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ThyssenKrupp Steel (TKS), der größte deutsche Stahlerzeuger, steht wieder im Zentrum von Protesten. Bei der bereits im Bau
befindlichen Großkokerei soll das emissionsarme Trockenkühlverfahren durch eine angeblich verbesserte und billigere Nasslöschung ersetzt werden.
Doch eine Duisburger Bürgerinitiative wehrt sich gegen eine Lösung, die auf Kosten von
Umwelt und Bevölkerung gehen könnte. Rund 2500 Einwendungen waren bis zum 23.Februar bei der Genehmigungsbehörde eingegangen. Der
Erörterungstermin am 6. und 7.März wurde für ThyssenKrupp zum umweltpolitischen Fiasko, aber das Ende ist dennoch offen.
Seit den 80er Jahren muss sich Thyssen Stahl seit der Großfusion von 1997 ThyssenKrupp
Steel in der Stahlhauptstadt Duisburg mit einer aufmüpfigen Bevölkerung auseinandersetzen, die nicht mehr bereit ist, Staub und Umweltgifte
widerspruchslos hinzunehmen. So wurde 1987 die Bürgerinitiative gegen Umweltgifte Duisburg Nord e.V. gegründet.
Besonders belastet sind Stadtteile mit der höchsten Arbeitslosigkeit und den größten
strukturellen Nachteilen. Zwar haben Fortschritte in Umwelttechnik und -gesetzgebung schon zu deutlichen Emissionsminderungen geführt, aber ein
erträgliches Maß ist längst nicht erreicht. Vom Optimum ganz zu schweigen.
ThyssenKrupp beteuert zwar immer wieder, dass man hohe Umweltinvestitionen vornehme. Bei
näherem Hinsehen handelt es sich aber überwiegend um Maßnahmen, die wiederum Profite erbringen, wie die Entstaubung von verwertbaren Hochofen-
und Stahlwerksgasen. Hinzu kommt, dass alte Großanlagen in relativ enger Nähe zur traditionellen Wohnbebauung stehen und neue sogar hinzugekommen sind,
wie der 1993 in Betrieb gegangene Großhochofen 2.
Giftige Altkokerei
Ein ganz besonderes Ärgernis ist die alte Kokerei, die die Stadtteile Bruckhausen und Beeck schwer belastet. Längst sollte sie durch eine neue ersetzt
sein. Massive Proteste führten dazu, dass ThyssenKrupp sich schließlich einen "Vorbescheid" für den Neubau am werkseigenen
Schwelgernhafen holte.
In dem Erörterungsverfahren von 1995 warnte die Bürgerinitiative davor, dass der
Vorbescheid sich bald als weiteres Verzögerungsmanöver erweisen könne, denn wer bauen wolle, hole sich eine Genehmigung und keinen Vorbescheid.
Und sie sollte recht behalten. Äußerungen der Konzernspitze rückten den Neubau in weite Ferne.
Mit dem neuen NRW-Umweltministerium fand die Bürgerinitiative allerdings ab 1996 erstmals
Verbündete, und Thyssens Verzögerungsstrategie traf auch hier auf Widerstand. Die Bürgerinitiative forderte: "Da messen, wo es was zu messen
gibt!" Als ein Messcontainer des Landesumweltamts gegenüber der Kokerei erschreckende Werte der Krebsgifte Benzo(a)pyren, Benzol und sogar Nickel
lieferte, ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung.
Doch ThyssenKrupp machte auf ahnungslos. Das Unternehmen hatte stets auf die wesentlich geringeren
Werte an der MILIS-Messstation im 8 Kilometer entfernten Stadtteil Walsum verwiesen, die noch unter Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) aufgestellt worden war.
Unter dem enormen Druck musste der Konzern nun schrittweise die drei ältesten der sechs Koksbatterien stilllegen.
Neue Tricks und Deals
Als dann die Totalstilllegung drohte, beantragte ThyssenKrupp endlich die Genehmigung für den Neubau, die 1998 erteilt wurde. Selbstverständlich
mit Kokstrockenkühlung (KTK), einem emissionsarmen Verfahren mit entscheidenden Vorteilen gegenüber der veralteten Nasslöschung. Die
Kokstrockenkühlung gilt seit den 80er Jahren als Stand der Technik.
Doch die Umweltpolitik von ThyssenKrupp hat ein Markenzeichen: Verzögern, Unwahrheiten
verbreiten, Tricksen Profite gehen schließlich vor. So auch bei dieser Großinvestition von rund 1,5 Milliarden Mark. Nach intensiver und teilweise
erfolgreicher Lobbyarbeit bei staatlichen Stellen setzte Thyssen im April 2000 dazu an, die entscheidende Umweltauflage aus dem Genehmigungsbescheid zu kippen.
Man habe inzwischen ein gleich gutes, wenn nicht besseres Verfahren entwickelt, das zudem noch viel
billiger sei: Eine neue Art der Nasslöschung mit dem klangvollen Namen CSQ. Diese werde sogar von der technischen Kommission der EU (BVT-Kommission)
empfohlen. Die Investition sei um 200 Millionen Mark günstiger und auf 20 Jahre gerechnet sogar 800 Millionen Mark.
Doch die Fachbehörden wollten der neuen Versöhnung von Ökologie und
Ökonomie ebensowenig glauben schenken wie die betroffene Bevölkerung. Die Düsseldorfer Bezirksregierung bezweifelte die
Genehmigungsfähigkeit und legte dem Umweltministerium die Frage zur Entscheidung vor, ob das Verfahren mit Rücksicht auf das Europarecht
überhaupt weiterbetrieben werden solle.
Von dort kam die Weisung: Weitermachen! Der Druck von ThyssenKrupp hatte hier wohl einigen kalte
Füße bereitet. Die Duisburger Stadtspitze und die Ratsmehrheit zeigten sich unschlüssig und verlangten Gutachten. Ende November lag schließlich
das Fachgutachten des Landesumweltamts vor: eine Katastrophe für ThyssenKrupp!
Doch ThyssenKrupp ließ nicht locker. Wie den Verfahrensakten zu entnehmen ist, wurde
Konzernchef Schulz bei Ministerin Bärbel Höhn und offenbar auch in der Staatskanzlei vorstellig, drohte mit Schadensersatzklagen. Neben der Peitsche das
Zuckerbrot: sollte ThyssenKrupp die Genehmigung für die Nasslöschung bekommen, sei man bereit, für 120 Mio. Mark weitere Staubminderung zu
betreiben.
Der Zweck dieses Deals war allzu durchsichtig: Man wollte eine Genehmigung unterhalb des nach
Bundesimmissionsschutzgesetz vorgeschriebenen Stands der Technik, Kosten vermeiden, Profite sichern und großzügig etwas davon abgeben. Als der von
ThyssenKrupp vorgeschlagene Maßnahmenkatalog bekannt wurde, konnte es daran überhaupt keinen Zweifel mehr geben. Die meisten Punkte hätten
längst realisiert werden müssen oder waren bereits eingeleitet, um die Staubwerte, die in der Spitze das Vierfache des gesetzlich Zulässigen
überschreiten, ein Stück weiter herunterzubringen.
Weite Teile der Öffentlichkeit durchschauten das Manöver. Die nördlichen
Bezirksvertretungen Walsum und Hamborn wandten sich trotz massiver Einflussnahme von ThyssenKrupp einstimmig gegen die Änderung. Nach wochenlangen
Auseinandersetzungen die Bürgerinitiative verteilte u.a. 10000 Zeitungen, ein Flugblatt auf der Aktionärsversammlung, ThyssenKrupp ein
Hochglanzfaltblatt an alle Haushalte lagen schließlich 2500 Einwendungen von AnwohnerInnen vor, um auf das für den 6.März angesetzte
Erörterungsverfahren Einfluss zu nehmen. Viele Einwendungen waren von Beschäftigten von ThyssenKrupp.
Fundierte Einwendungen
Der zweitägige Erörterungstermin in der Rhein-Ruhr-Halle ging klar an die UmweltschützerInnen. In der Diskussion um die Staubfrage
blamierte sich ThyssenKrupp mit seinen 35 Vertretern, als klar wurde, dass eine vollkommen ungeeignete und vom Verband der Deutschen Industrie (VDI) seit zehn Jahren
zurückgezogene Messmethode angewendet worden war, um die verbesserte Nasslöschung schönzurechnen.
Auch Dr.Davids vom Landesumweltamt, bundesweit maßgebender Experte in Sachen
Emissionsschutz, brachte ThyssenKrupp in Erklärungsnotstand. Davids legte Messzahlen von drei Instituten vor, die an bestehenden Nasslöschungen
vorgenommen worden waren. Danach ergeben sich im Löschturm Bandbreiten beim Staub zwischen 10 und 40 Gramm je Tonne Koks.
Das wäre ein Faktor, der um das Zwei- bis Fünffache höher läge als bei der
Kokstrockenkühlung. Außerdem habe man nur in Anlehnung an eine DIN-Vorschrift gemessen, die nicht für Kühltürme entwickelt worden
ist. Derzeit würden weitere Messungen an dem relativ modernen Nasslöschturm der HKM-Kokerei im Duisburger Süden vorgenommen. Davids hielt es
aber nicht für wahrscheinlich, dass hier Werte erzielt werden könnten, die - kombiniert mit der veränderten Bauweise und theoretischen
Überlegungen die Gleichwertigkeit der Nasslöschung nachweisen könnten.
Die Bürgerinitiative, unterstützt durch den Arzt und Umweltmediziner Michael Lefknecht,
bestand außerdem darauf, dass ThyssenKrupp nicht nur "Nebelkerzen" vorlegen solle, sondern zunächst eine klare Beschreibung der
Randbedingungen vornehmen müsse. Insbesondere müssten die Stoffströme, also Kohlequalität, Kokszusammensetzung und Belastung des
Löschwassers, dargestellt werden, damit überhaupt plausible Berechnungen vorgenommen werden könnten. Diese Unterlassung ziehe sich wie ein roter
Faden durch die gesamte Argumentation von ThyssenKrupp, befand die Bürgerinitiative. Im Übrigen wies sie darauf hin, dass Gutachter von ThyssenKrupp noch
vor wenigen Jahren auf die Vorteile der Kokstrockenkühlung geschworen hatten, aber offensichtlich umgefallen waren.
Verheerend war für ThyssenKrupp auch die Auseinandersetzung um die Energiebilanz. Fazit: die
Nasslöschung geht mit einer gewaltigen Energieverschwendung einher. Die im Heißkoks enthaltene Energie wird mit den Löschwasserschwaden von
täglich 35000 Tonnen verdampft.
Unter Berücksichtigung des Wirkungsgrads ginge damit eine elektrische Leistung von rund 50 MW/a
verloren, was dem Bedarf einer Stadt mit 100000 Haushalten entspricht. Das aber ist mit CO2-Minderung und Ressourcenschutz nicht vereinbar, weder europarechtlich, noch
nach dem Neuentwurf der Technischen Anleitung Luft, der zwingend die sinnvolle Nutzung der Kokerei-Abwärme vorsieht.
Die EinwenderInnen stellten zahlreiche Anträge auf Zusatzuntersuchungen. ThyssenKrupp wurde im
übrigen aufgefordert, den Antrag zurückzuziehen, weil er in Kernfragen nicht mehr zu reparieren sei. Fachlich, so die Einschätzung der
Bürgerinitiative, ist ThyssenKrupp geschlagen.
Die Bürgerinitiative warnte aber, dass nun durch politische Weisung etwa aus der
Staatskanzlei von Ministerpräsident Wolfgang Clement eine Änderungsgenehmigung erteilt werden könnte. Gegen einen solchen Rechtsbruch
werde sich Bevölkerung massiv zur Wehr setzen, kündigte die Bürgerinitiative an.
Die Bezirksregierung hat ThyssenKrupp nun eine Frist gesetzt, innerhalb derer die Antragsunterlagen
entscheidend verbessert werden müssen. Erörterungstag wird aller Voraussicht nach der 4.April sein. In der örtlichen Presse hat ThyssenKrupp erneut und
massiv die Genehmigung gefordert. Andernfalls werde man sich Ordnungsverfügungen zur weiteren Staubminderung an anderen Anlagen, etwa an Hochöfen
oder Stahlwerken massiv widersetzen.
Der Vorstand von ThyssenKrupp war am 13.März bereits beim nordrhein-westfälischen
Ministerpräsidenten Clement, um Druck zu machen. Die Bürgerinitiative hat für den 7.April zu einer Kundgebung in Duisburg-Marxloh aufgerufen. Ihr
geht um die beste Umwelttechnik an der Kokerei und um eine drastische Staubminderung aus den übrigen Anlagen von ThyssenKrupp. Umweltsonderrechte für
den ThyssenKrupp-Konzern und weitere Erpressung müssten verhindert werden, so die Bürgerinitiative.
Charlotte Weyers
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