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Es gibt wohl kaum noch einen Fahrgast der Deutschen Bahn, der nicht mindestens eine halbe Stunde Verspätung bei Reisen mit
dem öffentlichen Verkehrsmittel einkalkuliert. Der Service verschlechert sich, die Toiletten und Abteile in den Zügen sind verschmutzt und das
gestresste Bahnpersonal reagiert bei Nachfragen immer öfter ungehalten. Die Folge: mehr und mehr Menschen kehren dem umweltfreundlichsten
Verkehrsmittel in den letzten Jahren den Rücken.
Das müsste eigentlich nicht sein, meint die Initiative "Bürgerbahn statt
Börsenwahn", die sich am 16.Februar mit einer rollenden Pressekonferenz in einem InterRegio von Frankfurt am Main nach Berlin der
Öffentlichkeit vorstellte. Für die Krise der Bahn macht die Initiative die Politik der Bundes- und Landesverkehrsminister sowie die des Managements der
privatrechtlich geführten Deutsche Bahn AG, deren Eigentümer noch zu 100% der Bund ist, verantwortlich.
Seit 1990 gab es einen massiven Stellenabbau von 500.000 auf heute 225.000 Arbeitsplätze.
Dabei hatte der Bundesrechnungshof erst 1999 vorgerechnet, dass dadurch die Produktivität nicht gesteigert wird. Denn die Personaleinsparungen mussten mit
dem Einkauf von Fremdleistungen wieder ausgeglichen werden.
Die Investitionen des Unternehmens flossen in den vergangenen Jahren überwiegend in die
Hochgeschwindigkeitsstrecken und zuschlagspflichtige Fernzüge. Dabei ist mindestens die Hälfte der Bahnkunden auf Nahstrecken unterwegs. Dasselbe
gilt für den Güterverkehr: Bundesbahnchef Mehdorn orientiert die Marktstrategie seines Unternehmens auf Entfernungen ab 400 Kilometer, obwohl die
tatsächliche durchschnittliche Transportweite bei 250 Kilometer liegt.
Im Vergleich zum Straßenverkehr, dem Luftverkehr und der Binnenschifffahrt muss die Bahn
gravierende Nachteile in Kauf nehmen: Nur die Bahn AG muss ihr Schienennetz selbst finanzieren und erhält dafür keine Steuermittel. Darüber
hinaus zahlt die Bahn Mineralölsteuer und 50% Ökosteuer. Sowohl der Flugzeugverkehr als auch die Binnenschifffahrt sind von beidem befreit.
Autoindustrie profitiert
Diese Verkehrspolitik, die vor allem der Auto- und Luftfahrtindustrie Vorteile verschafft, hat das Verkehrsaufkommen in den letzten Jahrzehnten stark
verlagert. Seit 1950 hat sich das Straßenverkehrsnetz in Deutschland um 200.000 Kilometer verlängert, dass Schienennetz wurde hingegen um 15.000
Kilometer abgebaut. Die Zergliederung des ehemals einheitlichen Unternehmens, das vom Fahrzeugbau über das Schienennetz und die Bahnhöfe bis hin
zum Transport der Fahrgäste alles organisierte, hat die skizzierten Entwicklungen erleichtert. Seit 1994 entstanden daraus fünf getrennte
Aktiengesellschaften und mehr als 180 einzelne Unternehmen.
Die Bahn AG hat für die kommenden Jahre weitere massive Einschnitte angekündigt.
Bis ins Jahr 2003 will sie nochmals 70.000 Stellen kürzen. Die BahnCard, die bisher 50% Rabatt auf die Normaltarife gewährte, soll ab 2002 mit einem
"neuen Tarifsystem" auf einen Rabattsatz von nur noch 25% halbiert werden. Die Speisewagen sollen verschwinden und Bordversorgung soll es nur noch
für Reisende der Ersten Klasse geben. Ab sofort stehen 1000 Bahnhöfe zum Verkauf an Privatinvestoren. Langfristig sollen lediglich 500 der insgesamt
5600 Bahnhöfe übrig bleiben. Last but not least: der einzige noch zuschlagsfreie Fernverkehrszug, der InterRegio, soll bis ins Jahr 2003 weitgehend
abgeschafft sein.
Die Verteidigung des InterRegios soll der Ansatz für eine längerfristige Kampagne
für die Bahn und gegen den "zerstörerischen Kurs" in der Verkehrspolitik sein, meint Winfried Wolf, verkehrspolitischer Sprecher der PDS-
Fraktion im Bundestag und Mitinitiator der Bahninitiative.
Die Initiative "Bürgerbahn statt Börsenwahn", an der sich neben dem
Bundestagsabgeordneten auch Funktionäre der Bahngewerkschaften, Betriebsräte, ein Hotelier, ein Filmregisseur und Hermann Scheer, Träger des
alternativen Nobelpreises und Bundestagsmitglied der SPD beteiligen, kritisiert, dass auch die geplanten Ersatzlösungen für den InterRegio unzureichend
sind. Geplant sind statt des InterRegio sog. Regionalbahnen die Fahrgäste müssten dann häufiger umsteigen. Dies sei, so die Initiative, ein
einschneidender Qualitätsverlust, denn die Bahn kommt vor allem dort am besten an, wo eine Fahrt mit möglichst wenig Zwischenstopps
zurückgelegt werden kann.
Mit dieser Umstellung spart die Bahn AG auf Kosten der Bundesländer. Bisher wird der
Nahverkehr dazu gehören auch die Regionalbahnen von den Bundesländern finanziert, die dafür vom Bund
"Regionalisierungsmittel" erhalten und bei der Bahn AG entsprechende Verkehrsleistungen "bestellen". Der Fernverkehr, dazu zählen
neben dem InterRegio auch die EuroCity- und InterCity-Züge sowie der InterCityExpress (ICE), ist hingegen ausschließlich aus Mitteln der Bahn AG zu
bezahlen.
Erfolgsgeschichte
Wenn das Bahnmanagement nun den InterRegio abschafft, dann zahlen die Länder die Kosten für die Ersatzverbindungen mit ihren jeweiligen
Regionalisierungsetats. Sollte der Nahverkehr diese Leistungen ganz übernehmen, so die Initiative, erforderte dies eine Summe von jährlich
zusätzlich 700 Millionen Mark für die Regionaletats. Wahrscheinlicher sei jedoch, sagt Wolf, dass "in der ein oder anderen Weise der
Schienenverkehr abgebaut wird". IC- und ICE-Züge fahren nur die großen Städte an. Schon heute gibt es ganze Regionen, die weitgehend
vom Zugverkehr abgeschnitten sind, z.B. Gera und Heilbronn.
Bis 1995 galt der seit 1988 eingesetzte InterRegio der Bundesbahn als Erfolgsgeschichte. Mitte der
90er zählte der InterRegio jährlich 62 Millionen Reisende, der IC 49 Millionen und der ICE 23 Millionen Fahrgäste. "Der InterRegio bietet
ein nehezu flächendeckendes, attraktives Angebot", hieß es 1995 im Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbahn. Nur ein Jahr später
entschied der Vorstand, "innerhalb der nächsten fünf Jahre den InterRegio abzuschaffen".
Seither werden InterRegio-Verbindungen "ausgedünnt" und die Anschlüsse
zu anderen Zügen verschlechtert. Immer wieder ist davon die Rede, der InterRegio müsse sich finanziell tragen, während systematisch alles
dafür getan wird, das Fahrgastaufkommen zu reduzieren und die roten Zahlen der IC- und ICE-Züge geflissentlich verschwiegen werden. Die
rückläufige Anzahl von Fahrgästen des InterRegio sei "nicht durch eine verschlechterte Nachfrage zu begründen", sondern lasse
sich "vielmehr durch Verschlechterungen in Angebot und Qualität belegen", meint die Initiative.
Neue Verkehrspolitik
Die Initiative will sich für eine grundlegend neue Verkehrspolitik einsetzen. Von einer börsenfähigen Bahn AG halten die Unterzeichner
nichts. Das Schienennetz gehöre wie Gesundheit oder Altersvorsorge zur infrastrukturellen Grundversorgung des Gemeinwesens. Die Bahnaktivisten wollen
den weiteren Bau von Straßen- und Landebahnen verhindern.
Eine neue Verkehrspolitik erfordere "nicht nur eine vorausschauende Klimaschutzpolitik,
sondern auch eine Vorsorgepolitik zu Gunsten all derjenigen, die sich heute oder künftig kein Auto leisten und die einen Beitrag zum Klimaschutz bringen
wollen", heißt es im Aufruf der Initiative. Dazu gehöre selbstverständlich, dass der öffentliche Verkehr "deutlich preiswerter
sein muss" als der motorisierte Individualverkehr. Zudem sei der weitere Abbau der Belegschaft der Deutsche Bahn AG "kontraproduktiv" weil
damit elementare Standards für Service und Sicherheit gefährdet würden.
Auf der abschließenden Pressekonferenz in Berlin warnte Hans-Joachim Kernchen,
Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer in Berlin, Brandenburg und Sachsen, davor zu warten, "bis das Kind in den Brunnen"
gefallen sei. Er erinnerte ausdrücklich an die großen Bahnunfälle des vergangenen Jahres in Eschede und Brühl, bei denen insgesamt weit
mehr als hundert Menschen ums Leben kamen. Dass dies eine Folge der personellen Einsparungen bei der Bahn und den ausgegliederten Wartungsunternehmen ist,
brauchte er nicht extra zu erwähnen.
Auf die Frage, welche Maßnahmen die Gewerkschaften gegen die geplanten Massenentlassung
ergreifen wollen, deutete er an, dass die Tarifverhandlungen durchaus scheitern und es zu einer Urabstimmung für einen Arbeitskampf kommen könnte.
Die Bahn AG fahre eine Salamitaktik, habe einen viel zu niedrigen "Zukunftssicherungsfonds" vorgeschlagen und fordere von den Beschäftigten,
auf einen tariflichen Kündigungsschutz zu verzichten, so der Gewerkschafter.
Sein Kollege von der größten Bahngewerkschaft Transnet, Wolfgang Zell, favorisierte
hingegen Mittelstandskonzepte, die eine "regionale Privatisierung zur Rettung der Bahn" anstreben. Diese Unternehmen könnten dann die vormals
bei der Bahn AG Beschäftigten übernehmen, meint der Transnet-Regionalleiter. Die knapp fünfzig anwesenden Beschäftigten der Bahn AG
konnte er mit seinen Ausführungen nicht überzeugen.
Einer von ihnen kritisierte Sozialpläne, die Kollegen eines abgewickelten Hamburger Bahn-
Unternehmens schon in die Sozialhilfe getrieben hätten. Es sei schwer, gegen das "verlorene Selbstwertgefühl" anzukämpfen, dass die
Konzernvorstände mit ihren seit Jahren andauernden Klagen über mangelnde Flexibilität und zu hohe Bezahlung erzeugt hätten. Ihre
Propaganda hätte regelrecht die "Arbeit entwertet", beschreibt der Beschäftigte der Bahn AG. Hinzu komme die fast tägliche
Beschimpfung der Kunden, die aus dem reduzierten Personalstand resultiere. Matthias Martiny von der Verkehrsgewerkschaft GDBA ist der Ansicht, dass der
"Arbeitsplatzabbau auch mit gewerkschaftlichen Kampfmitteln kaum zu verhindern" sei, darüberhinaus müsse man anstreben, eine
"breitere Öffentlichkeit in ein Bündnis für die Schiene einzubeziehen".
Mit Nichtregierungsorganisationen wie dem Verkehrclub Deutschland (VCD), der ehemals als
Alternative zum Autofahrer-Lobbyverband ADAC entstanden war, wird dabei wohl nicht zu rechnen sein. Der VCD hat Ende Februar gemeinsam mit dem
grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin eine Studie zur Umweltverträglichkeit von Verkehrsmitteln vorgestellt. Ihr Fazit: das Auto wird in
den kommenden Jahren bei der Umweltverträglichkeit im Vergleich zu Bus und Bahn deutlich aufholen. Ein Lob aus den Chefetagen der Autokonzerne wird
Trittin und dem VCD sicher sein.
Gerhard Klas
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