtigsten Faktor im Lager der sozialen Bewegungen ist CONAIE geworden, der Verband der Indígenas (die etwa 40%
der Bevölkerung ausmachen). Er sprach sich zwar entschieden gegen die Regierungsmassnahmen aus und beschloss, eine Wiederaufnahme des Dialogs mit der
Regierung von der Rücknahme der Maßnahmen abhängig zu machen; grössere Mobilisierungen kündigt er jedoch erst für die
Zeit nach dem 21.Januar an, dem Jahrestag der Volkserhebung im Vorjahr.
Ende Januar hielten die Proteste an. Am 24. fand in Cuenca, der drittgrößten Stadt, ein
sehr großer Protestmarsch statt, zu dem das "Nationale Parlament der Völker Ecuadors" (das von der CONAIE geleitet wird) aufrief. In vier
Provinzen wurden die Strassen blockiert. Immer wieder geht das Militär gewaltsam vor. Für den 28. wurde zu einem levantamiento (einer Erhebung)
aufgerufen; 500 Indígenas kamen in die Hauptstadt, sie demonstrierten zusammen mit anderen Organisationen; von den Kugeln, mit denen sie empfangen
wurden, sind auch Kinder getroffen worden, es gab 120 Festnahmen.
Federico Espina
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