Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 01.03.2001, Seite 6

BetrVG

Kuhhandel zwischen DGB und Riester

Am 14.Februar beschloss die Schröder-Regierung Änderungen am bestehenden Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), die dann im Parlament durchgebracht werden sollen. Die Änderungen am BetrVG waren der zweite große "Reformplan" aus dem Haus des Arbeits- und Sozialministers Riester nach der Rentenreform. In den Tagen vor dem Kabinettsbeschluss hatte es einen Streit zwischen Riester und Wirtschaftsminister Müller gegeben, in dem der Wirtschaftsminister weitergehende Änderungen am Entwurf forderte und in die Klagen der Industrie einstimmte, der Entwurf erhöhe die Kostenbelastung der Unternehmen und des Mittelstandes. Ein Spitzentreffen der Minister mit Kanzler Schröder brachte dann einen Kompromiss.
Am nächsten Tag hieß es, Riester hätte sich weitgehend durchgesetzt. Von 26 geforderten Änderungen habe Müller nur 11 durchsetzen können. Dabei ging es aber um Änderungen an dem Entwurf des Arbeitsministeriums, der schon weit hinter den Forderungen der Gewerkschaften und sogar des Koalitionsabkommens zurückfiel (siehe Kasten).
Die genannten Punkte zeigen schon, woran es bei dieser "Reform" wirklich hapert. Aufgrund der geänderten Situation in Betrieben und Unternehmen hatte der DGB für die Betriebsräte ein erweitertes Mitbestimmungsrecht gefordert, das insbesondere die Zustimmungspflichtigkeit zu Maßnahmen des Betriebes durch den BR verlangte. Hier war nicht nur an Qualifizierung, sondern vor allem an Betriebsänderungen, personelle Maßnahmen, Arbeitsinhalte, Einführung von Gruppenarbeit und ähnliches gedacht, mit der Maßgabe, dass eine Einigungsstelle entscheiden soll, wenn der Arbeitgeber sich mit dem BR nicht einigt.
Die nun geregelten Informations- und Beratungsrechte greifen in den wichtigen Fragen der Interessen der Beschäftigten viel zu kurz, der für die Belegschaften entscheidende Punkt bei der Reform ist überhaupt nicht mehr zu sehen.
Der DGB hatte in seinem Entwurf 1998 auch gefordert, den Betriebsbegriff umfassend neu zu regeln, auch hier ist Riester dahinter zurückgefallen und überlässt es den betrieblichen Interessenvertretern, das selber auszuhandeln.
In kleinen Firmen bis zu 50 Beschäftigte soll nun die Wahl von Betriebsräten vereinfacht auf zwei Belegschaftsversammlungen möglich sein. Dies ist ein Fortschritt gegenüber dem jetzigen Zustand. Ob es aber in Zukunft zur Bildung von Betriebsräten kommt, wird die Praxis zeigen: in diesen Betrieben gibt es bisher eher selten gewählte Betriebsräte.
Bei der Zahl der zu wählenden Betriebsräte ist die Betriebsgrößenstaffel verändert worden, so dass zum Teil zwei Betriebsräte mehr schon bei niedrigeren Belegschaftszahlen als jetzt gewählt werden können. Ebenfalls wurde die Betriebsmindestgröße für die Freistellung auf 200 (jetzt 300) gesenkt und die Zahl der freizustellenden Mitglieder des BR um durchschnittlich 1 erhöht.
Diese beiden Punkte stießen schon vorher auf scharfe Kritik der Unternehmerverbände. Sie behaupteten, hier würden die Kosten zu hoch. Aber insbesondere diese Regelungen sollten anscheinend den Gewerkschaften eine Zustimmung ermöglichen, hier sei Riester "hart" geblieben, hieß es. "Rentensenkungen gegen Posten" lautet der Kuhhandel, den der DGB eingegangen ist.
Dieser Verdacht hatte sich allerdings schon länger aufgenötigt, als die Gewerkschaftsvorstände kurz vor Weihnachten bei Schröder den Rentenkürzungskompromiss absegneten, und als die kommenden Betriebsverfassungsreform als Kompensation angepriesen wurde.

‘Standortvorteil‘

Der Kompromiss hätte in Fragen der Mitbestimmung weiter gehen können, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer. "Hier muss nachgebessert werden", fügte sie hinzu, allerdings sagte sie nicht, wie das geschehen solle, da die Gewerkschaften schon im Vorfeld einknickten und ihre Vorschläge zur Ausweitung der Mitbestimmung des BR zugunsten der Unterstützung Riesters hintanstellten.
Die von den Arbeitgebern vorgetragenen Bedenken bezeichnete sie dagegen als "Kosten- Arie", die "weit überzogen" sei. Durch den "sozialen Frieden" in den Betrieben entstünden auch Kostenentlastungen. Freigestellte Betriebsräte könnten dazu beitragen, dass Konflikte minimiert würden, dass die Produktion "vernünftig" laufe und dass Arbeitnehmer mehr Verantwortung übernähmen, fügte Engelen-Kefer hinzu.
Abgesehen davon, dass es offenbar inzwischen fast unmöglich geworden ist, dass der DGB- Vorsitzende Schulte selber bei so wichtigen Themen zu Stellungnahmen vor die Öffentlichkeit tritt, ist überhaupt nicht zu sehen, wie die leise Kritik des DGB hier noch zu Änderungen führen soll.
Der Betriebsratsvorsitzende bei Daimler-Chrysler, Erich Klemm, sagte im Radio, die Debatte der Arbeitgeberverbände um die Mehrkosten durch die Reform sei diffamierend gewesen. "Es wurde überhaupt nicht gewürdigt, welche wichtige Rolle für den sozialen Frieden die Betriebsräte spielen."
Da ist auch sehr die Frage, ob der Gruppenschutz bei der Besetzung von Ausschüssen und Freistellungen erhalten bleibt. Riesters Entwurf wollte diesen Schutz abschaffen, mit der Folge, dass z.B. Betriebsräte aus oppositionellen Listen von der Mehrheit immer aus Ausschüssen heraus gehalten werden könnten.
Die Rolle für den "sozialen Frieden" wird allerdings durch die jetzige Reform — trotz allen Geschreis der Unternehmerverbände — nicht eingeschränkt. Die "Friedenspflicht" gilt natürlich weiterhin. Auch hier hatte es im DGB-Entwurf noch anders gelautet. Insbesondere weil immer mehr betriebliche und tarifliche Regelungstatbestände beim Betriebsrat landen, müsste er konsequenterweise ein Arbeitskampfrecht zur Durchsetzung solcher Interessenkonflikte bekommen. Aber das hat beim DGB selber wohl keiner richtig ernst genommen...

Proteste der Basis

Es gibt seit langem eine Debatte in der Gewerkschaftslinken um die Reform des BetrVG. Hier sind genügend Vorschläge gesammelt, es gibt genaue Gegenüberstellungen der Paragrafen, und es gibt seit längerem viel Kritik an Riesters Entwürfen. Das alles hatte kaum Einfluss auf die innergewerkschaftliche Debatte, und schon gar nicht auf den Entwurf. Der Druck in den Betrieben und an der Gewerkschaftsbasis wurde aber auch nicht für die gewerkschaftseigenen Vorstellungen organisiert. Auch wenn sich jetzt Stimmen der Kritik mehren, wie etwa aus der IG Metall Gelsenkirchen, so ist doch auf dieser Basis kaum damit zu rechnen, dass der grundlegende Mangel des Entwurfs noch bei den parlamentarischen Beratungen behoben wird.
Der DGB lässt seine Betriebsräte nachher mit den Problemen wieder allein — wenn sie auch einige Sitze mehr erhalten haben sollten.
Wichtig wird schon jetzt eine konsequente Ausnutzung der Möglichkeiten in den kleineren Betrieben sein — und damit die Vorbereitung auf die BR-Wahlen 2002.

Willi Scherer/Rolf Euler

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