Sozialistische Zeitung |
An Weihnachten streikten Beschäftigte in Pariser McDonalds-Filialen; Anfang Februar bei Pizza-Hut. Die neue
Bewegung führt zu ungeahnten Bündnissen.
Harte Streiks, Betriebsbesetzungen, Gewerkschaftskämpfe… Bei McDonalds wie bei
Pizza Hut zeugt die neue Bewegung gegen ungeschützte Beschäftigung von einem neuen Bewusstsein jugendlicher Beschäftigter über ihre
Arbeitsbedingungen. Betroffen sind Studentierende 40% von ihnen sind gezwungen arbeiten zu gehen, um ihr Studium zu finanzieren und ungelernte
Jugendliche, deren berufliche Karriere mit Jobs wie bei McDonalds beginnt Teilzeitstellen zum gesetzlichen Mindeststundenlohn von 42 Francs (= 12
DM).
In den Fast-Food-Ketten, die in großem Stil "Jugendarbeitsplätze"
bereitstellen, arbeiten 80.000 Menschen, davon 85% Teilzeit. Eine ähnliche Konzentration gibt es in Call-Centern, sie fordern flexible Arbeitszeiten und
beschäftigten deshalb hauptsächlich Studierende. Von den 150.000 Telefonisten sind 75% unter 30 Jahre alt. Ein ganzer Sektor der Ökonomie lebt
von junger, flexibler und bislang gefügiger Arbeitskraft. Doch seit Herbst letzten Jahres meldet sie sich zu Wort.
"Es sind Kinder der Krise", sagt ein Gewerkschafter. "Sie haben ihre Eltern
arbeitslos erlebt oder wie sie gewzungen sind, Arbeit zu jeder Bedingung anzunehmen. Sie wollen was anderes." Hier erwacht ein Frankreich, das
"schwarz-weiß-beur" ist (beur: in Frankreich Geborene arabischer Herkunft); es reicht ein Blick hinter den Tresen eines Fast-Food-Restaurants, um
die Verschiedenartigkeit der Beschäftigten festzustellen, die sich auch in der Verschiedenartigkeit der jungen GewerkschafterInnen zeigt.
Jean Gomez, Filialleiter bei McDonalds, will in dem Streik in der Filiale Saint-Germain
mitten in Paris und mitten an Weihnachten nur ein "Randerscheinung" sehen. Aber die Bewegung geht tiefer. Dabei gehören die
französischen Jugendlichen zu den am schlechtesten gewerkschaftlich Organisierten in Europa. Die CFDT hat in 400 Callcentern eine Befragung
durchgeführt: nur 3% waren Mitglied einer Gewerkschaft.
hre Forderungen: zwei Ruhetage hintereinander und Möglichkeiten für einen
beruflichen Aufstieg. Von den Arbeitsbedingungen nicht zu reden. "In den Call-Centern herrscht Big Brother", sagt Martine Zuber von der CFDT.
"Alle Anrufe werden mit der Zeituhr gestoppt. Über die Hälfte der Beschäftigten klagt über Gesundheitsprobleme wegen Stress."
Trotzdem haben Jugendliche in den Callcentern noch eine Chance auf bessere Qualifizierung. In den Fast-Food-Betrieben ist das nicht der Fall.
Die Zeitjobs bewirken eine Entqualifizierung der Jugendlichen, sagt ein Vertreter der
Studentengewerkschaft UNEF-ID. "Die Zahlen beweisen, dass solche Jobs das Studium verlängern. Schlimmstenfalls führen sie sogar zum
Studienabbruch; viele Studierende können nicht beide Aufgaben unter einen Hut bringen und geben das Studium auf." UNEF-ID fordert deshalb ein
Studiengeld (analog zum Arbeitslosengeld), das erlaubt zu studieren, ohne arbeiten gehen zu müssen.
Die Forderung riskiert, an den hunderttausenden von Jugendlichen vorbeizugehen, die vorzeitig ihre
Schulbildung abbrechen. Sie sind weniger gut organisiert und deshalb weniger fordernd als die Studierenden; sie steigen leichter auf die Argumente der
Geschäftsleitung ein. Die erklärt: "McDonalds ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Nicht die Fast-Food-Ketten sind an der
Entqualifizierung schuld. Im Gegenteil, es braucht mehr solcher Jobs, damit die Jugendlichen massenhaft den Einstieg in den Arbeitsmarkt finden." Er besteht
darauf, dass sie bei McDonalds "Kompetenzen in Dienstleistung, in Service und Flexibilität" erwerben, was ihnen angeblich bei ihrer
künftigen Karriere helfen soll. Aber solche Qualifikationen sind nicht anerkannt, dafür gibt es keine Zeugnisse. So bleibt die Chance auf einen gesicherten
Arbeitsplatz sehr fraglich.
Anfang Februar gab es in der Sorbonne eine "historische" Veranstaltung: Die beiden
Studentengewerkschaften, UNEF und UNEF-ID, CGT und CFTC McDonalds, CGT Pizza Hut, ein Gewerkschaftsvertreter von EuroDisney, die
Arbeitsloseninitiative AC! und die Bewegung gegen die Globalisierung, ATTAC, sitzen zusammen. Sie eint eine gemeinsame Forderung: "Studierende und
Beschäftigte gegen prekäre Jobs!" Der lange Kampf, den es um Weihnachten bei McDonalds Saint-Germain gab, hat Spuren hinterlassen.
Er könnte eine Wende in der Geschichte der gewerkschaftlichen Organisierung der Studierenden bedeuten.
Das letzte Mal, wo Beschäftigte mit Studierenden miteinander diskutiert haben, war bei den
großen Streiks 1995. Eine Zusammenkunft von der Breite wie Anfang Februar hat es aber bisher noch nicht gegeben. Die Beteiligten beschließen, sie
fortzusetzen und eine gemeinsame Bewegung ins Leben zu rufen. Sie wollen sich am 24.Februar vor McDonalds Saint-Germain, zwei Schritte von der
Sorbonne entfernt, erneut treffen da wo es an Weihnachten den "historischen Streik" gab.
Aus: Libération, 5.2.2001
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04