Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.07 vom 29.03.2001, Seite 12

Makedonien

Ethnische Konflikte als Handelsware

Makedonien droht, zu einem Epizentrum kriegerischer Konflikte zu werden. Vielleicht nicht so sehr wegen der Intensität der militärischen Operationen, die, zumindest derzeit, einfach dadurch beschränkt sind, weil das zur Verfügung stehende Kriegspotenzial der Konfliktparteien beschränkt ist. Sicher aber ist: Krieg liegt in der Luft. Lange Flüchtlingstrecks sind unterwegs, sie verlassen vorwiegend ethnisch gemischte Gebiete; auf beiden Seiten ertönt der Ruf zu den Waffen, baut die öffentliche Propaganda Argumente und Stimmungen gegen die jeweils andere Volksgruppe auf.
Der nachstehende Artikel erschien am 18.März in der Tageszeitung AIM in Skopje, der Hauptstadt Makedoniens. Er wurde von der italienischen Mailing-Liste Notizie Est übersetzt und verbreitet. Wir bringen den Artikel in Auszügen.
Alles begann in Tanusevci*, einem Dorf mit einigen dutzend Häusern und ein paar hundert Einwohnern an der Grenze zum Kosovo, das Makedonien vergessen hatte. Erst als die Regierung [am 23.Februar 2001] ein Grenzabkommen mit Jugoslawien unterzeichnete, geriet es wieder in Erinnerung. Die Einwohner von Tanusevci sind Albaner; mit der Aufteilung Jugoslawiens fielen sie an Makedonien. Doch sie haben bis heute nicht die makedonische Staatsbürgerschaft. Bevor der Krieg im Kosovo ausbrach, appellierten sie an die makedonische Regierung, sie möge sie vor den Übergriffen der Milosevic-Polizei schützen. Aber die Regierung in Skopje reagierte nicht. Sie anerkannte nicht einmal ihre Zuständigkeit und erklärte den Einwohnern auch nicht, an wen sie sich wenden sollten.
Jetzt sprechen die Funktionäre in Skopje davon, die Zwischenfälle in Tanusevci seien von "terroristischen Gruppen" aus dem Kosovo verursacht. Besonnene Leute aber sagen, die Sachlage sei viel schlimmer: die "Kriegstrompeten" hätten hausgemachte Ursprünge, Makedonien sei auf dem Weg in einen klassischen Bürgerkrieg, bei dem die Frage, wer ihn veranlasst und zum Ausbruch gebracht habe, zweitrangig sei.
Kriegsursachen gibt es auf dem Balkan die Fülle, es reicht für ein paar hundert Jahre Krieg. In Tetovo sind die ersten Schüsse gefallen, aber alles deutet daraufhin, dass die Unruhen auf das gesamte Gebiet Westmakedoniens übergreifen werden.
Die vorherrschende Meinung ist, dass sich die beiden größten Volksgruppen in Makedonien zum erstenmal in der Geschichte gegeneinander in den Krieg ziehen werden. Dennoch werde Makedonien als Pufferzone im Balkan überleben.
Die Ursachen der militärischen Auseinandersetzung sind nicht älter als der neue Staat selbst. Um es einfach auszudrücken: Makedonier und Albaner haben zehn Jahre lang ihren gemeinsamen Staat wie zwei gegnerische Mannschaften aufgebaut, von denen jede hofft, dass die andere besiegt wird oder aufgibt. Einzig die politischen Eliten auf beiden Seiten haben aus dem neuen Staat einen Nutzen gezogen; sie wurden sehr bald Schwestern im gemeinsamen Bemühen, reich zu werden. Darüber vergaßen sie, dass das Fundament des Staates, die Bevölkerung, sich mehr und mehr in zwei verschiedene Welten spaltete.
Die Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen sind seit langem zu einem Faustpfand in der Hand der Koalitionspartner in der Regierung von Skopje geworden; ihre Qualität hing davon ab, inwieweit die Regierungsparteien in der Aufteilung ihrer Händel übereinkamen.
Schließlich wurde genug Raum für wachsende Intoleranz freigeschaufelt: Es gibt Klagen, die Forderungen der Albaner bedienten nur die Interessen der Neureichen; aber die Position der kompromisslosen Verteidigung der nationalen Interessen der Makedonen hat bisher auch nur einer Elite gedient, die in der Lage war, aus den Geschäften mit jenen entsprechenden Profit zu ziehen, weil sie die richtigen Posten besetzt hielt.
In den letzten zehn Jahren hat Makedonien nicht eines seiner zentralen interethnischen Probleme lösen können; bei jeder Wahl kamen sie wieder auf den Tisch und man musste von vorn anfangen. Die Probleme beziehen sich auf die kulturellen Unterschiede und ihren institutionellen Schutz. Seit zehn Jahren hat es über Fragen wie dem Gebrauch der albanischen Sprache, Symbole, der angemessenen Vertretung der albanischen Bevölkerung in den staatlichen Institutionen nur folgenlose Scharmützel. Seit zehn Jahren behandeln die politischen Eliten in diesem Land die Beziehungen zwischen den Volksgruppen als den erfolgreichsten Handelsartikel, um politische Punkte zu machen, und haben darüber vergessen, dass Makedonien immer weniger Zeit bleibt, die Probleme zu lösen.
Heute ist das Land da, wo es zwangsläufig landen musste. Die Bürger haben kein Vertrauen mehr in die politischen Parteien, vor allem die albanische Bevölkerung nicht. Die Makedonier haben dabei wenigstens noch den Trost, dass sie den Staatsapparat kontrollieren — vor allem Polizei und Armee.
Die Albaner hingegen sehen eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder sie vertrauen weiterhin einer korrupten politischen Elite, oder sie unterstützen diejenigen, die die Waffen ergriffen haben und eine rasche Lösung fordern.
Die Schüsse von Tetovo legen den Schluss nahe, dass Makedonien dabei ist, sich in derselben Art und Weise aufzulösen, wie es die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien auch getan hat. Die politischen Parteien der albanischen Bevölkerung sind kaum in der Lage, die bewaffneten Albaner zu kontrollieren. Demgegenüber benimmt sich die makedonische Polizei und Armee so, als bestehe ihre einzige Aufgabe darin, Makedonier zu beschützen. Zu einer klaren Trennung zwischen dem makedonischen Staat und den bewaffneten Albanern fehlt nur ein Schritt. Wird dieser gemacht, ist der Rest ein "Déjà-vu": ein "Befreiungsheer" von einem mono-ethnischen Staat gegen eine Polizei, die ihrerseits die Städte und Dörfer Westmakedoniens von ihrer albanischen Bevölkerung zu "befreien" sucht.
Schon jetzt, wo wir noch am Anfang des bewaffneten Konflikts stehen, hat der Krieg in Makedonien etwas Absurdes: Alle, die bewaffneten Albaner wie die Vertreter des makedonischen Staates, behaupten, für die territoriale Integrität und Stabilität Makedoniens einzutreten. Das behaupten auch die interessierten internationalen Akteure. Man mag daran nicht zweifeln. Das Problem ist jedoch, dass alle drei Parteien die Souveränität und Stabilität Makedoniens auf ihre Weise verstehen. Die von Makedoniern kontrollierten staatlichen Behörden verstehen darunter einen Einheitsstaat der makedonischen Bevölkerung und anderer Volksgruppen; die bewaffneten Albaner verstehen darunter einen Staat, der sich auf die beiden großen Volksgruppen — Makedonen und Albaner — stützt; die internationale Öffentlichkeit sieht in Makedonien eine Art "Erstgeborenen" des Balkans, dessen Vater der "Multikulturalismus", dessen Mutter die "Zivilgesellschaft" ist.
Diese drei Vorstellung vom Staat gehen in keinem Punkt zusammen. Aber sie können alle zu einem Ergebnis führen: Es wird von Makedonien nichts übrigbleiben — vor allem nicht, wenn der Premierminister sich durchsetzt, der erklärt hat, Makedonien werde "sich in der Wahl seiner Bündnispartner nicht sehr zieren, wenn die territoriale Integrität bedroht ist". Scheinbar hat ihm noch niemand gesagt, dass Makedonien von "Rettern" geradezu umringt ist — einige, wie Bulgarien, haben sogar schon angeboten, ihre Soldaten zu schicken. Sollte es tatsächlich zu einer solchen Rettungsaktion kommen, bliebe von Makedonien nichts als die romantische Erinnerung an den Versuch, einen neuen Staat auf dem Balkan zu schaffen.
Von allen Seiten treffen nun in Makedonien Botschaften ein, die seine Integrität und Stabilität schützen wollen. Aber alle scheinen zu vergessen, dass dieses Land nicht überleben wird, wenn eine solche Botschaft nicht von der eigenen Bevölkerung ausgeht. Während die internationale Gemeinschaft Makedonien Unterstützung bei der Wiederherstellung der Ordnung auf seinem Territorium signalisiert, lachen sich die Zyniker ins Fäustchen und erinnern daran, wie sie seinerzeit auf ganz ähnliche Weise die Sozialistische Föderation Jugoslawien unterstützt hat, die sich ebenfalls auflöste, weil sie nicht früh genug erkannte, dass sie nicht mehr die Unterstützung der in ihr lebenden Bevölkerungsgruppen hatte.
Ob derselbe alte Film abläuft, nur mit einem anderen Regisseur, werden wir noch sehen; sicher erweist sich der Balkan, was Kriege angeht, als sehr widerstandsfähig. Er scheint immer noch nicht genug zu haben von Flüchtlingstrecks, Ruinen und Gräbern. Außerdem ist der Balkan ein hervorragendes Übungsfeld für die westliche Diplomatie und für all jene, die es zu Experten in Konfliktlösungen bringen wollen. Makedonien eignet sich besonders dafür, aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt weil sowohl Makedonen wie Albaner seine Einheit und Integrität beschwören. Sie müssen nur noch herausfinden, wer sie von wem befreien soll, und die Frage beantworten, welches Interesse sie eigentlich an einem "brüderlichen" Staat haben.
Makedonien wird solange ein instabiler Staat bleiben, wie die Makedonen nicht klar ihre Bereitschaft zu erkennen geben, einen multiethnischen Staat auf gleichberechtigter Grundlage zu schaffen, und die Albaner nicht definieren, welche Forderungen und Interesse sie darin verwirklichen wollen.
Heute ist der Spielraum in Makedonien für die Beantwortung dieser Fragen allerdings eng geworden, weil sich in den letzten zehn Jahren hinter dem Begriff der multikulturellen und interethnischen Beziehungen ein falsches Verständnis von Demokratie verborgen hat — in Wirklichkeit eine Diktatur ethnischer "politischer Sekten".

Kim Mehmeti

Kim Mehmeti ist ein albanischer Intellektueller, der in Skopje lebt und sich seit langem für multiethnische Projekte engagiert.

*Am 4.März dieses Jahres kamen in Tanusevci, einer Ortschaft an der Grenze Makedoniens zu Kosovo, ein Soldat und ein Offizier der makedonischen Armee durch die Explosion einer Mine ums Leben; wenig später wurde ein weiterer Soldat erschossen. Die makedonische UÇK übernahm in einem Kommuniqué an die albanische Redaktion der Deutschen Welle die Verantwortung. Die Attentate boten den Anlass zum neuen Krieg.



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