Sozialistische Zeitung |
Die neuen sozialen Bewegungen und der parteipolitische Aufstieg der Grünen markieren einen der großen und
nachhaltigen Brüche innerhalb der Entwicklung der westdeutschen Linken. Als Reaktion auf die Dogmatisierung der Neuen Linken der 70er Jahre und das
Aufbrechen neuer Widersprüche im Spätkapitalismus entstanden, wollten sie weder links noch rechts, sondern vorn sein. Das machte sie lange Jahre nicht
nur unberechenbar für die veröffentlichte Meinung, sondern auch für viele der alten Linken der 60er und 70er Jahre.
Als kunterbuntes Bündnis von konservativen Bauern, unauffälligen BürgerInnen,
engagierten Christen und abgefallenen SozialdemokratInnen mit Feministinnen, linken Freaks, Kadern und Spontis erstritten sie einen Paradigmenwechsel für
mehr Ökologie und weniger Repression, für mehr Toleranz, Geschlechtergleichheit und weniger Gewalt, für mehr Internationalismus und
Solidarität, für mehr basisdemokratisches Engagement und weniger Funktionärstum.
Außer DKP und einigen sich verbarrikaridierenden Kleinstgruppen und Individuen saugten die
Grünen die linke Post-68er Szene umfassend auf und wurden trotz ihrer Heterogenität eine überwiegend linke, gesellschaftsoppositionelle Kraft.
Waren es anfänglich Rudi Dutschke und Rudolf Bahro, die in den ersten Jahren für die linke Identität sorgten der eine starb, bevor es
richtig losging, der andere entwickelte sich zunehmend ins Esoterische , so verbanden sich die linken Hoffnungen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre
mit den Namen von Thomas Ebermann, Rainer Trampert und Jutta Ditfurth.
Doch Anfang der 90er Jahre kam es mit der nachhaltigen Veränderung der Republik
(Anschluss der DDR und neoliberaler Durchmarsch) zum Exodus auch der linken Grünen. In Schüben verließ ein Großteil von ihnen die mit
viel Energie und Identität aufgebaute Partei.
Doch eine umfassende und selbstkritische Bilanz dieses linken Projekts haben sie alle bisher nicht
geleistet. Ebermann und Trampert kündigten zwar eine solche 1990 an, doch daraus wurde bekanntlich nichts. Stattdessen veröffentlichten sie fünf
Jahre später ein Buch, das mehr ihren eigenen politischen Bankrott als den der Grün-Alternativen dokumentiert.
Nun, weitere fünf Jahre später und unter dem Eindruck der rosa-grünen
Regierungsübernahme, hat auch die dritte im Bunde, Jutta Ditfurth ein Buch zur Bilanz der Grünen vorgelegt.*
Sie unterscheidet sich dabei wohltuend von Ebermann/Trampert, weil sie sich weder von der Politik
als solcher, noch vom alten ökologischen Antikapitalismus verabschiedet hat. Als streitbare Publizistin und Frontfrau der Ökologischen Linken erinnert sie
uns mit viel Feuer im Herzen an die Gründungsgeschichte der historischen Ausnahmepartei, die es immerhin schaffte, bürgerliche Schichten mit radikalen
Linken organisatorisch und politisch für einige Zeit zusammenzuschweißen und u.a. eine Bevölkerungsmehrheit für den Ausstieg aus der
Atomenergie zu gewinnen.
Und Ditfurth wird nicht müde, zu betonen, dass dieser politische Erfolg auf ebenso
fantasievolle wie militante Weise, vollständig außerparlamentarisch und gegengesellschaftlich, d.h. gegen sämtliche politische
Repräsentationsorgane und gegen die gesamte bürgerliche Öffentlichkeit errungen wurde.
Entsprechend ist ihre Abrechnung mit den heutigen Grünen gnadenlos. Sie macht deutlich,
warum die heutigen Bündnisgrünen personell und politisch nichts mehr gemein haben mit den Grün-Alternativen von vor 20 Jahren. Die Mehrheit
der grünen Gründungsmitglieder habe die Partei verlassen. Etwa ein Viertel der Mitgliedschaft, rund 10000 zumeist linke Aktivistinnen und Aktivisten
hätten sie Anfang der 90er Jahre verlassen, im letzten Jahrfünft nochmals die Hälfte. Zwei Drittel seien nach der Wende eingetreten.
Entsprechend kämpfen die Bündnisgrünen in der Bundesregierung nicht mehr
gegen die Massenarbeitslosigkeit, tragen den Atomkonsens mit und üben keine Atomkraftkritik mehr. Sie unterstützen die Gentechnik und die
Geheimdienste, verlangen keine Demokratisierung der Polizei, keine Abschaffung der Antiterrorgesetze mehr.
Die ehemals basis- und radikaldemokratischen Organisationsstrukturen sind geschleift und von
nachhaltigen ökologischen und sozialen Reformforderungen ist nichts mehr zu sehen. Die Bündnisgrünen sind, so Ditfurth, nur mehr
"Modernisierungsassistenten für das Kapital", "ein autoritärer, korrupter Haufen", der mit Fischer, dem "Flakhelfer"
einer inhumanen Weltordnung an der Spitze, die Militarisierung der Menschenrechte betreibe.
Wer jedoch jenseits solcher doch überwiegend bekannten Invektiven nach einer wirklichen
und linken Bilanz des grün-alternativen Projektes sucht, wird enttäuscht. Eine materialistische Analyse der grünen Partei und ihrer Dynamik im
ersten Jahrzehnt ihrer Existenz findet schlicht nicht statt. Die ersten zwei bis drei Jahre übergeht Ditfurth vollends genauso übrigens wie die 90er
Jahre und den Rest der 80er Jahre stellt sie als einen ausschließlichen Kampf der "Fischer-Gang" um die Macht in der Partei dar.
Sie malt das Bild einer umfassenden und erfolgreichen Verschwörung einer Handvoll von
Politprofis, und weiß dabei, mit vielen Internas und sachkundigen Details aufzuwarten. Doch warum eine solch mächtige Bewegung das Opfer einer
Handvoll Leute wird, warum sich ein kämpferischer ökologischer Antikapitalismus so übertölpeln ließ, diese Frage stellt sie sich nicht
ernsthaft.
Irgendwann, so Ditfurth, drehte einfach der Wind des Zeitgeists in Richtung eines hemmungslosen
Individualismus, verschob sich das gesellschaftliche Kräfteverhältnis, ließen die sozialen Bewegungen nach: "Wichtig wurde das
Äußere, der Stil und das Design, der grenzenlose Konsum, kurz eine knallharte Ellbogen- und Angstgesellschaft. Sie verdrängte Solidarität
und kollektives Handeln."
Doch: Warum und auf welchen Wegen ist es so gekommen? Wie sah das politische Leben der
Parteimehrheit aus? Wie agierten die Linken in den Grünen? Was genau lief in der BRD der 80er Jahre gesellschaftspolitisch schief und welche Fehler machten
dabei die Linken? Welche Lehren hat daraus eine erneuerte ökosozialistische Linke zu ziehen? Auf alle diese, für eine historische Einordnung der
Grünen zentralen Fragen gibt Ditfurth keine Antworten. Sie gefällt sich stattdessen in einer personalisierenden Geschichtsschreibung, die mehr
verklärt als erhellt. Zum über das Buch hinausgehenden Problem werden diese Leerstellen, weil sie auch die Glaubwürdigkeit des politischen
Projekts beeinträchtigen, für das Ditfurth seit ihrem Austritt aus den Grünen wirbt.
Christoph Jünke
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04