Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 01.03.2001, Seite 8

Guben — eine ostdeutsche Kleinstadt

Über den Umgang mit Rechtsextremismus

Nach polizeilichen Statistiken wurde 1998 im östlichen Bundesland Brandenburg durchschnittlich alle vier Tage ein "Ausländer" gewalttätig angegriffen. Am 13.Februar 1999 verblutete der algerische Flüchtling Farid Guendoul in der kleinen ostdeutschen Stadt Guben an einer Verletzung, die er sich bei dem Versuch zuzog, vor einem Hetzparolen grölenden Mob deutscher Jugendlicher zu flüchten. Eine Studie beleuchtet nun, wie die politischen Kräfte vor Ort nach dem Tod Farid Guendouls mit dem Problem Rechtsextremismus umgegangen sind.

Schon 1987 und 1989 gab es in Guben Angriffe auf Chemiearbeiter aus Mosambik, Kuba und Vietnam. 1989 bis Ende 1992 formierte sich ein loser Zusammenhang von ca. 200 Skinheads als "Gubener Heimatfront". Es gab Auseinandersetzungen mit antifaschistischen Jugendlichen und weitere Angriffen auf Ausländer. Im August 1993 gründete sich der Kreisverband der "Nationalen e.V.", später "Junges Nationales Spektrum" (JNS).
1994 rief die Stadt zur Schlichtung der angespannten Lage einen "Runden Tisch der Jugend" ins Leben. Eingerichtet in einer Zeit gewalttätig ausgetragener Konflikte zwischen "Linken" und "Rechten", dachte sich die Stadt den "Runden Tisch" ursprünglich als ein Forum, in dem die Konflikte diskursiv gelöst werden sollten. Deshalb wurden auch bewusst rechtsextremistische Gruppen, wie die "Nationalen e.V." bzw. ihre Jugendorganisation zu den Sitzungen eingeladen; sie setzten sich dort erfolgreich für einen "nationalen Jugendclub" ein. Unter ihnen befand sich auch Alexander Bode, einer der später an der Hetzjagd Beteiligten.
Rechtsextremistische Organisationsansätze erfuhren durch die Akzeptanz als gleichberechtigter Gesprächspartner starke gesellschaftliche Aufwertung. Noch immer nehmen Führungspersönlichkeiten der Gubener rechtsextremen Szene daran teil.
In der Stadt Guben leben von insgesamt 26500 Menschen ca. 600 ohne deutschen Pass. Das sind 2,3% der Bevölkerung. Die größte Gruppe von ihnen, die Polen, verfügen über einen sehr engagierten eigenen Verband, Nadodrze. Seine Aktivitäten sind vielfältig, und die deutsch-polnische Zusammenarbeit wird von der Stadt sehr unterstützt.
Eine weitere große Gemeinde stellen mit ca. 100 Personen die Vietnamesen. Ursprünglich im Chemiewerk beschäftigt, betreiben viele nun Einzelhandelsgeschäfte und Restaurants. Darüber hinaus wohnen in Guben noch einige Kubaner und Mosambikaner, auch sie ehemalige Chemiearbeiter. Viele von ihnen sind jetzt mit Gubenerinnen verheiratet. Hinzu kommen rund 160 Asylbewerber.
Im Verhältnis zu anderen mittelgroßen, ostdeutschen Städten zeigt Guben kaum Auffälligkeiten. Einschneidende wirtschaftliche Umstrukturierungen, starke Abwanderungsbewegungen und hohe Arbeitslosenzahlen, aber auch eine hohe Anzahl von rechtsextremistischen und rassistischen Gewalttaten im Verhältnis zur Einwohnerzahl sind hier genauso anzutreffen wie der geringe Anteil nichtdeutscher Einwohner an der Gesamtbevölkerung. Besonders an Guben ist allerdings seine Grenzlage und die damit verbundenen Kontakte nach Polen (EU- Außengrenze).
Wie in keiner anderen Stadt in Brandenburg wurde hier Anfang der 90er Jahre versucht, ein Anwachsen rechtsextremer Einstellungen unter Jugendlichen mit Sozialarbeit und "Runden Tischen" zu bekämpfen. Ausgangspunkt war die (Fehl- )Enschätzung, Rechtsextremismus und Rassismus wären ein Jugendproblem, das sich mit einer hohen Anzahl von Sozialarbeitern in der "offenen Jugendarbeit", der Einrichtung von Jugendclubs und einem "Runden Tisch der Jugend" unter Beteiligung rechtsextremistischer Parteien bekämpfen ließe. Mit 36 Mitarbeitern in sechs Jugendeinrichtungen (drei städtische und drei freie Träger) nimmt Guben daher auch einen Spitzenplatz in Brandenburg ein.
Trotz dieser Bemühungen hat Guben jedoch nach wie vor eine im Verhältnis zu anderen ostdeutschen Städten gleicher Größe, relativ große, organisierte und militante rechtsextreme Szene. Nach der Todesnacht war der kritische Druck auf die Jugendarbeit denn auch entsprechend hoch, zumal als bekannt wurde, dass ein Teil der vermutlichen Täter zum Stammpublikum eines städtischen Jugendclubs gehört. Die Sozialarbeiter wiesen Schuldzuweisungen zurück: "Jugendsozialarbeit kann gar nicht versagen, sie setzt selbst erst ein, wenn die Eltern und die Gesellschaft versagt haben."

Reaktionen

Die Nachricht vom Tod Farid Guendoul überraschte die Landesregierung auf einer Konferenz, auf der sie gerade die ersten Erfolge ihres Programms gegen Rechtsextremismus "Tolerantes Brandenburg" feiern wollte. In einer ersten Reaktion bezeichnete der Innenminister die Tat als "herben Rückschlag für das Tolerante Brandenburg" und als "schwerwiegenden Einzelfall, der allen Bemühungen um positive Entwicklung schade", während Ministerpräsident Stolpe sofort vor einer Vorverurteilung der Täter warnte.
Die Reaktionen der Parteien wurden vom Landtagswahlkampf überschattet. Die PDS machte im wesentlichen die CDU-Unterschriftenkampagne gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft für den Tod Farid Guendouls verantwortlich, sie trage zu einer Enttabuisierung von Gewalt gegen Ausländer bei. Die Grünen bezichtigten die SPD der "Augenwischerei", die CDU leiste der latenten Fremdenfeindlichkeit Vorschub. Die CDU selbst schob die Schuld auf die zu schwachen Polizeikräfte im Land, das Vertrauen der Brandenburger in den Rechtsstaat sei aufgrund jahrelanger SPD-Regierung ungenügend entwickelt. Zynisch verglich sie die Hetzjagd auf Flüchtlinge mit Angriffen auf CDU- Stände zur Unterschriftenkampagne.
Vor Ort riefen der Bürgermeister Gubens und der Landrat für den nächsten Tag zu einer Mahnwache auf und sprachen sich in einer Presseerklärung gegen "Ausländerfeindlichkeit und politischen Extremismus" aus. Gleichzeitig rief die "Antifa Guben" gemeinsam mit anderen antifaschistischen Gruppen zu einer Demonstration zum Tatort auf. An beiden Veranstaltungen nahmen zusammen ca. 500 Menschen teil. Auf der Mahnwache zeigten sich hochrangige Regierungsvertreter der Landesregierung betroffen und entsetzt.
Auch in den darauffolgenden Tagen und Wochen gab es verschiedene Trauer- und Gedenkfeiern sowie Benefizkonzerte für die Familie und das ungeborene Kind Farid Guendouls. Auf Initiative des Bürgermeisters begann eine Unterschriftenaktion für ein "offenes, tolerantes Guben". An einer zentralen Trauerfeier in der Landeshauptstadt nahmen etwa 1000 Menschen teil, unter ihnen fast das gesamte Brandenburger Kabinett, die Brandenburger Ausländerbeauftragte und die Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin.
Nach einer ersten Phase der Betroffenheit wollten viele Gubener jedoch bald wieder zur Tagesordnung übergehen. So berichtete der engagierte Bürgermeister Gubens, er habe schon zwei Wochen nach der Tat Schmähbriefe ohne Absender erhalten, und die Leute würden ihn fragen, ob denn eine Mahnwache nicht genügt hätte und der Bürgermeister sich nicht wieder um seine Arbeit kümmern wolle. Die Ereignisse würden von den Medien aufgebauscht. "Über einen toten Deutschen wird auch nicht gesprochen!"
Die Rechten machten unterdessen unverdrossen weiter. Zwei Tage nach der Tat wurden am Tatort Hakenkreuze und rechte Parolen gesprüht. Die Täter wurden schnell gefasst, die Polizei bezeichnete sie als "Trittbrettfahrer". Am 2.3.99 zogen mehrere 15- bis 16-Jährige am Tatort vorbei und riefen: "Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!"
Sylvester 1999/2000 marschierten rund 30 junge Männer, unter ihnen drei der Angeklagten, mit Reichskriegsflagge und unter "Sieg-Heil"-Rufen durch Guben. Schändungen des Gedenksteines halten die Öffentlichkeit bis heute in Atem.

‘Tolerantes Brandenburg‘

Brandenburg ist das erste Bundesland, das mit einem Regierungsprogramm politische Verantwortung für die Lösung des Problems Rechtsextremismus übernommen hat. Die SPD-Regierung zog damit die Konsequenzen aus Umfragen und Statistiken, die zeigen, dass rassistische Einstellungsmuster keineswegs — wie zuvor angenommen — ein Jugendproblem sind, dem mit jugendpolitischen Maßnahmen und Instrumenten der Strafverfolgung begegnet werden kann.
Ziel des im Sommer 1998 verabschiedeten Handlungskonzepts "Tolerantes Brandenburg" ist der Aufbau, die Begleitung und die Koordination zivilgesellschaftlicher Strukturen und Aktivitäten. Konkret werden verschiedene, auch nichtstaatliche, Projekte und Aktivitäten mit Schwerpunkt im Jugendbildungsbereich und im Bereich "multikulturelle Begegnung" gefördert. Darüber hinaus wurde eine Spezialeinheit der Polizei gebildet, die im Vorfeld rechtsextreme Treffpunkte kontrollieren und so potenzielle Täter abschrecken soll, sowie ein 12-köpfiges Mobiles Beratungsteam (MBT), das Kommunen und Institutionen im Umgang mit Rechtsextremismus zur Seite stehen soll.
Problematisch ist aus Sicht antirassistischer Nichtregierungsorganisationen, dass das Konzept "Tolerantes Brandenburg" Rassismus und Rechtsextremismus ausschließlich in der Zivilgesellschaft, dort vor allem im kulturellen und Bildungsbereich, verortet. Rassistische oder "fremdenfeindliche" Handlungsmuster liegen demnach wesentlich im Mangel an Begegnungsmöglichkeiten mit Ausländern begründet. Ein Zusammenhang zwischen staatlicher Ausgrenzung durch restriktive Sondergesetze für Ausländer, insbesondere Flüchtlinge, gesellschaftlicher Ausgrenzung und rassistischer Gewalt wird von staatlichen, häufig auch von nichtstaatlichen Stellen geleugnet.

‘Weltoffenes Guben‘

Diese Beschränkungen gelten auch für das Programm "Weltoffenes Guben", mit dem die Stadt Guben auf den Tod Farid Guendouls reagierte. Erklärtes Ziel ist die "Entwicklung einer dauerhaften Strategie zur Verbesserung der städtischen Angebote, damit extremistische, insbesondere rechtsextreme und rechtsradikale Kräfte ihren Einfluss in der Stadt Guben dauerhaft verlieren". Die ursprünglich geplante explizite Ausrichtung gegen Rechtsextremismus (nicht gegen Extremismus) war am Widerstand konservativer Kräfte in der Stadtverordnetenversammlung gescheitert.
Bisher blieb das Programm weitgehend erfolglos. Das "Sofortprogramm", ein geplanter öffentlicher Ideenwettbewerb und eine Befragung staatlicher Einrichtungen und Vereine zu ihren Möglichkeiten, "Begegnungen mit Fremden" zu schaffen, das im November 1999 verabschiedet werden sollte, wird fast zwei Jahre nach dem Tod Farid Guendouls noch immer in Ausschüssen beraten.
In die "Situationsanalyse" wurden weder Flüchtlinge noch potenziell gefährdete Jugendgruppen, wie der deutsch-polnische Jugendverein "Guben-Gubin" oder die "Antifa Guben", aktiv miteinbezogen. Das Handlungskonzept war für August 2000 angekündigt. Angesichts der Stimmung in Guben und der lokalen Stärke konservativer und rechtsextremer Kräfte kam auch dieses bisher nicht zustande.
Lokale antirassistische Gruppen und Organisationen wie die "Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt" in Cottbus, die Antifa Guben und die "Forschungsgesellschaft Flucht und Migration" aus Berlin beschränken ihre Intervention in Guben derzeit auf zwei Bereiche:
Sie bemühen sich, entgegen der kollektiven Tendenz nach dem Tod Farid Guendouls, zur Tagesordnung überzugehen, die Themen "Rechtsextremismus und Rassismus" vor Ort wach zuhalten, um den Handlungsdruck der Stadt aufrecht zu halten. Neben der Errichtung eines Gedenksteins trugen dazu auch eine Veranstaltungsreihe und eine Gedenkfeier zum Jahrestag sowie verschiedene Presseerklärungen bei. Ein Buch zu den Ereignissen ist zum zweiten Jahrestag geplant. Unterstützt werden sie darin unbeabsichtigt von rechtsextremen Jugendlichen, die den Gedenkstein immer wieder schänden, aber auch von den Rechtsanwälten, die das Verfahren nun schon fast ein Jahr verschleppen. Beide Tatsachen tragen erheblich zu einer kontinuierlichen Berichterstattung über Guben bei.
Darüber hinaus unterstützen sie gezielt Jugendliche nicht rechter Subkulturen und Flüchtlinge in ihrem Selbstorganisierungsprozess und versuchen, deren Sichtweise als potenziell Gefährdete in die öffentliche Diskussionen einzubringen. Ziel sind dabei sowohl die Stärkung der Handlungskompetenz bedrohter Gruppen und Ansätze demokratischer Jugendkultur, die Jugendlichen angesichts eines rechtsextremen Mainstreams Orientierungsalternativen bieten, als auch der gegenseitige Schutz als potenzielle Opfer rechtsextremer Gewalt und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Situation der Betroffenen.

Gabi Jaschke

Gabi Jaschke ist Mitarbeiterin der Opferperspektive e.V. in Brandenburg. Die Studie wurde im Rahmen des EU-Projekts Easy Scapegoats: Sans Papiers in Europe als Kooperationspartner der Freudenberg-Stiftung erstellt. Der Text wurde von der Redaktion sehr stark gekürzt und ist vollständig im telegraph Nr.102/103 erschienen ( www.schliemann.com/telegraph).



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