Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 14.02.2001, Seite 15

Freiheit und Sozialismus

Robert Lederer, Freiheit und Sozialismus, Münster (LIT) 2000, 418 S., 68 DM.

Im Alltagsverstand, mehr aber noch in den heute artikulierten politischen Diskursen der bürgerlichen Öffentlichkeit erscheint der Sozialismus als eine Idee von vorgestern, manchmal auch als eine vielleicht schöne Utopie, deren Umsetzung in die Praxis zum menschenfressenden Ungeheuer des Sowjetkommunismus geführt habe. Es gibt kein Heil jenseits von Marktwirtschaft und bürgerlicher Demokratie — verkünden die Ideologen im Einklang mit den "geläuterten" Revolutionären von einst — Joschka Fischer und Konsorten. Allenthalben wird abgeschworen oder werden gar "Schwarzbücher" aufgelegt, die die verheerenden Folgen der sozialistischen Praxis beleuchten sollen.
Marktwirtschaft und Demokratie garantieren Freiheit; Sozialismus führt zur Unfreiheit, schon staatliche Eingriffe in den Markt bringen ein Land laut Friedrich Hajek, dem Guru der Neoliberalen, auf den "Weg in die Knechtschaft". Im ideologischen Gewande der Freiheit hat sich ein neuer Totalitarismus breit gemacht, den die verbleibenen kritischen Intellektuellen Frankreichs das "Einheitsdenken" (pensée unique) genannt haben.
Der an der Universität Bochum lehrende Robert Lederer hat nun ein Buch* veröffentlicht, das sich vorgenommen hat, einerseits die Freiheitsvorstellungen der sozialistischen Bewegung seit der Französischen Revolution zu skizzieren, um damit die heute übliche Legendenbildung zurückzuweisen, andererseits die heute artikulierten wissenschaftlichen Diskurse über die Bürger- oder Zivilgesellschaft oder gar "Weltbürgergesellschaft" und deren angebliche Freiheitspotenziale im Rahmen des Globalisierungsprozesses als idealistische Mythen zu entlarven.
In seinem Buch "wird davon ausgegangen, dass die friedlose Welt mit aufgerüsteten Militärapparaten, erprobten Systemen der sozialen Ungleichheit, die monopolisierte westliche Macht der großen Industriestaaten eine zukunftsweisende Antwort auf Kriege in der DrittenWelt, Hunger, ökologische Krise und politische Entfremdung in den westlichen Demokratien so dringlich wie utopisch erscheinen lässt".
Die moderne Freiheitsdebatte entstand in der Aufklärung, als man sich der Möglichkeit gewahr wurde, Gesellschaft verändern und somit "machen" zu können. Die Vorstellung, dass eine Verbesserung der Verhältnisse, in denen Menschen leben, in einem Prozess des Fortschritts möglich und wünschenswert sei, ist sowohl dem Liberalismus wie dem Sozialismus eigen.
Der Unterschied zwischen diesen beiden politischen Strömungen — der heute mehr denn je klar herausgearbeitet werden muss — liegt in der liberalen Vorstellung, "dass Freiheit und Individualität des Einzelnen umso stärker zur Entfaltung kommen sollen, je mehr sie von den gesellschaftlichen Bedingungen und Bindungen freigesetzt und zur Selbstentfaltung freigelassen werden". Idealtypisch ist das Individuum also ein sich selbst genügender Robinson, wobei natürlich die Dienerrolle des Freitag ausgeblendet wird.
Demgegenüber hat die sozialistische Tradition immer vertreten, dass der Mensch ein "animal sociale", also ein gesellschaftliches Wesen ist, das nur in Gemeinschaft leben und sich entwickeln kann. Daher arbeitet Lederer als grundlegendes Konzept den Begriff der "sozialen Freiheit" heraus und betont, dass diese Freiheit durch die bestimmenden Strukturen der Vergesellschaftung, letztlich den "internationalen Kapitalismus" determiniert sind. Er kritisiert verschiedene liberale Denker in Geschichte und Gegenwart, die immer wieder von den konkreten Besitz- und Herrschaftsverhältnissen abstrahieren müssen, um diesen Sachverhalt zu verhüllen.
Der wichtigste und interessanteste Teil des Buches beschäftigt sich somit mit den gesellschaftlichen Bedingungen der Freiheit, wobei der Autor besonders auf die verschiedenen Diskurse nach dem Untergang des "Staatssozialismus" eingeht, der auch bei vielen (gewesenen) Linken zur stereotypen Übernahme von Maggie Thatchers Diktum führte, es gebe keine Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Er zitiert den britischen Marxisten Hobsbawm, der schrieb, dass "selten in der Geschichte die moralische Leere eines wirtschaftlichen Liberalismus so offenkundig gewesen, der die Welt auf das egoistische Handeln der Individuen und den Tauschwert, den sie füreinander darstellten, reduziert".
Lederer beharrt auf den sich ausweitenden Grundübeln des Kapitalismus, wie internationale Ungleichheit und Armut, Arbeitslosigkeit als Produkt der Überakkumulationskrise des Kapitals, rapides Anwachsen der industriellen Reservearmee nach dem Ende des "Staatssozialismus" und vor allem die ökologische Krise, die das menschliche Leben weltweit gefährdet. "Die Internationalisierung der Produktion treibt die ökologische Krise weiter voran von der Vernichtung der Regenwälder bis zur Globalisierung des westlichen Konsummodells. Da dieses Konsummodell ein positionales Gut ist, würde seine globale Verallgemeinerung das Ende der Gattung Mensch bedeuten."
Diese Entwicklungen seien mit einem "Weltbildverlust" als der "Schwächung des Glaubens an sinnhafte Existenz" und insbesondere an Fortschritt und einem "Bindungsverlust" (an Großgruppen wie Familie, Kirche, Partei) verbunden, die zu entwurzelten Individuen und einer "Brutalisierung der Gesellschaft" mit einer sich ausbreitenden Kriminalität führten.
"Nach dem scheinbaren Ende ideologischer Großkämpfe scheint die hemmungslose Jagd nach dem Genuss die gemeinsame Maxime einer entfesselten Konsumgesellschaft ohne moralische Bindungen." Doch die Orientierung der Liberalen auf Egoismus und Habgier führten schon immer zu menschlichem Elend und gesellschaftlicher Zersetzung, seitdem dieses Modell vor 200 Jahren theoretisiert wurde.
Wer also eine umfängliche kritische Auseinandersetzung mit den heutigen politischen Diskursen und ihren Apologeten sucht, der greife zu diesem Buch. Schade nur, dass der Verlag es nicht für nötig befunden hat, die Arbeit ordentlich lektorieren zu lassen.

Paul B. Kleiser

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