Sozialistische Zeitung |
Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen waren die Kommunalwahlen, die in Frankreich am 11. und 18.März stattgefunden
haben, ein wichtiger Lackmustest für die Stimmung im Land. Er hat einige Überraschungen zutage gebracht.
1. Die konservative Rechte hat die beiden wichtigsten Zentren des Landes, den Bürgermeister von Paris und Lyon, an die
sozialdemokratische PS (Sozialistische Partei) abgegeben. In Paris ist dies der erste "sozialistische" Bürgermeister seit der Niederschlagung der Pariser
Kommune 1871... Abgesehen davon aber konnte sie netto 19 Städte mit über 30000 Einwohnern zurückgewinnen die PS und mehr noch die
Französische Kommunistische Partei (PCF) gehen unter dem Strich als Verliererinnen aus dieser Wahl hervor.
Das schlechte Abschneiden der beiden stärksten Regierungsparteien hat sich vor allem in einer hohen
Wahlenthaltung niedergeschlagen, die auch im zweiten Wahlgang nicht überwunden werden konnte: sie hat von 30,6 Prozent in 1995 auf jetzt 38,7 Prozent
zugenommen. Am stärksten war sie in Arbeitervierteln und den Trabantenstädten mit hohem Anteil an sozial Deklassierten und Ausländern.
2. Die extreme Rechte gespalten in FN und MNR hat erheblich Federn gelassen. 1995 war sie noch in 103 Gemeinden mit
Abgeordneten präsent; jetzt sind es noch 35. In einigen Gegenden, vor allem in der Region um Marseille, bewahrt sie jedoch eine starke wahlpolitische Verankerung
(hier hat sie in Arbeitervierteln 20 und 22 Prozent der Stimmen eingefahren).
3. Die PCF war die größte Verliererin der Wahl. Sie hat in all ihren Hochburgen verloren: den "roten"
Industriegürteln, den Arbeitervororten, den kleinen Städten und Gemeinden, auf dem Land. Projiziert auf ihre Fraktion in der Nationalversammlung haben die
Zeitungen 1020 Abgeordnete weniger errechnet selbst Parteichef Robert Hue hätte seinen Wahlkreis Argenteuil verloren. Anders ausgedrückt:
die parlamentarische Existenz der PCF ist gefährdet, sie riskiert, zu einem Satelliten der PS zu werden. Die Analyse der Wochenzeitung Rouge ist: "Es
drückt sich auf Wahlebene jetzt aus, was schon länger die Krise der PCF ausmacht: ihre Unfähigkeit, die soziale und politische Revolte gegen die liberale
Politik der Regierung aufzufangen; und ihre Unfähigkeit, dem Wunsch nach demokratischer Kontrolle der Institutionen und der politischen Machtausübung
entgegenzukommen."
In der Partei bilden sich unterdessen immer mehr Strömungen und Gruppen heraus, die
eigenständig handeln (einige haben sogar einen erfolgreichen, aber von der Partei unabhängigen Wahlkampf geführt, in dem sie nicht einmal das Logo der
Partei vorgezeigt haben; in anderen Fällen haben Ortsgruppen der PCF offen die Listen unterstützt, auf denen auch die LCR kandidierte, so in Antibes,
Orléans, Kremlin-Bicêtre, ein Vorort von Paris, und Angers). Aber keine Kraft ist bisher imstande, diese Strömungen zu bündeln um eine gemeinsam
geführte Debatte über das innere Funktionieren und die politische Linie der Partei. Im Herbst ist ein außerordentlicher Parteikongress vorgesehen...
4. Die dritte Partei im Regierungsbündnis, die Grünen, haben demgegenüber erheblich zugelegt. Die Stimme für
die Grünen wurde interpretiert als die kritische Stimme derer, die die Regierung unterstützen wollen, ihr aber ein deutliches Zeichen geben, dass sie ihre Politik
zu ändern hat, wenn dies so bleiben soll.
5. Die größte Überraschung war der erhebliche Wahlerfolg der extremen Linken, obwohl LCR (Ligue Communiste
Révolutionnaire, französische Sektion der IV.Internationale) und Lutte Ouvrière (LO Arbeiterkampf) wieder mit getrennten Listen angetreten
sind die LCR vielfach im Bündnis mit anderen politischen und sozialen Organisationen. LO, die bei Wahlen traditionell besser abschneidet, hat
Wahlergebnisse bis zu 19,4 Prozent eingefahren; sie hat 129 Listen in 109 Städten und Gemeinden aufgestellt und in der Mehrheit der Fälle über 5
Prozent erhalten. Die höchsten Stimmenzahlen erzielte sie nach ihren eigenen Angaben in Arbeitervierteln und Trabantenstädten mit hohem
Erwerbslosenanteil.
Die LCR hat 93 Listen aufgestellt bzw. unterstützt, davon waren über 30 Bündnislisten.
39 von ihnen haben über 5 Prozent, 28 Listen haben mehr als 7,5 Prozent und 12 Listen mehr als 10 Prozent der Stimmen erhalten. Herausragende Ergebnisse wurden
in Clermont-Ferrand (8,6 Prozent), einem Bezirk von Marseille (6,5 Prozent), in einigen Bezirken im Großraum Bordeaux (811 Prozent), Rouen (11,8
Prozent) erzielt, um nur die bekannteren Städte aufzulisten. Für die LCR bedeutet das einen wahlpolitischen Durchbruch.
Seit dem Wahlerfolg von Arlette Laguiller (LO) mit 5,3 Prozent der Stimmen bei den
Präsidentschaftswahlen von 1995 hat die extreme Linke in Frankreich ihre Wahlerfolge ausbauen können. Sie konnte damit einen Teil der Unzufriedenheit mit
der Regierungspolitik und der Krise der PCF auffangen. Die Wochenzeitung Rouge kommentiert dies als Chance, auf der Linken eine neue politische Kraft aufzubauen, eine
neue Partei für die Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Jugendlichen und Migrantinnen und Migranten.
Angela Klein
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