Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.07 vom 29.03.2001, Seite 10

Kokerei in Duisburg

Niedrige Umweltstandards

ThyssenKrupp Steel (TKS), der größte deutsche Stahlerzeuger, steht wieder im Zentrum von Protesten. Bei der bereits im Bau befindlichen Großkokerei soll das emissionsarme Trockenkühlverfahren durch eine angeblich verbesserte und billigere Nasslöschung ersetzt werden.
Doch eine Duisburger Bürgerinitiative wehrt sich gegen eine Lösung, die auf Kosten von Umwelt und Bevölkerung gehen könnte. Rund 2500 Einwendungen waren bis zum 23.Februar bei der Genehmigungsbehörde eingegangen. Der Erörterungstermin am 6. und 7.März wurde für ThyssenKrupp zum umweltpolitischen Fiasko, aber das Ende ist dennoch offen.
Seit den 80er Jahren muss sich Thyssen Stahl — seit der Großfusion von 1997 ThyssenKrupp Steel — in der Stahlhauptstadt Duisburg mit einer aufmüpfigen Bevölkerung auseinandersetzen, die nicht mehr bereit ist, Staub und Umweltgifte widerspruchslos hinzunehmen. So wurde 1987 die Bürgerinitiative gegen Umweltgifte Duisburg Nord e.V. gegründet.
Besonders belastet sind Stadtteile mit der höchsten Arbeitslosigkeit und den größten strukturellen Nachteilen. Zwar haben Fortschritte in Umwelttechnik und -gesetzgebung schon zu deutlichen Emissionsminderungen geführt, aber ein erträgliches Maß ist längst nicht erreicht. Vom Optimum ganz zu schweigen.
ThyssenKrupp beteuert zwar immer wieder, dass man hohe Umweltinvestitionen vornehme. Bei näherem Hinsehen handelt es sich aber überwiegend um Maßnahmen, die wiederum Profite erbringen, wie die Entstaubung von verwertbaren Hochofen- und Stahlwerksgasen. Hinzu kommt, dass alte Großanlagen in relativ enger Nähe zur traditionellen Wohnbebauung stehen und neue sogar hinzugekommen sind, wie der 1993 in Betrieb gegangene Großhochofen 2.

Giftige Altkokerei

Ein ganz besonderes Ärgernis ist die alte Kokerei, die die Stadtteile Bruckhausen und Beeck schwer belastet. Längst sollte sie durch eine neue ersetzt sein. Massive Proteste führten dazu, dass ThyssenKrupp sich schließlich einen "Vorbescheid" für den Neubau am werkseigenen Schwelgernhafen holte.
In dem Erörterungsverfahren von 1995 warnte die Bürgerinitiative davor, dass der Vorbescheid sich bald als weiteres Verzögerungsmanöver erweisen könne, denn wer bauen wolle, hole sich eine Genehmigung und keinen Vorbescheid. Und sie sollte recht behalten. Äußerungen der Konzernspitze rückten den Neubau in weite Ferne.
Mit dem neuen NRW-Umweltministerium fand die Bürgerinitiative allerdings ab 1996 erstmals Verbündete, und Thyssens Verzögerungsstrategie traf auch hier auf Widerstand. Die Bürgerinitiative forderte: "Da messen, wo es was zu messen gibt!" Als ein Messcontainer des Landesumweltamts gegenüber der Kokerei erschreckende Werte der Krebsgifte Benzo(a)pyren, Benzol und sogar Nickel lieferte, ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung.
Doch ThyssenKrupp machte auf ahnungslos. Das Unternehmen hatte stets auf die wesentlich geringeren Werte an der MILIS-Messstation im 8 Kilometer entfernten Stadtteil Walsum verwiesen, die noch unter Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) aufgestellt worden war. Unter dem enormen Druck musste der Konzern nun schrittweise die drei ältesten der sechs Koksbatterien stilllegen.

Neue Tricks und Deals

Als dann die Totalstilllegung drohte, beantragte ThyssenKrupp endlich die Genehmigung für den Neubau, die 1998 erteilt wurde. Selbstverständlich mit Kokstrockenkühlung (KTK), einem emissionsarmen Verfahren mit entscheidenden Vorteilen gegenüber der veralteten Nasslöschung. Die Kokstrockenkühlung gilt seit den 80er Jahren als Stand der Technik.
Doch die Umweltpolitik von ThyssenKrupp hat ein Markenzeichen: Verzögern, Unwahrheiten verbreiten, Tricksen — Profite gehen schließlich vor. So auch bei dieser Großinvestition von rund 1,5 Milliarden Mark. Nach intensiver und teilweise erfolgreicher Lobbyarbeit bei staatlichen Stellen setzte Thyssen im April 2000 dazu an, die entscheidende Umweltauflage aus dem Genehmigungsbescheid zu kippen.
Man habe inzwischen ein gleich gutes, wenn nicht besseres Verfahren entwickelt, das zudem noch viel billiger sei: Eine neue Art der Nasslöschung mit dem klangvollen Namen CSQ. Diese werde sogar von der technischen Kommission der EU (BVT-Kommission) empfohlen. Die Investition sei um 200 Millionen Mark günstiger und auf 20 Jahre gerechnet sogar 800 Millionen Mark.
Doch die Fachbehörden wollten der neuen Versöhnung von Ökologie und Ökonomie ebensowenig glauben schenken wie die betroffene Bevölkerung. Die Düsseldorfer Bezirksregierung bezweifelte die Genehmigungsfähigkeit und legte dem Umweltministerium die Frage zur Entscheidung vor, ob das Verfahren mit Rücksicht auf das Europarecht überhaupt weiterbetrieben werden solle.
Von dort kam die Weisung: Weitermachen! Der Druck von ThyssenKrupp hatte hier wohl einigen kalte Füße bereitet. Die Duisburger Stadtspitze und die Ratsmehrheit zeigten sich unschlüssig und verlangten Gutachten. Ende November lag schließlich das Fachgutachten des Landesumweltamts vor: eine Katastrophe für ThyssenKrupp!
Doch ThyssenKrupp ließ nicht locker. Wie den Verfahrensakten zu entnehmen ist, wurde Konzernchef Schulz bei Ministerin Bärbel Höhn und offenbar auch in der Staatskanzlei vorstellig, drohte mit Schadensersatzklagen. Neben der Peitsche das Zuckerbrot: sollte ThyssenKrupp die Genehmigung für die Nasslöschung bekommen, sei man bereit, für 120 Mio. Mark weitere Staubminderung zu betreiben.
Der Zweck dieses Deals war allzu durchsichtig: Man wollte eine Genehmigung unterhalb des nach Bundesimmissionsschutzgesetz vorgeschriebenen Stands der Technik, Kosten vermeiden, Profite sichern und großzügig etwas davon abgeben. Als der von ThyssenKrupp vorgeschlagene Maßnahmenkatalog bekannt wurde, konnte es daran überhaupt keinen Zweifel mehr geben. Die meisten Punkte hätten längst realisiert werden müssen oder waren bereits eingeleitet, um die Staubwerte, die in der Spitze das Vierfache des gesetzlich Zulässigen überschreiten, ein Stück weiter herunterzubringen.
Weite Teile der Öffentlichkeit durchschauten das Manöver. Die nördlichen Bezirksvertretungen Walsum und Hamborn wandten sich trotz massiver Einflussnahme von ThyssenKrupp einstimmig gegen die Änderung. Nach wochenlangen Auseinandersetzungen — die Bürgerinitiative verteilte u.a. 10000 Zeitungen, ein Flugblatt auf der Aktionärsversammlung, ThyssenKrupp ein Hochglanzfaltblatt an alle Haushalte — lagen schließlich 2500 Einwendungen von AnwohnerInnen vor, um auf das für den 6.März angesetzte Erörterungsverfahren Einfluss zu nehmen. Viele Einwendungen waren von Beschäftigten von ThyssenKrupp.

Fundierte Einwendungen

Der zweitägige Erörterungstermin in der Rhein-Ruhr-Halle ging klar an die UmweltschützerInnen. In der Diskussion um die Staubfrage blamierte sich ThyssenKrupp mit seinen 35 Vertretern, als klar wurde, dass eine vollkommen ungeeignete und vom Verband der Deutschen Industrie (VDI) seit zehn Jahren zurückgezogene Messmethode angewendet worden war, um die verbesserte Nasslöschung schönzurechnen.
Auch Dr.Davids vom Landesumweltamt, bundesweit maßgebender Experte in Sachen Emissionsschutz, brachte ThyssenKrupp in Erklärungsnotstand. Davids legte Messzahlen von drei Instituten vor, die an bestehenden Nasslöschungen vorgenommen worden waren. Danach ergeben sich im Löschturm Bandbreiten beim Staub zwischen 10 und 40 Gramm je Tonne Koks.
Das wäre ein Faktor, der um das Zwei- bis Fünffache höher läge als bei der Kokstrockenkühlung. Außerdem habe man nur in Anlehnung an eine DIN-Vorschrift gemessen, die nicht für Kühltürme entwickelt worden ist. Derzeit würden weitere Messungen an dem relativ modernen Nasslöschturm der HKM-Kokerei im Duisburger Süden vorgenommen. Davids hielt es aber nicht für wahrscheinlich, dass hier Werte erzielt werden könnten, die —- kombiniert mit der veränderten Bauweise und theoretischen Überlegungen — die Gleichwertigkeit der Nasslöschung nachweisen könnten.
Die Bürgerinitiative, unterstützt durch den Arzt und Umweltmediziner Michael Lefknecht, bestand außerdem darauf, dass ThyssenKrupp nicht nur "Nebelkerzen" vorlegen solle, sondern zunächst eine klare Beschreibung der Randbedingungen vornehmen müsse. Insbesondere müssten die Stoffströme, also Kohlequalität, Kokszusammensetzung und Belastung des Löschwassers, dargestellt werden, damit überhaupt plausible Berechnungen vorgenommen werden könnten. Diese Unterlassung ziehe sich wie ein roter Faden durch die gesamte Argumentation von ThyssenKrupp, befand die Bürgerinitiative. Im Übrigen wies sie darauf hin, dass Gutachter von ThyssenKrupp noch vor wenigen Jahren auf die Vorteile der Kokstrockenkühlung geschworen hatten, aber offensichtlich umgefallen waren.
Verheerend war für ThyssenKrupp auch die Auseinandersetzung um die Energiebilanz. Fazit: die Nasslöschung geht mit einer gewaltigen Energieverschwendung einher. Die im Heißkoks enthaltene Energie wird mit den Löschwasserschwaden von täglich 35000 Tonnen verdampft.
Unter Berücksichtigung des Wirkungsgrads ginge damit eine elektrische Leistung von rund 50 MW/a verloren, was dem Bedarf einer Stadt mit 100000 Haushalten entspricht. Das aber ist mit CO2-Minderung und Ressourcenschutz nicht vereinbar, weder europarechtlich, noch nach dem Neuentwurf der Technischen Anleitung Luft, der zwingend die sinnvolle Nutzung der Kokerei-Abwärme vorsieht.
Die EinwenderInnen stellten zahlreiche Anträge auf Zusatzuntersuchungen. ThyssenKrupp wurde im übrigen aufgefordert, den Antrag zurückzuziehen, weil er in Kernfragen nicht mehr zu reparieren sei. Fachlich, so die Einschätzung der Bürgerinitiative, ist ThyssenKrupp geschlagen.
Die Bürgerinitiative warnte aber, dass nun durch politische Weisung — etwa aus der Staatskanzlei von Ministerpräsident Wolfgang Clement — eine Änderungsgenehmigung erteilt werden könnte. Gegen einen solchen Rechtsbruch werde sich Bevölkerung massiv zur Wehr setzen, kündigte die Bürgerinitiative an.
Die Bezirksregierung hat ThyssenKrupp nun eine Frist gesetzt, innerhalb derer die Antragsunterlagen entscheidend verbessert werden müssen. Erörterungstag wird aller Voraussicht nach der 4.April sein. In der örtlichen Presse hat ThyssenKrupp erneut und massiv die Genehmigung gefordert. Andernfalls werde man sich Ordnungsverfügungen zur weiteren Staubminderung an anderen Anlagen, etwa an Hochöfen oder Stahlwerken massiv widersetzen.
Der Vorstand von ThyssenKrupp war am 13.März bereits beim nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Clement, um Druck zu machen. Die Bürgerinitiative hat für den 7.April zu einer Kundgebung in Duisburg-Marxloh aufgerufen. Ihr geht um die beste Umwelttechnik an der Kokerei und um eine drastische Staubminderung aus den übrigen Anlagen von ThyssenKrupp. Umweltsonderrechte für den ThyssenKrupp-Konzern und weitere Erpressung müssten verhindert werden, so die Bürgerinitiative.

Charlotte Weyers

Die Autorin ist Mitglied der Bürgerinitiative gegen Umweltgifte Duisburg-Nord e.V.



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