Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 14.02.2001, Seite 6

Frankreich

Jetzt schlägt‘s ELF

Monsieur Alfred" ist zurück.. Am 6.Februar traf der 74-jährige Alfred Sirven, mit vier internationalen Haftbefehlen gesuchter Ex-Spitzenmanager des französischen Erdölkonzerns Elf-Aquitaine, von Gendarmen geleitet am Militärflughafen des Pariser Vororts Villacoublay ein. Zur Sicherheit hatten diese ihm eine schusssichere Weste angelegt — um zu vermeiden, dass einem ein so wertvoller Angeklagter abhanden kommt. Vier Tage zuvor war er in seiner Villa auf den Philippinen, mit Blick auf Orchideengärten und einen Vulkan, festgenommen worden.
Damit kehrt der offiziell meistgesuchte Mann des Landes in die Fänge der heimischen Justiz zurück. Doch bei weitem nicht alle dürften darüber glücklich sein. So zeigt eine Karikatur der Boulevardzeitung France-Soir einen von Polizisten umringten Sirven, dem Reporter die Frage ins vorgehaltene Mikrofon stellen: "Haben Sie eine Erklärung abzugeben?" Die einstimmige Antwort "Nein" sieht man aus Denk- und Sprechblasen aufsteigen, die zu einer Reihe von Prominenten führen, namentlich Angehörigen der politischen Klasse — der Regierungslinken ebenso wie der bürgerlichen Rechten. Die Schlagzeile dazu lautet: "Die Bombe Sirven".
Somit ist es wohl auch kein Zufall oder pures Missgeschick, wenn die Suche nach dem Mann lange Zeit mit geringem Eifer vor sich hinlief. Jahre hindurch unterliefen den Ermittlern, die mit der Suche nach Sirven beauftragt waren, groteske Pannen. Zunächst vergassen sie fast zwei Jahre lang, den (seit 1997 bestehenden) internationalen Fahndungsbefehl neben jenen EU-Staaten, die dem Schengensystem angehören, auch an die Interpolmitgliedsländer weiterzuleiten. Ein deutlicher Hinweis auf das Desinteresse, denn Sirven wurde entweder in der Schweiz oder im aussereuropäischen Ausland vermutet. Dann waren es nicht die beamteten Ermittler, sondern die Regenbogenzeitschrift Paris-Match, die ihn im August 1999 ausfindig machte und Fotos seiner damaligen Residenz in Manila veröffentlichte.
Doch es vergingen nochmals anderthalb Jahre, bis Sirven die Handschellen angelegt wurden. Das Netz an Informanten und auswechselbaren Residenzen, über das Sirven dank der wohlhabenden Grossfamilie seiner philippinischen Geliebten Vilma Medina auf dem Archipel verfügte, mag dazu beigetragen haben. Und wohl auch politische Komplizenschaften.
Diese gingen jüngst zu Ende, als der notorisch korrupte Staatspräsident der Inselgruppe, Joseph Estrada, am 20. Januar seiner Nachfolgerin Gloria Macapagal-Arrojo das Amt abzutreten gezwungen war. Nicht auszuschliessen ist aber auch, dass vor seiner nunmehr erfolgten Festnahme einige Details zwischen ihm und "den Diensten" abgesprochen wurden — beispielsweise bezüglich dem, was er künftig nicht aussagen wird.
An dieser Stelle sollen keine Verschwörungstheorien bezüglich der Justiz entwickelt werden : Die Richterinnen (alle derzeit mit der Elf-Affäre beschäftigten Justiz-Repräsentantinnen sind Frauen) sind von Weisungen unabhängig, und zumindest die Untersuchungsrichterinnen Eva Joly und Laurence Vichnievsky haben in dieser Angelegenheit einen echten Eifer bei der Wahrheitsfindung an den Tag gelegt. Aber es bestehen andere Möglichkeiten, Einfluss auf den prominenten Angeklagten zu nehmen. So dürfte man in interessierten Kreisen wissen, auf welchen noch nicht entdeckten Konten Sirven bisher Aber-Millionen geparkt hat. Wie wäre es mit einem finanziell abgesicherten Lebensabend, nachdem man einmal aus Altersgründen entlassen worden ist — gegen die Zusicherung, jeweils an den Stellen zu reden und zu schweigen, wo es erwünscht und opportun ist?

BRD-Intermezzo

Schliesslich hatten neben der französischen Justiz auch die deutschen Stellen ein Interesse an Sirven — und behielten ihn, nach seiner Ankunft mit einer Lufthansa-Maschine am Frankfurter Flughaften am vorletzten Samstag, erst einmal für dreieinhalb Tage im Gefängnis von Darmstadt- Weiterstadt. Dies war entgegen ursprünglicher Abmachungen, denen zufolge Sirven ohne Aufenthalt durch die internationale Transitzone am Rhein-Main- Flughafen geschleust werden sollte.
Doch wie er kurz darauf im Gespräch mit Le Monde klarstellte, war es Bundesinnenminister Otto Schily persönlich, der die Entscheidung getroffen hatte, Sirven kurzfristig auf deutsches Territorium zu nehmen — angeblich, um das Schengen- Auslieferungsverfahren zu respektieren. Bis dahin hatte die gewöhnlich gut informierte Zeitung noch vermutet, es handele sich lediglich um ein Zuständigkeitsgerangel zwischen Berlin (das ursprünglich die genannte Zusage gegeben hatte) und den Landesjustizbehörden in Hessen. Bereits am folgenden Tag hatte Schily die Dinge zurechtgerückt und so den politischen Charakter der Entscheidung unterstrichen.
Hintergrund ist aller Wahrscheinlichkeit nach, dass die deutschen Behörden von Sirven gern mehr über über den Aufkauf der Raffinerie im ostdeutschen Leuna durch Elf im Jahre 1992 gewusst hätten — bei der u.a. die 40 Millionen Euro Schmiergelder an Hemut Kohls CDU geflossen sein sollen, die im vergangenen Jahr für handfeste Skandale in der deutschen Innenpolitik sorgten. Denn in dieser Angelegenheit verfolgen die deutsche und die französische Politik nicht dieselben Interesse.
Der Aufkauf der Leuna-Raffinerie durch Elf war damals, kurz nach der Wiedervereinigung, das politisch ausgehandelte Unterpfand gewesen, das den Franzosen — durch das immerhin grösste gemeinsame deutsch-französische Industrieprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg — die Angst vor einer durch die deutsche Einheit stärker und national egoistischer werdenden BRD nehmen sollte.
Doch allem Anschein nach sind Elf und die französische Politik (Elf war bis 1993/94 mehrheitlich im Staatsbesitz) dabei über den Tisch gezogen worden : Elf erwarb damals eine Quasiindustrieruine, die ihm in der Folgezeit 5,4 Milliarden Francs (0,8 Milliarden Euro) Verlust eintrug. Tatsächlich haben die deutschen Staatsanwaltschaften, so viel sickerte nach Sirvens viertägigem BRD-Aufenthalt durch, diesen nach Details zu Leuna zu befragen versucht. In Paris wurde der Ankunft des früheren "Direktors für allgemeine Geschäftsangelegenheiten", wie sein Titel bei Elf lautete, unterdessen mit grosser Spannung entgegengesehen.
War doch am 22.Januar der spektakuläre Prozess in der Strafsache "Dumas/Deviers- Joncour" vor der elften Strafkammer des Pariser Gerichts eröffnet worden, in dem es in erster Linie um Aktivitäten der Elf-Gruppe geht. Es dreht sich dabei in erster Linie darum, wie der Konzern den ehemaligen Aussenminister Mitterrands, Roland Dumas, auf dem Umweg über dessen Geliebte Christine Deviers-Joncours "geschmiert" hatte.
Die Dame bezog damals, zwischen 1989 und 1993, ohne reale Gegenleistung ein fettes Monatsgehalt von Elf und strich darüber hinaus 64,5 Millionen Francs (10 Millionen Euro) an Überweisungen des Konzerns ein, die über Sirvens Schweizer Konten liefen. Damit sollten Dumas Rüstungsexporte schmackhaft gemacht werden, die Elf — im Auftrag anderer Unternehmen handelnd, da der Konzern eine Art Parallel-Geheimdienst (vor allem in den afrikanischen Ländern) unterhält — eingefädelt hatte.

Blutspur in Afrika

In dem Prozess geht es derzeit um die "Fregatten-Affäre" : die Lieferung von Kriegsschiffen an Taiwan im Jahre 1991, gegen die Dumas zunächst opponiert und die er dann, mutmasslich nach Zahlungen des Elf-Konzerns, freigegeben hatte. Diese Affäre hat einige politische Brisanz. Die Seifenoper Dumas/Deviers-Joncours, die zur Zeit die Medien beschäftigt, stellt zugleich aber auch eine Art Spielmaterial zur Ablenkung der Öffentlichkeit dar. Denn weit kriminellere Aktivitäten als in Taiwan, bei denen anders als im Fernen Osten bereits reales Blut geflossen ist und noch immer fliesst, führte Elf — mit Sirven und nach ihm — in Afrika durch, besonders in den Bürgerkriegsländern Angola und Kongo- Brazzaville.
Diese beiden Länder fielen damals bei Elf in den persönlichen Zuständigkeitsbereich Sirvens. Zugleich hat hier die französische Politik selbst einige finsteren Machenschaften zu verbergen. Derzeit ermittelt die Justiz in einer anderen Affäre gegen ein Netz von Waffenhändlern, die 1993 im Auftrag des französischen Innenministeriums — das damals von dem Rechten Charles Pasqua geführt wurde — Waffen in den angolanischen Bürgerkrieg gepumpt hatten, und zwar an beide Seiten : die "postmarxistische" Regierung unter Präsident Dos Santos und die (ganz früher einmal durch Apartheid-Südafrika ausgehaltene) rechte UNITA-Guerilla.
In diesem Zusammenhang wurden im Dezember 2000 der Waffenhändler Pierre-Joseph Falcone und der Sohn des früheren Staatspräsidenten, Jean-Christophe Mitterrand — zwischen 1982 und 1992 "Afrikabeauftragter" des Staatschefs —, in Untersuchungshaft genommen. Die politischen Spuren in dieser Angelegenheit führen in die Umgebung Mitterrands (Senior und Junior) und vor allem Pasquas — genau dorthin, wo Sirven privilegierte Kontakte unterhielt, wie sein letzte Woche durch die Presse veröffentlichtes Adressbuch beweist.
Das Wochenmagazin L‘Evénément hatte bereits im Dezember 1996 einen Zusammenhang hergestellt zwischen den Waffenlieferungen nach Angola (die damals die Justiz noch nicht interessierten), Pasqua und dem Elf-Konzern. Doch wie kam es dazu, dass die ehemalige "Nummer Zwei" eines der führenden Konzerne des Landes sich auf der Anklagebank wiederfindet? Bekanntlich hackt eine Krähe einer anderen kein Auge aus.
Diese Regel findet aber, auf Vertreter von Grosskapital und Rüstungsindustrie bezogen, im Falle der zur Zeit vor der französischen Justiz verhandelten Elf-Skandale keine Anwendung. Denn es sind nicht zuletzt die Klagen zweier führender Konzerne, die man dem so genannten militärisch-industriellen Komplex zuordnen kann, die zu den jetzigen Gerichtsverhandlungen geführt haben.
Zum einen hat die Elf-Konzernspitze, unter Führung des seit 1993 amtierenden Generaldirektors Philippe Jaffré, am 6.Mai 1995 Anzeige wegen Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen gegen Jaffrés Amtsvorgänger Loik Le Floch-Prigent erstattet. Es ging dabei ursprünglich um rund 600 Millionen Francs (100 Millionen Euro), die Le Floch-Prigent als zwischen 1989 und 1993 amtierender Konzernchef in den maroden Textilbetrieb eines persönlichen Freundes — Maurice Bidermann — gepumpt hatte und die für das Firmenvermögen verloren waren.
Doch im Laufe der Ermittlungen kamen dabei ganz andere Sachen ans Tageslicht: die umfangreichen Unterschlagungs-, Schmiergeld- und Bestechungskanäle, die namentlich Alfred Sirven — an der Spitze der Genfer Filiale EAI (Elf Aquitaine International) — unterhielt.
Auf insgesamt 3 Milliarden Francs (500 Millionen Euro) wird heute der Umfang der solcherart abgezweigten Gelder geschätzt. Davon liefen allein 1,5 Milliarden Francs, folgt man dem helvetischen Untersuchungsrichter Paul Perraudin, über Sirvens Konten in der Schweiz. Aus diesem Topf wurden bedeutende Teile der politischen Klasse bedient, vor allem aber die Clans um den Ex-Staatspräsidenten François Mitterrand und um den national-populistischen Politiker Charles Pasqua.
Denn beide Politiker und ihre Umgebung sind Schlüsselfiguren der Staatskriminalität, was die Ausplünderung und die Unterhaltung von Kriegen auf dem afrikanischen Kontinent betrifft. Afrika aber ist eine der Hauptoperationszonen des Elf- Konzerns, der in einigen Ländern der Atlantikküste de facto die Regierungsgewalt innehat.
Die andere Klage stammt von dem Elektronik- und Rüstungskonzern Thomson. Dieser fühlte sich von Sirven über den Tisch gezogen, der in Sachen Einfädelung des Fregattengeschäfts mit Taiwan (die Kriegsschiffe wurden durch Thomson geliefert) übermässig die Hand aufgehalten hatte, wegen angeblicher Vermittlungstätigkeit seiner Agenten in Peking. Ein Netz von Elf-Informanten in Peking habe Hindernisse aus dem Weg geräumt.
Denn angeblich sorgte das Veto Pekings gegen einen französischen Export von Kriegsschiffen und Raketen an Taipeh bis dahin dafür, dass dieser unterblieb. Doch der Thomson-Konzern analysierte die Situation so, dass es gar keine Hindernisse in Peking gegeben, sondern die Pariser Regierung allein über den Kriegsmaterialexport an Taiwan entschieden, und sich schliesslich über Pekinger Bedenken hinweggesetzt habe. Und so erhob Thomson am 26.Februar 1997 in Paris Klage — wegen Betruges.
Doch weitaus brisantere Zusammenhänge der französischen Afrikapolitik drohen für die nächste Zeit erst einmal zugunsten der medienwirksamen "Affären" der Schickeria zurückgedrängt zu werden, wenn am 12.März der Dumas-Prozess wiederaufgenommen wird. Eine vierwöchige Verhandlungspause wurde eingelegt, damit Sirven sich auf seine Verteidigung vorbereiten kann. Das hat der Mann auch nötig : Sein Name fällt in den Untersuchungsakten zur Elf-Affäre an insgesamt 3649 verschiedenen Stellen, die Fregatten-Story nicht mitgerechnet.

Bernhard Schmid (Paris)

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