Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 14.02.2001, Seite 2

Meck-Pomm

Wo bleibt der öffentliche Beschäftigungssektor?

Die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt, die die Bundesregierung zu hoch hängt, ziehen an Ostdeutschland vorbei. Während in den alten Bundesländern die Zahl der Erwerbslosen um 226000 auf 2,53 Millionen zurückging, hat sie in den neuen Bundesländern trotz guter Konjunkturlage um 15600 auf 1,36 Millionen zugenommen.
Ein wesentlicher Faktor, der die Folgen der Arbeitslosigkeit im Osten bislang abfederte, ist der zweite Arbeitsmarkt. 440000 Menschen wurden im vergangenen Jahr in ABM-Stellen und Weiterbildungskurse vermittelt — eine Kooperationsleistung zwischen Arbeitsämtern, Wohlfahrtsverbänden, Landesregierung, Kommunalpolitikern, Gewerkschaften, dem Arbeitslosenverband und dem Verband der Beschäftigungsgesellschaften. Die Milliarden, die dafür ausgegeben werden, sind der BDA jedoch ein Dorn im Auge. Sie fordert ein Umsteuern in der Arbeitsmarktpolitik, und diese Politik setzt ganz oben, bei der EU, an und vermittelt sich über die Bundesanstalt für Arbeit und die Landesregierungen auf die örtlichen Arbeitsämter.
Beispiel: Mecklenburg-Vorpommern. In der offiziellen Arbeitslosenstatistik liegt das Land mit konstant 18,2% Erwerbslosen an zweiter Stelle hinter Sachsen-Anhalt. In einem Offenen Brief an die Landes- und Kommunalpolitiker protestierte der Arbeitslosenverband (ALV) Mitte Dezember gegen die drohende Kürzung von ABM-Stellen an. Bundesweit wurden im Jahr 2000 30000 ABM-Stellen bereits gestrichen. "Die Planungsgespräche der Arbeitsämter mit den Trägern von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für 2001 kündigen, wenn auch territorial unterschiedlich, eine drastische Reduzierung von ABM um 25 bis 75 Prozent gegenüber diesem Jahr an", heißt es in dem Brief. "Das bedeutet das Aus für viele soziale Projekte, für die Beratung und aktive Betreuung von Arbeitslosen, für Suppenküchen, Arbeitslosenwerkstätten, Kleidersammelbörsen und Möbelbörsen... Für diese Projekte gibt es keinerlei Interessen von seiten der privaten Wirtschaftsunternehmen, es fehlen die Gewinnaussichten."
Eine Situation, in der sich die Alternative der PDS, Schaffung eines Öffentlichen Beschäftigungssektors, beweisen könnte. Doch von diesem Weg scheint die PDS, die in Schwerin den Arbeitsminister und die Sozialministerin stellt, abzurücken. Anfang Januar geriet Arbeitsminister Holter mit Pressemeldungen unter Druck, sein Ministerium habe sich aus der Sachkostenförderung für ABM zurückgezogen. Damit seien auch die Arbeitsämter nicht mehr in der Lage, ihren Förderanteil zu zahlen; die Träger der Beschäftigungsmaßnahmen würden in ihrer Existenz bedroht. Holter sah sich genötigt, die Meldungen in einem Offenen Brief an die Verantwortlichen für Arbeitsmarktpolitik, der auch im Pressedienst der PDS (Nr.4/2001) abgedruckt wurde, zu dementieren. "All das stimmt so nicht. Bis zum heutigen Tag sind keine Entscheidungen gefallen."
Holter weiter: "Richtig ist hingegen, dass wir im Land um ein Umsteuern in der Beschäftigungspolitik nicht umhin kommen. Dafür gibt es viele Gründe, und das ist gebieterisch in diesem und in den nächsten Jahren notwendig."
Holters erstes "Argument" sind die "finanziellen Handlungsspielräume", die mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gesetzt sind (aus diesen Mitteln speist sich das Programm zur Förderung und Strukturanpassung in Mecklenburg-Vorpommern). Das neue Programm des ESF sieht vor, die "Beschäftigungspolitik wirtschafts- und unternehmensnäher zu gestalten". Statt ABM und Zielgruppen sollen Bildung und Unternehmensgeist, sprich: Existenzgründungen, gefördert werden.
Das zweite "Argument" ist Jagoda: Die Bundesanstalt für Arbeit hat die Mittel für ABM weiter gekürzt. Sie will nun "mehr Qualifizierung und weniger ABM machen". Im Jahr 2000 flossen noch 75% der Mittel für Beschäftigungspolitik in ABM und Zielgruppenförderung; sie sollen bis 2006 auf 59% zurückgefahren werden.
Zwar hat Holter zugesagt, in die "laufenden Maßnahmen" werde nicht eingegriffen und ABM dürften nicht am fehlenden Landesanteil an den Sachkosten scheitern. Aber sein Ministerium hat bis heute keine klare Aussage darüber getroffen, wie hoch die Sachkostenförderung ausfallen soll. Solange bewilligen auch die Arbeitsämter keine Mittel; die monatelange Hinhaltetaktik gefährdet die Träger von ABM-Maßnahmen, die auf kaltem Weg genötigt werden können aufzugeben, noch bevor politische Entscheidungen ihnen den Garaus gemacht haben.
25000 ABM-Stellen gibt es in Mecklenburg-Vorpommern, 5000 stehen auf der Streichungsliste. Anfang Februar protestierten wieder mehrere hundert Erwerbslose bei der Verkündung der neuen Arbeitslosenzahlen vor der Schweriner Staatskanzlei. Sie erinnerten auch den Arbeitsminister an den Koalitionsvertrag der Landesregierung, der die Schaffung von Arbeitsplätzen durch den Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Aussicht gestellt hatte. Davon ist nichts übriggeblieben.
Der Ministerpräsident kündigt an, rigoroser gegen den Missbrauch von Sozialleistungen vorzugehen. Die Landesregierung billigt den Abbau tausender ABM-Stellen. Und die Sozialministerin, Martina Runge, ebenfalls PDS, stimmt Ende November im Kreis der Arbeits- und Sozialminister der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu. Ihr Argument: "Über eine sinnvolle Verbindung von Arbeitsanreizen und Sanktionen soll die Bereitschaft, eigene Anstrengungen zur beruflichen Eingliederung einzusetzen, verstärkt werden." Damit hat sie sehr genau getroffen, was die EU mit "Förderung des Unternehmensgeistes" meint.

Angela Klein

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