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Die ursprünglichen organisatorischen und politischen Hoffnungen der VSP, der Vereinigten Sozialistischen Partei, waren bereits tiefgreifend enttäuscht, als
sich die kleine westdeutsche Organisation linker Aktivistinnen und Aktivsten Mitte der 90er Jahre umtaufte und fortan als Vereinigung für sozialistische Politik mit
nur noch bescheidenem Anspruch auftrat. Ursprünglich angetreten, die westdeutsche Linke jenseits der Grün-Alternativen zu sammeln und zum
klassenkämpferischen Sturm gegen Krise und Kapital zu blasen, hat sie im Dezember vergangenen Jahres einen organisatorischen Schlussstrich unter ihre 14-
jährige Geschichte gezogen und die Einstellung ihrer politischen Tätigkeit erklärt. Damit wurde eines der letzten und spannendsten Kapitel
bundesdeutscher Parteiformierungsversuche auf der radikalen Linken abgeschlossen.
Ursprünge und Grundlagen der Vereinigung
Im Gefolge der 68er-Revolte und des Zerfalls des ehemaligen Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) nach dem Niedergang der
Außerparlamentarischen Opposition gründeten sich diverse politische Strömungen als eigenständige Parteiorganisationen. Neben der
Wiedergründung der alten KPD unter dem neuen Namen DKP waren es vor allem maoistische Organisationen, die sogenannten "K-Gruppen", die fortan
den linken Ton Westdeutschlands bestimmen sollten. Von einiger Bedeutung waren außerdem noch das Sozialistische Büro (SB), eine recht lose und
undogmatische Intellektuellenorganisation, und die Gruppe Internationale Marxisten (GIM) als deutsche Sektion der IV. (trotzkistischen) Internationale. All diese (und
einige weitere) durchaus heterogenen Organisationen bildeten während der 70er Jahre das nicht sehr trennscharfe Milieu jener "Neuen Linken", welche
angetreten war, den sozialdemokratischen und spätstalinistischen Reformismus revolutionär zu überwinden. Doch auch vor dem Hintergrund der in den
70er Jahren offen aufbrechenden ökonomischen Krisenpotentiale des herrschenden Kapitalismus und der Rückkehr nationaler und internationaler Klassen- und
Massenkämpfe vermochten es diese Organisationen nicht, sich dauerhaft zu etablieren.
Der Aufstieg der grün-alternativen Bewegung Ende der 70er Jahre versetzte den meisten dieser zu
jener Zeit bereits in die Krise geratenen Gruppen den organisatorischen Todesstoß. Die in ihren Anfängen stark antikapitalistisch orientierte grüne Partei
sog viele der alten linken Kader wie einen Magnet auf und ließ links daneben nicht mehr viel Platz. Lösten sich manche der K-Gruppen ganz auf, versuchten die
anderen, sich auf deutlich kleinerem Organisationsniveau neu zu positionieren. Einigen Gruppen gelang dies zumindest soweit, dass sie noch die gesamten 80er Jahre
weiterexistieren sollten. Doch politische Impulse gingen von ihnen kaum mehr aus.
Die Gründung der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) ist vor diesem Hintergrund eine
bemerkenswerte Ausnahme und ein in der Geschichte der deutschen Linken eher seltener Fall. Mit der in Dortmund am 5. und 6.Oktober 1986 erfolgten Gründung
vereinigten sich mit der KPD und der GIM zwei dieser revolutionär-linken Organisationen, die sich in der Vergangenheit noch heftigst befehdet hatten. Die KPD/ML,
wie sie bis in die 80er Jahre hieß, war bereits 1968 als Abspaltung der noch illegalen KPD entstanden, und orientierte sich zunächst an China, um dann, im
entsprechenden Streit zwischen China und Albanien, die Partei Tiranas zu ergreifen. Lange Zeit galt sie als eine der härtesten stalinistischen Organisationen der
westdeutschen 70er-Jahre-Linken. Die 1969 entstandene GIM war dagegen als deutsche Sektion der IV.Internationale am antistalinistischen Erbe Leo Trotzkis orientiert.
Die westdeutsche Restlinke reagierte unverständig auf die Vereinigung von 1986. Große Teile
der linken Öffentlichkeit (bspw. Konkret) nahmen sie überhaupt nicht wahr, kleinere wie der Arbeiterkampf (ak) taten sie als anachronistische
"Elefantenhochzeit", als hoffnungslose Mischung von Feuer und Wasser ab. Doch wer sich die Mühe machte, näher hin zu gucken, für den
war dieser Schritt durchaus nachvollziehbar. Die damalige GIM diskutierte im weltweiten Rahmen der IV.Internationale die Möglichkeiten eines Aufbaus neuer
revolutionär-sozialistischer Organisationen über den "Trotzkismus" hinaus. Und die sich mittlerweile nur noch KPD nennende KPD/ML hatte sich
im Rahmen umfassender Diskussionen seit Anfang der 80er Jahre weitgehend von ihrem stalinistischen Erbe verabschiedet und den Marxismus-Leninismus auch symbolisch
abgestreift. Offensiv war sie in einen Prozess programmatischer Neuorientierung eingetreten, verband ihre Diskussion zur Überwindung des autoritär-
bürokratischen Erbes mit einer Neubestimmung des gesellschaftspolitischen Zieles als einer umfassenden sozialistischen Demokratie und öffnete sich massiv
feministischen Ideen. Das heißt, sie holte einen Diskussionsprozess nach, den viele andere K-Gruppen Ende der 70er durchliefen. Sie führte diese Diskussionen
allerdings nicht wie jene im Sinne eines postmodernen Abschieds von der klassenkämpferischen Vergangenheit.
Bei der praktischen Umsetzung dieser neuen Politik stießen die Aktivistinnen und Aktivisten
zunehmend auf die GIM. In den großen, vor allem 1984 geführten gewerkschaftlichen Kämpfen um die 35-Stunden-Woche, im Kampf gegen die
Ausländerfeindlichkeit und in anderen Bewegungen machten beide Organisationen die praktische Erfahrung, fast identische Positionen und eine ähnliche
politische Praxis zu entwickeln. So trat man in einen zweijährigen gemeinsamen Diskussionsprozess ein, an deren Ende eine neue Organisation mit neuem Programm,
Statut und Selbstverständnis, sowie mit einer neuen linken Zweiwochenzeitung stand.
In einer Zeit, in der auf der einen Seite die konservativ-liberale Wenderegierung unter Kohl und Genscher
mit nur bedingtem Erfolg versuchte, eine gesellschaftliche Aufbruchs- und Wendestimmung zu erzeugen, und in der die Linken auf der anderen Seite weitgehend mit den
Grün-Alternativen identifiziert wurden, ging die neue VSP auch weiterhin von der Notwendigkeit aus, den Kapitalismus zu stürzen und eine sozialistische
Gesellschaft aufzubauen. Da sie davon ausging, dass sich diese Notwendigkeit "der Arbeiterklasse nicht automatisch aus dem Erleben der Verfaultheit,
Krisenhaftigkeit und Perspektivlosigkeit der kapitalistischen Gesellschaft oder unmittelbar aus der Erfahrung in den Klassenauseinandersetzungen" erschließe
(Zitate aus Selbstverständnis der VSP, Köln 1986), wollte sie den klassenbewusstesten Teil der Arbeiterbewegung in einer dem Marxismus verpflichteten
revolutionären Klassenpartei sammeln, um "die Arbeiterbewegung zu einer erfolgreichen Führung des Klassenkampfs zu befähigen". Als
ersten Schritt ging es ihr dabei um die Sammlung einer breiten klassenkämpferischen Gewerkschaftstendenz. Sie legte dabei Wert auf die Feststellung, jede Form des
manipulativen Verhältnisses zwischen Partei und Klasse, jede Form von Stellvertreterpolitik und anmaßendem Avantgardismus abzulehnen.
Zwei Entwicklungen sollten aus der neuen Vereinigung eine dynamische revolutionäre Partei
machen. Zum einen sollten sich andere linksrevolutionäre Kleinorganisationen dem Vereinigungsprojekt "auf der Grundlage gemeinsamer Praxis im
Klassenkampf und klarer programmatischer Zielbestimmung" anschließen, was sich in der zentralen VSP-Parole "Vereinigen statt spalten"
niederschlug. Zum anderen sollte durch diese organisatorische Entwicklung Einfluss vor allem auf das Milieu der westdeutschen Gewerkschaftslinken genommen werden,
um sich auf diesem Wege eine gesellschaftliche Basis für eine radikale, sozialistische, d.h. klassenkämpferische Linke zu erarbeiten.
Die programmatische Wurzel dieser Konzeption war die Erkenntnis, dass sich links-sozialistische Politik in
der BRD, will sie zur emanzipativen Gesellschaftsveränderung beitragen, entlang der Entwicklung des nationalen Klassenkampfes zu entwickeln und zu organisieren
habe. So wichtig also die noch immer umstrittene Einschätzung des damals noch "realen Sozialismus" auch sei, so zweitrangig sei sie für die
organisatorischen Grundlagen bundesrepublikanischer Parteipolitik. Da aber "[d]ie Aufgeschlossenheit der Arbeiterklasse für eine klassenkämpferische
Politik auch von der Glaubwürdigkeit bestehender politischer Alternativen zum kapitalistischen System ab[hängt]", sei "eine klare,
unmissverständliche Position von revolutionären Sozialistinnen und Sozialisten in der Ablehnung der Verhältnisse in den ‚real-sozialistischen
Ländern, in denen die Arbeiterklasse nicht herrscht, sondern beherrscht wird", erforderlich.
Die bürgerliche Gesellschaft der 80er Jahre sah die VSP von einer tiefen gesellschaftlichen Krise in
nahezu allen Bereichen durchzogen. Arbeitslosigkeit, Existenzunsicherheit, Verzweiflung und Armut, sowie eine Arbeitswelt, "in der Kreativität und
selbständiges Denken unterdrückt werden, der Mensch immer mehr in ein bloßes Anhängsel der Maschinerie oder in ein blind funktionierendes
Teilchen bürokratischer Apparate verwandelt wird" (Zitate aus dem Programm der VSP, Köln 1986), führten zu "Entfremdung und
Leere", zur Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten, zum Aufleben nationalistischer und faschistischer Bestrebungen, zur wachsenden
Kriegsgefahr und zur fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Da die bürgerliche Politik einerseits versuche, die Krisenlasten vor
allem auf die arbeitende Bevölkerung abzuwälzen und deswegen einen Kurs offener Konfrontation gegen die Gewerkschaftsmacht anstrebe, die Arbeiterklasse
andererseits die gesellschaftliche Klasse sei, "die aufgrund ihrer Stellung in der Produktion, ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihrer Fähigkeit
zum gemeinsamen Handeln in der Lage ist, im Bündnis mit allen, die den wirklichen Fortschritt der Menschheit wollen, den Kapitalismus zu stürzen",
hänge "die Verwirklichung aller fortschrittlichen Bestrebungen in unserer Gesellschaft letztlich vom Fortschritt der Arbeiterbewegung ab". Auch hier legte
man Wert auf die Feststellung, dass gerade der Kampf der Frauen zeige, "dass (nicht) alle sozialen Bewegungen im Kapitalismus umstandslos dem Widerspruch
zwischen Kapital und Arbeit unterzuordnen sind".
Enteignung der Kapitalisten, Verstaatlichung der wesentlichen Produktionsmittel und großen
Wirtschaftsunternehmen, einheitliche Wirtschaftsplanung, Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats, umfassende Demokratisierung in Richtung einer direkten
Selbstverwaltungsdemokratie, dieses und manches andere werden genannt als "notwendige Voraussetzungen und erste Schritte" auf dem Wege zu einer
sozialistischen Demokratie, die die Herrschaft über Menschen durch eine Verwaltung der Sachen ersetze.
Die ersten Jahre
Auf diesen programmatischen und organisatorischen Grundlagen kam es, nicht ohne Reibungsverluste im Vorfeld, zur Vereinigung im Oktober 1986. Ein Teil der
KPDler kehrte als "Marxisten-Leninisten" derselben den Rücken und ein Teil der GIMler ging lieber in die grüne Partei. Die Mehrheit beider
Mitgliedschaften wagte jedoch den Sprung ins Ungewisse, wollte, wie es im Vorfeld der Vereinigung ein GIM-Metallarbeiter ausdrückte, "lieber mit der roten
Kontiki über den Ozean, als mit der grünen Titanic untergehen".
160 Delegierte vertraten auf dem Vereinigungsparteitag etwa 600 Aktivistinnen und Aktivisten. Diese
waren bundesweit in etwa 30 Ortsgruppen organisiert und überwiegend in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit engagiert. Weitere Schwerpunktfelder der politischen
Aktivität waren der Internationalismus und der Antifaschismus. Ein Großteil der etwa 30% Frauen engagierte sich zudem in der vor allem betrieblichen
Frauenpolitik.
Die Leitungsstrukturen der VSP (Zentralkomitee, Landesleitungen u.a.) wurden paritätisch besetzt.
Ex-GIMler und Ex-KPDler saßen genauso paritätisch zusammen wie Männer und Frauen. Die Geschlechterquotierung von Leitungen und Konferenzen
wurde statuarisch festgelegt.
Von den hohen Mitgliedsbeiträgen leistete sich die kleine Organisation einen Hauptamtlichenstab
von immerhin sechs Menschen. Deren Hauptaufgabe war die Herausgabe und Redaktion der neuen, zuerst zwölf- und später sechzehnseitigen,
zweiwöchentlich erscheinenden SoZ Sozialistische Zeitung. Die SoZ begann mit einer Druckauflage von 2500 Stück. Ihre vorherrschenden Themen
waren der Bereich der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, der Internationalismus und der Antifaschismus. Stärker auch als viele andere linke Kleinstgruppen widmete
sich die SoZ der innenpolitischen Berichterstattung. Eine Umfrage in der Leserschaft ergab 1987, dass der damalige durchschnittliche Leser der SoZ männlich
(Frauenanteil ca. ein Viertel), gebildet und zwischen 30 und 40 Jahren alt war. Er war Mitglied der IG Metall oder der ÖTV, war überwiegend Vertrauensmann
oder Betriebsrat. Schließlich war er Mitglied der VSP und wählte zumeist die Grünen. Selbstironisch betrachtete deswegen die SoZ-Redaktion ihre
Zeitung fortan als ein "Blatt der männlichen Arbeiteraristokratie". Da die Mehrheit der Befragten VSPlerInnen waren, haben wir es hier auch mit einer
Annäherung an die Struktur der VSP zu tun.
Betrachtet man die paritätischen Anfänge der VSP, so kann man sagen, dass die Vereinigung
gelungen war. Zwar waren die unterschiedlichen politischen Traditionen noch immer präsent und sollten es bis zum Schluss der VSP auch bleiben. Doch die
politischen Diskussionen und Aktivitäten der nächsten Jahre lassen sich kaum ernsthaft nach diesen Unterschieden sortieren. Trotzdem sollten sich die
großen Anfangshoffnungen nicht erfüllen. Die Vereinigung hatte keinerlei unmittelbaren Einfluss auf andere westdeutsche Linke, geschweige denn auf die
bundesrepublikanische Gesellschaft. Die linke Öffentlichkeit reagierte wenn dann eher überheblich, die linken Organisationen ebenso verhalten. Die
Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) lehnte ebenso wie der Kommunistische Bund (KB) jede Vereinigungsperspektive ab, während der letztere immerhin
gemeinsame Diskussionen anbot. Zur Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) gab es nur kurz Kontakte und bei den Demokratischen Sozialisten (DS) war
es nur ein kleiner Flügel, der ernsthaftes Interesse zeigte. Einzig der Bund westdeutscher Kommunisten (BWK) reagierte mit konkreten Vorschlägen auf die
Vereinigungsangebote. Zwei Jahre sollte sich der intensive Diskussionsprozess mit dem BWK hinziehen, bis er schließlich weitgehend erfolglos scheiterte.
Die Konsequenzen dieses eher enttäuschenden Beginns für die innerparteiliche Entwicklung
waren schleichend. Die mangelnde Wahrnehmung durch die linke Öffentlichkeit führte zu einem nur sehr vereinzelten zudem von vielen VSPlern
ungläubig bis kritisch beäugten Interesse neuer Sympathisierender an der VSP. Und viele Alt-Genossinnen und -Genossen verloren schnell ihre
Hoffnung, dass die Vereinigung zu einem linken Aufbruch führen könnte. Schon bald nach der Vereinigung kam zu vermehrten Austritten auch führender
AktivistInnen. Man blieb also weitgehend unter sich in den ersten beiden Jahren der VSP-Existenz, gab die SoZ heraus und erarbeitete weitere programmatische
Dokumente, um die inhaltlichen Lücken des Vereinigungsprozesses zu füllen.
Der Auszehrungsprozess der frühen VSP war unverkennbar, als man sich im November 1987 zur
ersten ordentlichen Zentralen Delegiertenkonferenz (ZDK) in Wuppertal traf. 117 Delegierte vertraten nur mehr 500 Mitglieder. Die Quotierungsforderung wurde nicht
erfüllt. Auch sonst herrschte Selbstkritik vor. Man räumte die mangelnde Zentralisierung der Organisation und die Entscheidungsschwäche der
Leitungsorgane ein und beklagte die schwache Außentätigkeit und zu geringfügige Auseinandersetzung mit anderen politischen Kräften des Anti-
Wende-Lagers. Man stellte fest, dass die Tarifbewegungen des letzten Jahres keinen Fortschritt an der Klassenkampffront gebracht hatten. Die Stahlarbeiterkämpfe
um Rheinhausen und Hattingen trafen zwar auf viel Sympathie in der breiten Bevölkerung, wurden jedoch als letztlich lokal bleibende Defensivkämpfe ohne
jede offensive Perspektive angesehen. Die Betriebs- und Gewerkschaftsaktivisten der VSP mischten zwar ordentlich mit beim "Aufruhr an der Ruhr",
engagierten sich individuell vor Ort, agitierten für die Vergesellschaftung der Stahlindustrie, sammelten Spenden für die Streikenden, verteilten SoZ und
Flugblätter. Trotzdem hinterließ das überwiegend individuelle Engagement Fragen. Die VSP vermochte es kaum, als bundesweite Gesamtpartei wirklich
eigenständig einzugreifen. Die Leitungsorgane, so beklagten sich viele auf der ersten ZDK, seien vor allem mit der Herausgabe der SoZ beschäftigt, die VSP sei
mittels Zeitung und Flugblätter kaum mehr als eine ideologische Kraft. Die einzelnen Mitglieder griffen nur vereinzelt und lokal ein in jenen Bewegungen, in
denen sie sich sowieso tummelten. Viele seien gänzlich passiv. Entsprechend kritisierten Einzelne die "Führungsschwäche" der Partei und
klagten demokratisch-zentralistische Arbeitsformen ein.
Trotzdem überwog noch immer das Prinzip Hoffnung. Die anwesenden Delegierten diskutierten und
verabschiedeten eine ganze Reihe von Resolutionen und mussten gar einen zweiten Teil der ZDK in den Frühjahr 1988 verschieben.
Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Erarbeitung einer Plattform der VSP zum Kampf gegen
Frauenunterdrückung. Ausführlicher als im Parteiprogramm wurde hier nochmals begründet, warum die VSP als eine dem "traditionellen
Lager" angehörende Organisation die autonome Frauenbewegung für eine historische Errungenschaft hielt. Höhere Schulbildung und berufliche
Qualifikation hätten es zwar einem Teil der Frauen im Spätkapitalismus erlaubt, unabhängiger zu werden, doch die Mehrzahl der Weltfrauen sei noch
immer ökonomisch abhängig von den Männern. Es sei die gesellschaftliche Funktion der Frauen, für eine weitgehend reibungslose Reproduktion
all dessen zu sorgen, was der Kapitalismus auf die Individuen abwälze. Hinzu komme, dass die patriarchalische Familie die Klassenteilung der Gesellschaft verewige
und von einer zur anderen Generation vermittle. Forderungen nach weiblicher Selbstbestimmung stünden deshalb im Widerspruch zur herrschenden Gesellschaft.
"Deshalb nimmt der Frauenbefreiungskampf unter der Losung ‚Für ein selbstbestimmtes Leben einen zentralen Stellenwert bei der Umwälzung
der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft ein." Wirklich umfassende Forderungen zur Frauenbefreiung könnten zwar "erst im Verlauf der sozialistischen
Umgestaltung der Gesellschaft durchgesetzt werden", doch die bisherigen Erfahrungen mit solchen Revolutionsversuchen zeigten, "dass die Umwälzung
der gesellschaftlichen Verhältnisse in Produktion und Reproduktion allein noch keine Garantie dafür bietet, dass die Forderungen der Frauen umfassend und
fortschreitend verwirklicht werden". So wie die autonome Frauenbewegung den Frauen in der gleichfalls patriarchalischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung den
Rücken gestärkt hätte, so müsse ihre Autonomie auch in postrevolutionärer Zeit gesichert sein. Besondere Bedeutung komme den
Kämpfen der Frauen in der organisierten Arbeiterbewegung und am Arbeitsplatz zu, da sich in ihnen die gegenseitige Abhängigkeit und der beiderseitige
Einfluss von Frauen- und Arbeiterbewegung widerspiegele. Einerseits geht es dabei um politische Gleichstellung (eigene Strukturen, Quotierung, rechtliche Gleichstellungen
von Ausländerinnen, freie Verhütungs- und Abtreibungsmöglichkeiten, Abschaffung der bevorzugten Förderung von Ehe und Familie etc.).
Andererseits setze die Selbstbestimmung von Frauen unabhängige materielle Existenzsicherungen voraus (Recht auf existenzsichernde und menschenwürdige
Erwerbsarbeit, keine Lohndiskriminierung usw.). Die "schwierigste, aber die entscheidende Frage" werde sein, ob es gelinge, die Geschlechterspaltung innerhalb
der ArbeiterInnenklasse aufzuheben und gegen das kapitalistische Patriarchat zu wenden.
In einer Resolution zum Kampf gegen Erwerbslosigkeit wandte sich die VSP erneut gegen jegliches Gerede
von Solidarpakten. Die Überwindung der Erwerbslosigkeit sei nur bei Überwindung ihrer marktwirtschaftlichen Grundlagen möglich. Der Kampf gegen
die ständige Verschärfung der Ausbeutung und der Kampf für gesellschaftliche nützliche Produktion erfordern, so die Resolution,
"Rücksichtslosigkeit gegenüber dem kapitalistischen Profitinteresse", die Verteidigung des Normalarbeitsverhältnisses, eine radikale
Arbeitszeitverkürzung, sowie Verstaatlichung und Vergesellschaftung als Kampfperspektive.
Und in der Resolution zum antifaschistischen Kampf analysiert die VSP die damals deutliche
Umgruppierung auf der extremen Rechten. Nationalismus und Rassismus werden als eigenständige Bewegungen begriffen. Doch die Klassenkonfrontation von oben
brauche eben dieselben als ideologische Hilfstruppen. Trotzdem forderte man nicht nur gemeinsame antifaschistische Bündnisse und Foren aller antifaschistischen
Kräfte, sondern auch die Auflösung und das Verbot aller faschistischen Organisationen und Publikationen nach Art.139 GG, sowie die soziale und rechtliche
Gleichstellung aller Immigranten.
Bei den Aufgaben des antiimperialistischen Kampfes in der BRD ging man schließlich davon aus,
dass entgegen des Geredes vom freien Markt noch immer Finanzkapital, Monopole und Großkonzerne herrschen, und die Metropolenländer noch immer die
Länder der Peripherie ausbeuten und plündern. Die Hauptstoßrichtung der Internationalismusarbeit solle gegen den BRD-Imperialismus gerichtet, das
Hauptaugenmerk auf die Entwicklungen in der Türkei, in Südafrika und Nicaragua gelegt werden. Vor allem die für 1988 geplante bundesweite
Kampagne gegen IWF und Weltbank sei für eine breite linke Aktivität geeignet.
Aufbrüche und Blockaden
Damit erwies sich die VSP auf der Höhe der linken Zeit. Gerade die internationalistische Szene begann sich 1987 als Bewegung für die Streichung der
Schulden der Dritten Welt zu reaktivieren. Der linksalternative Gegenkongress gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Westberlin im Herbst 1988 wurde zum Höhepunkt
von Massendemonstrationen und publizistischen Offensiven der vielfältigsten Art. Parallel dazu entfaltete sich eine neue und überwiegend junge
antifaschistische Szene, die den Kampf gegen den neonazistischen Aufstieg nicht nur genauestens beobachtete, sondern auch handfest zu bekämpfen versuchte. Eine
übergreifende Klammer bekamen diese vielfältigen Graswurzelbewegungen durch die sogenannte Gorbi-Euphorie im Westen. Der neue sowjetische
Generalsekretär Michail Gorbatschow forcierte zu Beginn des Jahres 1987 den vermeintlichen Erneuerungsprozess des östlichen "Sozialismus" mit
seiner Proklamation: "Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zum Atmen." Der Reformkommunist weckte alte linke Hoffnungen auf einen demokratischen
Sozialismus und beflügelte eine Renaissance linken Gedankengutes nicht nur, aber vor allem auch in Westdeutschland. Als schließlich auch noch die
Grünen mit der Wahl Thomas Ebermanns zum Sprecher der Bundestagsfraktion einen Linksruck zu vermelden hatten, war kein Halten mehr. Die einflussreiche
Monatszeitschrift Konkret titelte mit den Konterfeis des Trios Lenin, Gorbatschow und Ebermann und ihr Herausgeber Hermann L. Gremliza kommentierte, jetzt
"bekommt revolutionäre Theorie endlich wieder Luft".
Erstmals bekam nun auch die VSP spürbaren Zulauf von jüngeren Aktivistinnen und
Aktivisten, vor allem aus dem Antifabereich und dem universitären Milieu. VSPlerInnen machten sich nicht nur in der Internationalismusdebatte stark, sie griffen
auch in die Debatte um die Sowjetunion ein und lehnten sich an die feministische PorNo-Kampagne an. Seit 1988 kam es auch zu einer Expansion des SoZ-Outputs.
Während die sogenannten Ortskontingente jede VSP-Ortsgruppe nahm eine teilweise erhebliche Zahl an SoZ-Exemplaren ab, um sie vor Ort, bei
Veranstaltungen und Demonstrationen zu verkaufen aufgrund der schleichenden Organisationskrise zurückgegangen waren, nahmen die Einzelabonnements
spürbar zu. Die SoZ-Redaktion erweiterte sich personell und öffnete ihre Spalten zunehmend auch Linken jenseits der VSP. Die SoZ bekam mit 20 Seiten mehr
Umfang, neue feste Rubriken wie die Frauenseite und die Ökologieseite und ab 1990 rote Farbe auf den Titel. Als regelmäßige Beilage
gab es nun auch die vierseitige SoZ-aktuell, eine Art Massenzeitung, die der SoZ zwar auch beilag, vor allem jedoch in Auflagen von 15000 bis 25000 Stück umsonst
verteilt wurde. Noch höhere Auflagen erreichte die jährlich zum 1.Mai erscheinende Blind.
Die neue gesellschaftliche Situation wirkte sich widersprüchlich auf die VSP aus. Während
sich ihre organisationspolitische Offenheit neuen Bewegungen und neuen Möglichkeiten linker Einheit und Politik gegenüber deutlich positiv auswirkte,
verhärteten sich die innerparteilichen Blockaden.
Das Aufbrechen nicht nur der osteuropäischen Verhältnisse, sondern auch die Risse in der
ehemals monolithischen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) machte gerade jene Stalinismusdiskussion aktuell und notwendig, die die VSP seit ihrer Vereinigung zu
vermeiden suchte, da sie an die Grundfesten der alten Strömungen rührte. Und während viele Ex-GIMler den Gorbatschowschen Reformkurs aus
trotzkistischer Sicht zu kritisieren begannen, reagierten die KPDler darauf mit teilweise heftigen Vorbehalten. Auf den Leserbriefseiten der SoZ tobte sich der ideologische
Kampf zwischen "Dschugaschwillis" und "Bronsteins" ungehemmt aus. Während die einen ungeduldig "die Partei aufbauen"
wollten, witterten die anderen trotzkistischen "Revisionismus". Sahen die einen den "Reformismus" auf dem Vormarsch, sahen die anderen neue
weltrevolutionäre Möglichkeiten.
Organisatorischen Ausdruck fand diese Diskussion auf einem außerordentlichen Kongress im
Oktober 1988. Die ehemaligen GIMlerInnen hatten mit Gründung der VSP ihren Anspruch einer Organisationsmitgliedschaft in der IV.Internationale aufgegeben. Es
gab nur noch individuelle Mitgliedschaft mit der Maßgabe, einige Zeit nach der Vereinigung eine neue Diskussion über organisierten Internationalismus und die
Stellung zur IV.Internationale zu führen. Die nun anberaumte Konferenz zur internationalen Organisierung brachte zwar eine umfangreiche Konkretisierung dieses
Internationalismus, aber wegen der durch die starken maoistischen Vorbehalte bedingten Spaltungsgefahr keine forcierte Annäherung an die IV.Internationale, was zu
einer vertieften Enttäuschung vieler Trotzkisten beitrug.
Währenddessen pflanzte sich der gesellschaftliche Aufbruch fort. Im Wintersemester 88/89 brach an
den westdeutschen Universitäten der studentische "Un(i)mut" aus. In der DKP bildete sich ein einflussreicher Reform-Flügel heraus und schrieb
sich die "Erneuerung der Politik" auf seine Fahnen. Der allseits bekannte und sich jenseits der Strömungen positionierende DKP-Intellektuelle Georg
Fülberth rief im Januar 1989 auf einem Kongress des KB zur Bildung eines strömungsübergreifenden Blocks der Linken auf und fand aufmerksame
Zuhörer. Vor allem der anwesende Ex-KBler Thomas Ebermann witterte hierin eine Möglichkeit, seine unter Druck geratenen linken Grünen von
außerhalb der Partei zu stützen. Im Frühjahr 1989 kam es schließlich zu ersten gemeinsamen Treffen der Radikalen Linken. Man solidarisierte sich
nun auch mit dem neuen Hungerstreik der RAF-Gefangenen, fühlte sich beflügelt durch das Aufkommen unabhängiger Massenbewegungen in der
UdSSR und verurteilte die blutige Niederschlagung des Pekinger Frühlings.
Der allgemeine linke Aufbruch war nicht mehr zu übersehen. Und die VSP war fast überall
dabei. Zur selben Zeit erarbeitete sie eine umfangreiche, die Ausmaße selbst ihres Programms übersteigende Resolution Ohne Arbeiterklasse keine
"andere Zukunft", die sie im April 1989 verabschiedete. In diesem reichhaltigen und noch heute bemerkenswert aktuellen Grundlagentext beschreibt und
analysiert sie den neokonservativen Umbau des krisengeschüttelten Sozialstaats als nachhaltige, aber nicht grundsätzliche Veränderung des Gesichts des
Kapitalismus. So wie der Zwang zur Lohnarbeit durch die neuen Technologien nicht aufgehoben werde, so ändere die aufziehende Informationsgesellschaft auch
nichts an den grundlegenden Klassenverhältnissen und der kapitalistischen Logik. Entsprechend seien auch die notwendigen neuen gesellschaftlichen Utopien
gehalten, sich an der alten Utopie der Arbeiterbewegung, der sozialistischen Gesellschaft, zu orientieren. Gegen Erwerbslosigkeit und Flexibilisierung setze man ein neues
Normalarbeitsverhältnis, das auch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern neu regele. Gegen Sozialpartnerschaft, Rassismus und das Europa der Konzerne
fordere man die Einheit der ArbeiterInnenklasse, die Demokratisierung der Gewerkschaftsbewegung und den Sturz der bürgerlichen Gesellschaft. "Auch wenn
die Arbeiterklasse in der Bundesrepublik bisher nicht besonders zur allgemeinen Erhebung gegen die herrschenden Verhältnisse neigte, so findet die
Auseinandersetzung um ihre Interessen heute in den Betrieben und Büros täglich statt. Der Widerstand, der in vielfältiger Form zum Alltag gehört,
ist weder in der Linken und schon gar nicht in der Gewerkschaftsbewegung Gegenstand der Betrachtung."
Doch auch die intensive Selbstverständigungsarbeit an dieser Resolution vermochte es nicht, die
innerparteilichen Gräben zuzuschütten. Jene genossenschaftliche, solidarische Diskussionskultur, die zu einem organisatorischen und programmatischen
Aufschwung der VSP nötig gewesen wäre, fehlte bereits weitgehend. Sie vermochte es auch nicht, die heiklen Bereiche der eigenen Identität, v.a. das
Verhältnis zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Nominalsozialismus, auf produktive Weise aufzuarbeiten. Das Ausbrechen traditioneller Vorbehalte aus der
Zeit von vor der Vereinigung führte nicht nur zum Verlust jedes organisatorischen Selbstvertrauens, sondern auch zu unterschiedlichen Politikformen. Während
die einen meinten, die Propagierung des richtigen Programms ihres alten würde ausreichen, um den Durchbruch zu schaffen, stellten die anderen
immer mehr auch ihre eigene Tradition in Frage. Die zumeist jungen Neumitglieder konnten dem nichts entgegensetzen und die politische Führung versuchte v.a. im
defensiven Sinne, den Laden irgendwie zusammen zu halten. Die Teilnahme an Leitungssitzungen ließ nach und die Rückkoppelung von örtlicher Basis
und zentraler Leitung war "absolut unzureichend" wie es in dem rückblickenden Rechenschaftsbericht der politischen Leitung von 1990 zu lesen ist.
Einerseits wollten die Mitglieder nicht von oben "geleitet" werden, andererseits hatten sie auch weiterhin Ansprüche an ihre Leitungsstrukturen, und zwar
recht unterschiedliche. "Eines der Hauptprobleme in der VSP", so der Bericht, "besteht (nach wie vor) darin, dass es uns bisher nicht gelungen ist, Formen
der gemeinsamen, die gesamte VSP einbeziehende inhaltlichen Diskussionen, Analysen, Schulungen u.a. zu entwickeln."
Ende 1989 ließ die VSP schließlich die zweijährigen Vereinigungsverhandlungen mit
dem Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) scheitern. Auf dem Papier war man sich zwar sehr nahe gekommen gemeinsame programmatische Grundlagentexte
lagen bereits vor -, doch in der praktischen Politik, v.a. in der Haltung zur Frauenbewegung und zum demokratischen Widerstand gegen die Politgerontokratie im Osten,
waren die Unterschiede zu groß.
Dies war die schwierige Gemengelage, als der Kollaps der ostdeutschen Parteidiktatur die westdeutsche
Linke vor Probleme stellte, die sie offensichtlich nicht bewältigen konnte. Während die Radikale Linke im Oktober 1989 ihr politisches Manifest gegen die
vermeintliche rosa-grüne Besoffenheit veröffentlichte und 2500 Menschen am Kongress der DKP-Erneuerer teilnahmen, brach in Leipzig und Berlin eine
deutsche Revolution aus, die die Koordinaten nicht nur der nationalen Politik nachhaltig verändern sollte.
Revolution und Konterrevolution
Die VSP begrüßte den Zusammenbruch des Ostberliner Regimes, stand dem Erneuerungsprozess der SED-PDS allerdings skeptisch gegenüber
und fand schnell in der Vereinigten Linken (VL) den ihr passenden Ansprechpartner im Osten. Mit einer gehörigen Portion distanzierter Vorsicht vor dem jeweils
anderen kam man ins politische Gespräch und hoffte auf einen weitergehenden revolutionären Prozess. Man war gegen den Anschluss der DDR an die BRD
und geißelte aufs schärfste den um sich greifenden Nationalismus. Die Zusammenarbeit mit der VL ging immerhin soweit, dass die VSP deren Wahlkampf zu
Beginn des Jahres 1990 organisatorisch und publizistisch unterstützte. Die Enttäuschungen nach den Märzwahlen waren jedoch auf beiden Seiten tief
vor einer zeitweise diskutierten Vereinigung beider Organisationen schreckten sie nun erst recht zurück.
Das Jahr 1990 war in vielerlei Hinsicht ein Jahr des Übergangs. "Soviel Anfang war nie"
hieß es damals. Auf der anderen Seite waren die Zeichen der Niederlage spürbar. So bspw. in dem schnell vor sich gehenden Niedergang der ostdeutschen
radikalen Linken. Auch die westdeutsche radikale Linke sah bereits das Vierte Reich gekommen und stürzte sich mit dem entsprechenden Mut der Verzweiflung in
den ideologischen Kampf. Die einen setzten auf den um sich greifenden, eher losen Zusammenhang jener Radikalen Linken, die zum Organisatoren und ideologischen
Zentrum des "antideutschen" Kampfes wurde. Andere hofften auf eine ebenso gesamtdeutsche wie erneuerte Linke Liste-PDS. Doch auch die internationalen
Verhältnisse schlugen nun um. Autonome Streikbewegungen und das Aufkommen unabhängiger Massenbewegungen von unten führten in der UdSSR
zum Schulterschluss der Reformer um Gorbatschow mit den alten Apparatschiks, um dieser kaum zu kontrollierenden "Perestroika von unten" zu begegnen. Das
Ergebnis war die Reformstagnation der Jahre 1990/91, die 1991 zum schließlichen Zusammenbruch der UdSSR und damit des Ostblockes führen sollte. In
Nikaragua, lange Jahre der Kristallisationspunkt des westdeutschen Internationalismus, verloren die Sandinisten bereits Anfang 1990 die Macht.
Hin und her gerissen zwischen großen Hoffnungen und skeptischer Einsicht war auch die VSP. Ihre
generelle, die gesamte Öffentlichkeitsarbeit durchziehende Einschätzung der Lage brachte sie im Juni 1990 in einer Resolution "Imperialistischer
Anschluss und Aufgaben" zum Ausdruck. Die Entscheidung für eine schnelle Einverleibung der DDR sei mit dem 18.März gefallen und dieser Anschluss
stelle "den tiefgreifendsten Einschnitt der Nachkriegsgeschichte Europas und der beiden deutschen Staaten dar". Am Ende dieses Prozesses stehe "ein
neues imperialistisches Großdeutschland, das in der Kontinuität des Deutschen Reiches steht". Die "politische und ökonomische
Machtübernahme der westdeutschen Bourgeoisie über das Gebiet der DDR" sei jedoch kein isoliertes Ereignis, sondern stehe im Zusammenhang mit dem
wesentlich selbstverschuldeten Zusammenbruch der osteuropäischen Regime. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die jahrzehntelange
Unterdrückung jeder selbständigen Regung der Menschen nicht nur ein wesentliches Element für die bürokratische Misswirtschaft war, sondern
auch systematisch verhindert hat, dass sich in der Bevölkerung sozialistisches Bewusstsein weiter entfaltet. Sozialistisches Bewusstsein ist nicht zu erringen, wenn
keine Massendemokratie praktiziert, Solidarität und kollektives Handeln nicht gelebt, Ansprüche und Bedürfnisse nicht in eine solidarische
gesellschaftliche Zieldiskussion eingebracht werden können." Die demokratische Opposition gegen das SED-Regime sei jedoch, so argumentierte sie gegen
bestimmte Linke, kein historischer Rückschritt, sondern ein deutlicher Fortschritt, "unabhängig davon, dass ein großer Teil der demokratischen
Bewegung sich später unter dem Druck der Massenstimmung und unter dem Druck sozialer Erpressung aus der BRD nach rechts entwickelt hat". Weder sei ein
Zurück zu den alten Verhältnissen wünschenswert, noch habe der Erneuerungsversuch der SED eine glaubwürdige Alternative zum Kapitalismus
hervorgebracht.
Die Kosten des Anschlusses, so die gemeinsame Einschätzung, sollen die Bevölkerungen der
DDR und der BRD tragen. Soziale Errungenschaften würden zuerst im Osten und dann, in einem Angleichungsprozess nach unten, auch im Westen abgebaut. Das
Lebenshaltungsniveau in der DDR werde "auf Dauer unter dem in der jetzigen BRD liegen", die DDR "auf lange Zeit in Großdeutschland das
Armenhaus bleiben". Die Anschlussverlierer seien einmal mehr v.a. die Ausländer und die Frauen. "Vor allem aber wird die amtlich geschürte
Ausländerfeindlichkeit zunehmen … Viel stärker als bisher laufen die AusländerInnen Gefahr, zu Sündenböcken abgestempelt zu
werden." Dass sich die westdeutschen Gewerkschaften zu willfährigen Gehilfen dieses Anschlusses machten, wird besonders kritisiert.
Das imperialistische Anschlussprojekt mache Deutschland nicht nur zur absolut dominierenden Macht im
europäischen Block, es erfordere, so die Resolution weiter, auch "eine erhebliche Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses
zwischen Lohnarbeit und Kapital zugunsten des letzteren". Um das imperialistische Großdeutschland zu bekämpfen, sei man solange für die
Eigenstaatlichkeit der DDR, solange es sie gebe und plädiere für eine breite Entmilitarisierung des neuen Deutschland, für ein "Deutschland ohne
Soldaten und Spitzel", für den Abzug aller ausländischen Truppen, die Auflösung von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee sowie der
Geheimdienste und politischen Polizei. Vor allem gelte es, breiten Widerstand gegen die deutsche Mitgliedschaft in der NATO zu organisieren, da dies das wesentlichste
Ziel (nicht nur) der westdeutschen Bourgeoisie sei. Und um die nachhaltige Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnis zu verhindern, wolle
man sich "zum entschiedensten Anwalt der Hoffnungen der Menschen der DDR auf eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen (machen), wie sie von Kohl und
Kapital geschürt worden sind; wir werden sie hier einklagen und wollen so mit dazu beitragen, die absehbare Enttäuschung gegen den richtigen Gegner zu
richten". So sehr man sich also auch zum erklärten Gegner der deutschen Einheit mache, so sehr sei doch "eine reine Position der Ablehnung" (wie
die der meisten radikalen Linken) für einen langfristigen Kampf gegen das imperialistische Großdeutschland "nicht ausreichend". Deswegen sehe
man beim "Ansetzen an den sozialen Ängsten und Forderungen die einzige Chance, die Gegnerschaft gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse im
künftigen Großdeutschland auszuweiten und die Notwendigkeit einer umfassenden Alternative dazu breiter zu verankern. Neben den antinationalen und
antiimperialistischen Beweggründen, die uns veranlassen, das Projekt ‚Anschluss abzulehnen, spielt für uns deshalb die Frage der Kosten und wer sie
tragen soll, eine herausragende Rolle."
Schließlich verband die VSP die Kritik der radikalen Linken mit Selbstkritik: "Wenngleich wir
nicht zu denen gehörten, die die DDR als ein ‚sozialistisches Land bezeichneten, stellt diese Entwicklung auch uns vor große Probleme: Auch wir
können der Tatsache nicht entrinnen, dass das Projekt ‚Sozialismus erheblich an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat … Ohne theoretische und
programmatische Erneuerung wird die revolutionäre Bewegung in den Strudel des stalinistischen Untergangs mitgerissen werden. Sie wird theoretisch
unglaubwürdig sein, wenn sie Aufstieg und Fall, Erscheinung und vor allem Terrorsystem des Stalinismus, den Untergang des eigentlichen Sozialismus in dieser
Barbarei nicht aus den gesellschaftlichen Bedingungen erklären kann. Sie wird zu keiner ersehnten Alternative werden, wenn ihre Aussagen zur sozialistischen
Demokratie verschwommen oder gar zweideutig bleiben, wenn sie keine klaren Vorstellungen über das Funktionieren einer Gesellschaft im Übergang zum
Sozialismus entwickelt. Sie wird zu einer isolierten Sekte degenerieren, wenn sie nicht am Bewusstsein und den Interessen der Massen ansetzt, nicht eine Strategie und
Praxis entwickelt, die zu Kämpfen führt." Um eine solche Erneuerung zu leisten, wolle man seine eigenen theoretischen Schulungen und
programmatischen Diskussionen verstärken und sie bundesweit organisieren und koordinieren.
Der Spagat
Politisch-praktisch jedoch schwankte die VSP im Jahre 1990 zwischen den verschiedenen linken Tendenzen hin und her. Ein Teil der Organisation engagierte sich
stark bei der Radikalen Linken, ein Teil bei der Linken Liste/PDS, manche bei beiden und andere wollten sich auf den alleinigen Aufbau der VSP konzentrieren. Dass man
die eigenen Pläne für eine antimilitaristische Offensive nicht ernsthaft umzusetzen versuchte, zeigt jedoch, dass auch die VSP mehr zu den Getriebenen als zu
den Treibenden des Anschlussprozesses gehörte. Man versuchte den Spagat in einer immer unübersichtlicheren Zeit, die auf der einen Seite von einem sich
radikalisierenden Liberalkonservatismus und einer zunehmenden Selbstzerfleischung der Linken andererseits geprägt war. Die Radikale Linke zerfiel bis Ende 1990
weitgehend, die Hoffnungen auf eine Erneuerung der PDS erlitten mit dem Finanzskandal Ende des Jahres schwere Dämpfer die Westausdehnung scheiterte
im ersten Anlauf.
Die endgültige Wende kam zu Beginn des Jahres 1991, mit dem Kreuzzug des Westens gegen
Saddam Hussein im Zweiten Golfkrieg. Die durch 1989 im allgemeinen und die Entstehung des neuen Deutschland im besonderen entstandene Krise organisierter linker
Politik brach offen hervor. Quer zu den noch existierenden Strömungen bekämpften sich "Pazifisten" und "Bellizisten" erbittert. Nur
wenige gesellten sich zu der spontan entstandenen Schülerbewegung gegen den Krieg, namhafte Ideologen engagierten sich dagegen aufgrund der spezifisch deutschen
Verantwortung für den israelischen Staat für das vermeintlich kleinere Kriegs-Übel, die westlichen Alliierten. Gerechtfertigt wurde diese Komplizenschaft
mit dem Imperialismus mit der mangelnden linken Alternative. Ignoriert wurde dabei allerdings die Tatsache, dass mit einer solchen Haltung jeder Versuch, eine solche
alternative Bewegung aufzubauen, geradezu torpediert wurde. So wurde der Golfkrieg zum Wendepunkt der Linken in Deutschland.
Die VSP engagierte sich personell und publizistisch stark in der Antikriegsbewegung, trug wesentlich zu
einem letzten Aufbäumen der übrig gebliebenen Radikalen Linken bei und brachte mehrere Flugschriften gegen den Krieg heraus. Sie wandte sich "gegen
jedwede imperialistische Einmischung … und gegen jedwede Anmaßung, den Schiedsrichter zwischen den Völkern zu spielen". Man erneuerte nicht nur
das antimilitaristische Credo und lehnte jede Form von Bundeswehreinsätzen ab. Auch UNO-Friedenstruppen wurden abgelehnt, da die UNO keinen Zusammenhang
darstelle, "in dem die Völker selbst frei ihr Zusammenleben regeln. Darüber hinaus hat der Golfkrieg einen erneuten Beweis dafür geliefert, dass es
die imperialistischen Interessen sind, die unter dem Deckmantel der UNO betrieben werden", hieß es in einer Resolution nach dem Ende des Golfkriegs.
Mitte 1991 zog die VSP schließlich eine umfassende Bilanz der letzten Jahre. In einem Papier zur
Bilanz und Perspektiven der Linken und der VSP versuchte sie, sich jener "historischen Zäsur" zu nähern, dessen "Dreh- und
Angelpunkt" der Zusammenbruch und die völlige Diskreditierung der sozialistischen Bewegung sei. Auch man selber habe die ehemals realsozialistischen
Verhältnisse nur unzureichend analysiert, doch das typische Phänomen des "Überraschtwerdens durch den Sturz der Bürokratien bei
gleichzeitigem prokapitalistischem ‚mainstream in der Gesellschaft" teile man mit allen Strömungen der Linken. Nun stehe man vor zwei elementaren
Gefahren: "Einerseits der Weg ins Sektierertum: die Degenerierung zu einer Gruppe von Aufrechten, die eine sozialistische Heilslehre verkünden, die mit
keiner Wirklichkeit mehr in Verbindung steht. Andererseits die Anpassung an die bürgerliche Wirklichkeit und die Beschränkung linker Politik auf ein
Reformprogramm, in welchem die notwendige gesamtgesellschaftliche Perspektive keinen Platz mehr hat. Diese Gefahren zu nennen, heißt noch nicht, sie zu meiden,
sondern lediglich festzustellen, dass wir uns auf einer Gratwanderung befinden und dass wir uns dessen bewusst sind."
Erneut gestand man sich mangelnde programmatische Arbeit ein, hielt aber explizit fest an der prinzipiellen
Orientierung auf die Arbeiterklasse. "Hier konstatieren wir umgekehrt vom postmodernen Trend, dass wir unseren Anspruch nur unzureichend einlösten, uns auf
die arbeitende Klasse zu orientieren, dass wir bei den neuen Diskussionen, die in den Gewerkschaften geführt werden, nur Zaungast sind."
Selbstkritisch bilanzierte man nun, dass die ursprüngliche Vereinigungsperspektive der VSP auf
einer verengten Sichtweise beruht habe, dass heutige Formierungsprozesse auf der Linken breiter gefasst werden müssten. "Es stellt sich die Frage, ob wir eine
ausreichende Offenheit gegenüber anderen Strömungen, die sich ebenfalls für eine gesellschaftliche Emanzipation engagieren, gezeigt haben:
Strömungen, die als antiimperialistische, autonome, anarchistische, ökosozialistische, radikalfeministische und radikaldemokratische charakterisiert werden,
tauchten in unserer Einheitskonzeption nicht auf." Neue Möglichkeiten der Zusammenführung revolutionärer Kräfte sah man nun weniger
auf der bundesweiten Ebene, sondern mehr auf lokaler Ebene. Am Ziel einer organisierten politischen Linken hielt man jedoch auch weiterhin genauso prinzipiell fest, wie
an der eigenen Organisation: "Gerade weil wir für eine organisierte breite Einheit eintreten, müssen wir an unserer eigenen Organisierung solange
festhalten, bis diese in einer solchen breiteren Organisierung aufgehen kann … der Prozess der politischen Desintegration vieler Menschen würde sich ohne diesen
organisierten Zusammenhang beschleunigen."
Die damalige Linke Liste/PDS gehörte in den Augen der VSP nicht dem revolutionär-
sozialistischen Lager an. Wenn sich die VSP hier auch mit einem bilanzierenden Urteil zurückhielt, der Weg der PDS schien ihr doch bereits vorgezeichnet:
"Vieles spricht dafür, dass diese Entwicklung ihren vorläufigen Endpunkt finden wird in einer Art neu-eurokommunistischen oder reformistischen Partei
mit spezifischem Charakter aufgrund ihrer Genesis und ihrer besonderen Klientel in der Ex-DDR."
Man selbst wollte also auch weiterhin sozialistisch, feministisch und demokratisch sein. Von nun an wolle
man jedoch "eine Politik entwickeln, die von der Tatsache der Vereinigung von DDR und BRD ausgeht, sie als neue Realität anerkennt und sich mit der
dadurch entstandenen Situation offensiv auseinandersetzt". Gegen die drohende Entsolidarisierung im Zuge des neuen Ost-West-Gefälles, "die noch weit
über das hinausgeht, was bürgerliche Politik ohnehin in Krisenzeiten produziert" setze man eine "neue Solidarität" mit
Solidaritätskomponenten in den Tarifrunden, mit der Entwicklung eines Programms gesellschaftlich sinnvoller Investitionen beim Wohnungsbau, der Siedlungs- und
Stadtsanierung, sowie im Verkehrs- und Energiesektor, sowie dem Versuch einer Koordinierung der Gewerkschaftslinken in West und Ost.
Dass die Zeit des Übergangs vorbei war, das wurde seit 1991 zunehmend offensichtlich. Doch wohin
die Reise ging, war den Beteiligten noch nicht klar. Die "neue Weltordnung" zeichnete sich erst in Umrissen und Widersprüchen ab. Wenn die
Herausforderungen an die deutsche Linke auch immer drückender wurden, es schien, als ob ihnen die VSP besser begegnen könnte, als der größte
Teil der übrig gebliebenen radikalen Linken.
Die Spirale abwärts
Der nachhaltige und bisher kaum aufgearbeitete Zerfall linkssozialistischer Opposition im neuen Deutschland ist offensichtlich. Die linken Auseinandersetzungen
anlässlich des zweiten Golfkriegs markieren den Wendepunkt vom neuen Aufbruch Ende der 80er zu den neuen Spaltungen seit Beginn der 90er Jahre. Sind die Jahre
1992 und 1993 vom mörderischen Aufstieg eines rassistischen völkischen Nationalismus begleitet, so reagierte die in die Ghettoecke getriebene Restlinke mit
einem aus Hilflosigkeit gespeisten Sektierertum, das für die zarten Pflanzen eines bürgerlich-humanistischen Aufstandes gegen den neuen Rassismus, die sog.
Lichterketten, nicht mehr als zynischen Spott übrig hatte.
Während sich die SPD in der Instrumentalisierung dieser Mord- und Pogromwelle den regierenden
Konservativ-Liberalen gleichschaltete, streiften auch die Bündnisgrünen ihren Oppositionscharakter weitgehend ab und sahen die BRD auf dem Weg in die
sogenannte Zivilgesellschaft. Die letzten namhaften linken Grünen hatten sich abgespalten, doch die von ihnen neu gegründete Ökologische Linke zerfiel
schneller als sie entstand. Die westdeutsche Radikale Linke war genauso zerfallen und mehrfach gespalten wie der Kommunistische Bund (KB). Der sowjetische
"Kommunismus" war ebenso Geschichte wie alles, was sich im Osten Deutschlands links der PDS verortete. Die PDS hatte einen großen Teil der
westlinken Hoffnungen auf Öffnung und einen neuen sozialistischen Beginn enttäuscht und sich zunehmend auf die Verteidigung ihrer Ostidentität
zurückgezogen. Der vermeintlich antinationale Kampf gegen die Deutschtümelei war hegemonial und feierte wunderliche Blüten u.a. in der
Beschimpfung der politischen Friedensinitiative der RAF-Gefangenen vom Herbst 1992, die als linke Anbiederung an die völkisch-faschistoide Bevölkerung
und ihre Herrschenden bezeichnet wurde. Entsprechend unfähig erwiesen sich die meisten, den Charakter und die Bedeutung der bemerkenswerten Streikwelle im
Öffentlichen Dienst, bei Bahn und Post (Frühjahr 1992) zu registrieren. Die offensichtliche Mehrdimensionalität der gesellschaftlichen Krisensituation in
der ersten Hälfte der 90er Jahre wurde eindimensional verkannt, der politische Raum konsequent verschlossen.
Als offizielle Beerdigung dieser deutschen radikalen Linken kann der von der Zeitschrift Konkret
veranstaltete Kongress vom Frühjahr 1993 gelten. Ein letztes Mal kamen fast alle, die Rang und Namen hatten, unter der Überschrift "Was tun?"
zusammen. Doch die nachdenklichen Töne gingen ebenso unter wie die ernsthaften Versuche, neuen politischen Boden unter die eigenen Füße zu
bekommen. Die neue zynische Intelligenz feierte statt dessen lauthals ihren Abgesang an die Politik.
Die VSP hat sich vergleichsweise gut, zumindest recht anständig verhalten in diesen Jahren. Sie
beteiligte sich kaum an der linken Hatz auf den Feind in den eigenen Reihen, versuchte statt dessen den Spagat zwischen dem Opportunismus der Anpassung an die neuen
Verhältnisse und dem Sektierertum der zynischen "Antipolitik". Wo sich wie bei der Ökologischen Linken, der Streikbewegung von 1992
und der RAF-Initiative Bewegung auftat, versuchten VSP-Aktive, sich einzumischen und ihr programmatisches Selbstverständnis einzubringen. Doch
entziehen konnten sie sich dem bundesdeutschen Trend nicht auf Dauer. "Vereinigen statt spalten", das zentrale politische Selbstverständnistheorem der
VSP war nicht nur organisatorisch schon lange gescheitert, es wirkte geradezu grotesk unter den neuen Verhältnissen. Das Setzen auf die lohnarbeitende Klasse wirkte
im Angesicht der tiefen Krise der Gewerkschaftsbewegung und vor allem ihres linken Flügels, sowie im Kontext des linksradikalen Bruchs mit jeglichem Bezug auf
soziale Subjekte der Befreiung seitdem als Sehnsucht nach einem völkischen Nationalismus denunziert hoffnungslos anachronistisch. Die
programmatische und personale Substanz der VSP reichte zwar noch aus, dem herrschenden Trend für eine gewisse Zeit zu widerstehen, sie reichte aber nicht mehr
für eine programmatische und personelle Erneuerung, die den neuen Herausforderungen hätte entgegentreten und auf diesem Wege neue Leute gewinnen
können. Es kam zu einem rapide absinkenden Aktivitätsgrad der meisten VSP-Ortsgruppen, zum Austritt vieler Mitglieder und zur zunehmenden Frustration
der verbliebenen. Es begann der bekannte Kreislauf: Je mehr Menschen die Organisation verlassen, desto mehr gewinnen die übriggebliebenen Individuen mit ihren
persönlichen Stärken und vor allem ihren Schwächen an Bedeutung. Verstärkt wird dies durch den Druck der vorherrschenden regressiven
politischen Verhältnisse, die gleichermaßen Opportunismus und Revisionismus wie Sektierertum und Zentrismus befördern. Der Wille zur gemeinsamen
Diskussion nimmt ab, die alten Fronten und Animositäten verhärten sich, die Verantwortung wird bei dem/der jeweils anderen gesucht. Eine Spirale, die sich
langsam abwärts entwickelt.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1991 setzte die VSP einige Hoffnungen auf die Gründung der
Ökologischen Linken, deren Vertreter auf der Sommerkonferenz der VSP sogar eine tragende Rolle gespielt hatten. Doch als deren Gründungskonferenz mit
internen Zerwürfnissen endete, konstruierte die politische Führung um Jutta Ditfurth und Manfred Zieran in altstalinistischer Manier eine hanebüchene
Verschwörungstheorie, in deren Mittelpunkt die angeblichen Trotzkisten der VSP stünden.
Der Versuch, mittels eines rein weiblich besetzten Zentralkomitees die VSP nach innen zu stabilisieren,
brachte 1991/92 nicht den gewünschten Schwung und die erhoffte neue Tiefe. Und auch der daran anschließende Versuch, mittels einer Strukturkommission zu
einer "Heuristik der lebendigen Kräfte" zu gelangen, verlief weitgehend im Sande. Das auf der Zentralen Delegiertenkonferenz im Juni 1993 in Bochum
nur mit größter Mühe gebildete neue Leitungsgremium bestand aus überwiegend jungen Genossinnen und Genossen. Während die
überwiegend aus alten GIMlern bestehende VSP-Minderheit ihre Organisation bereits abgeschrieben hatte, kam die Diskussion um ein neues politisches Programm
über die allgemeine Akzeptanz von Gliederungspunkten nicht mehr hinaus. Der alte, in linken Organisationen selbstverständliche Anspruch "in
umfassender Weise aus heutiger Sicht Zusammenhänge zu erklären, wurde kritisiert, bis hin zur Feststellung, der dahinter stehende universelle Anspruch als
solcher sei falsch", berichtete die SoZ anschließend. Der revolutionäre Charakter des Proletariats wurde nun auch offen von einigen Mitgliedern in Frage
gestellt. Und bei der politischen Diskussion um den neuen deutschen Rassismus verlangten andere, den eigenen Rassismus in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen
bis hin zu der Forderung, die eigenen Organisationsstrukturen der Immigrantenbewegung zur Verfügung zu stellen.
Diese postmoderne Wende zumindest einer gewichtigen Minderheit der nun keine 300 Mitglieder mehr
zählenden VSP nahm nach der Konferenz noch deutlich zu. Vor allem ehemalige KPDler begannen, die traditionellen Strukturen und Ideen sozialistischer Politik und
Organisation (u.a. als patriarchalische) grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Zerfallsprozess des VSP-Maoismus holte Prozesse nach, die andere Teile der
westdeutschen ML-Bewegung bereits hinter sich hatten. Waren es vor allem die exmaoistischen Kader, die in der Geschichte der VSP eine treibende Kraft der politischen
Innovation spielten, so kippte dieser Avantgardismus nun in zunehmenden politischen Nihilismus um und fand bei den jüngeren, den in den 80er Jahren politisierten
GenossInnen einen aufnahmebereiten Resonanzboden. Mit viel Energie bspw. diskutierte man vermeintlich antisemitische Äußerungen in der SoZ. Und aus
Gründen der political correctness wurde die jährlich zum 1.Mai erscheinende und über die Grenzen der Linken bekannte VSP-Massenzeitung Blind in
Blech umgetauft.
Ein erster Teil der VSP-Minderheitsfraktion hatte sich bereits 1992 abgespalten. Der Rest dieser
ehemaligen "Plattform für Erneuerung" trat 1994 aus und suchte zusammen mit den zuvor Gegangenen im Revolutionär-Sozialistischen Bund
(RSB) ihre Ruhe vor einer Entwicklung, mit der sie politisch nie richtig umzugehen verstand. Damit konnte der für die VSP-Identität so zentrale
Vereinigungsanspruch noch nicht einmal mehr intern aufrecht erhalten werden. Andererseits verdeutlichte sich gerade beim RSB, dass die Preisgabe des VSP-
Selbstverständnisses und die Reaktivierung längst vergangener Organisationsvorstellungen noch schneller ins politische Abseits führen musste.
Renovierungsversuche und Ende
Gaben sich die übrig gebliebenen Mitglieder, nach der Abspaltung weniger als 200, der Hoffnung hin, dass das Ende der innerparteilichen Opposition neue
Energien freisetzen könnte, so erwies sich auch dies mit der Zeit als falsch. Das bundesweite Organisationsleben verfiel immer mehr, ebenso die Leitungsstrukturen.
Stattdessen nahm die Bedeutung der weniger verbindlichen VSP-Ortsgruppen-Konferenzen zu. Mitte 1994 wurde die Parteisatzung von altem, vermeintlich sektiererischem
Ballast entschlackt (das ZK hieß nun Leitung, die ZDK Bundeskonferenz, die ZK-Abteilungen Arbeitsgruppen etc.) und eine neue Selbstverständnisdebatte
beschlossen, in der nicht mehr nur der gemeinsame Minimalkonsens, sondern auch die internen Unterschiede aufgezeigt werden sollten.
Hatte sich die SoZ-Redaktion bereits Ende 1992 ein Redaktionsstatut gegeben, um ihre Arbeit transparenter
und demokratischer zu gestalten, so begann man ab Ende 1993, eine mögliche Erweiterung der Herausgeberschaft über die VSP hinaus zu diskutieren. Generell
wurde die SoZ professioneller gestaltet und auch personell breiter getragen. Doch die Identifikation der SoZ mit der VSP ließ zunehmend nach und die Auflage
begann langsam, aber deutlich auf 1750 Exemplare Ende 1994 zu sinken. Die Auflage der vierseitigen Massenzeitung SoZ-aktuell sank dramatisch auf durchschnittlich nur
noch 10000 Stück, wurde vom monatlichen Rhythmus auf vierteljährliches Erscheinen umgestellt und entsprechend in SoZ extra umbenannt. Als neue Beilage
der SoZ erschien seit Ende 1994 die SoZ Bibliothek, in der umfangreiche Diskussionsbeiträge aus der internationalen Linken veröffentlicht wurden. Alle
Versuche jedoch, zumindest mit der SoZ in eine neue politische Offensive zu gelangen, scheiterten.
Die oben beschriebene Abwärtsspirale brach sich nun weitgehend ungehemmt Bahn. Die einzelnen
Mitglieder machten auch dort, wo sie Leitungsfunktionen inne hatten fast nur noch "ihr Ding", die Gruppenkollektivität zerfiel
zunehmend. Man koexistierte friedlich, scheute allerdings jede ernsthafte Aufarbeitung der eigenen Geschichte und Fehler und fand immer weniger Kraft und Lust, selbst
interne Rundbriefe, Materialien und Protokolle zu verfassen, sowie programmatische Erklärungen zu erarbeiten. Im Bundestagswahlkampf 1994 einigte man sich noch
auf einen gemeinsamen Wahlaufruf für die PDS. An der beschlossenen Selbstverständnisdiskussion beteiligten sich jedoch nur noch wenige und dies in einem
Ton, der jede grundlegende Gemeinsamkeit vermissen ließ. Entsprechend wurde auch dieser Versuch eines Neuanfangs auf der Delegiertenkonferenz von 1995 sang-
und klanglos beerdigt. Nennenswerte Teile der nun nur noch etwa 150 Mitglieder zählenden Organisation, davon nur noch ein Fünftel Frauen, wollten sich
fortan explizit mit einem Diskussionszusammenhang begnügen. Entsprechend nannte man sich nun um und buchstabierte VSP fortan mit Vereinigung für
Sozialistische Politik. Außer zu Absichtserklärungen sollte es auch in Zukunft zu keiner politischen Vereinheitlichung mehr kommen. Die VSP versank in
Agonie.
Ein letztes Aufbäumen war dann nochmals Ende 1998 zu spüren, als knapp die Hälfte
der bestenfalls noch 100 Mitglieder zählenden Organisation zusammen kam, um die Perspektiven nach dem Regierungsantritt von SPD und
Bündnisgrünen zu erörtern. Im Aufeinanderprallen teils unterschiedlicher, teils sich überlappender strategischer Visionen war noch einmal ein
blasser Glanz alter Zeiten zu vernehmen, doch die Wunden und Gräben waren bereits zu tief. Zu mehr als einem erneuten politischen Kater reichte es nicht mehr und
ein Jahr später beschloss man schließlich, sich an die Umsetzung der organisatorischen Konsequenzen der internen Situation zu machen. An gemeinsame Politik
war nicht mehr zu denken, einzig die Zweiwochenzeitung SoZ bildete noch einen gemeinsamen Nenner. Dieser Nenner sollte auf jeden Fall erhalten bleiben. Das Ergebnis
war die Auflösung der politischen Organisation und der Versuch, in einem Trägerverein die SoZ weiter herauszugeben. Auf dem letzten VSP-
"Ratschlag", wie es nun hieß, beschloss man im Dezember 2000 formvollendet die politische Auflösung. Alle sich noch als Mitglieder der
ehemaligen VSP verstehenden Menschen wurden aufgefordert, in den Verein für solidarische Perspektiven e.V. (VsP) einzutreten und ernsthaft über eine
Stabilisierung der immer stärker in die finanzielle Krise geratenen SoZ nachzudenken.
Das Grunddilemma der späten VSP, ihre Unfähigkeit zu einer kollektiven Erneuerung
sozialistischer Politik jenseits alter Strömungen, wurde jedoch durch diesen Schritt nicht gelöst. Konsequent, aber überraschend selbst für manche
aus den eigenen Reihen, wurde auf demselben Treffen, das die VSP politisch beerdigte, die Gründung einer neuen, nun wieder weitgehend trotzkistischen
Organisation angekündigt. Das historisch und politisch bemerkenswerte Projekt einer Vereinigung unterschiedlicher revolutionär-sozialistischer Gruppen war
nicht nur endgültig gescheitert, es fand auch in den eigenen Reihen keine Fürsprecher mehr.
Bilanz und Perspektiven
Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen ist die Geschichte der VSP eine Geschichte des Scheiterns.
Sie hat es weder vermocht, das westdeutsche Milieu der revolutionären Kleinorganisationen der 80er Jahre programmatisch und organisatorisch zu vereinigen, noch
hat sie es geschafft, den Aufbau einer klassenkämpferischen linken Gewerkschaftstendenz zu initiieren oder zu befördern. Sie hat es schließlich auch
nicht vermocht, sich durch Integration in eine größere linke Strömung quasi selbst überflüssig zu machen. Satt dessen ist sie langsam, aber
konstant in sich zerfallen.
Eine Anspruchsebene tiefer, ist die Bilanz etwas positiver. Die VSP hat die deutsche Linke zwar nicht
nachhaltig, aber doch partiell beeinflusst. Jene, die die Geschichte der radikalen Linken der 80er und 90er Jahre schreiben werden, werden von dem löblichen, aber
gescheiterten Versuch eines Ausbruchs aus dem linken Ghetto erzählen, und davon, dass die VSP eine wichtige Trägerin der Radikalen Linken war. Sie wird
davon berichten, dass es auf dem linken Flügel der PDS einige einflussreiche VSPler gab, und dass sich in manchen sozialen Bewegungen das persönliche
Engagement von VSP-Genossinnen und -Genossen spürbar ausgewirkt hat auf der Gewerkschaftslinken wie bei den Euromärschen, bei der PDS wie in
einzelnen Betrieben und in der internationalistischen Arbeit. Schließlich vermochte es die VSP über die SoZ nicht nur, eine gewisse und auch weiterhin
andauernde linke Gegenöffentlichkeit herzustellen, sie zog auch eine Handvoll politischer Journalisten heran, die im linken und linksbürgerlichen
Blätterwald eine gewisse Bekanntheit erlangen sollten.
Trotz des späteren Zerfalls geglückt war der Versuch einer exemplarischen Vereinigung von
deutschem Maoismus und deutschem Trotzkismus. Daran ändert auch nichts, dass es der VSP nicht auf Dauer gelungen ist, diese politische Gräben
zuzuschütten. Künftige Versuche der innerlinken Einigung werden sich, wenn auch nicht vorbehaltlos, so doch sicherlich positiv auf dieses Beispiel
stützen können.
Auch wer die alten programmatischen Dokumente heute erneut liest, kann ihnen eine bleibende Substanz
nicht absprechen. Wenn es eine VSP-Kollektivität gab, so schlug sie sich hier nieder. Manches müsste heute neu formuliert und erweitert werden, die
Stoßrichtung aber stimmte. Man nehme, um nur ein Beispiel zu nennen, die Resolution zur Erwerbslosigkeit von 1987, denke an heutige linke Diskussionen um die
Möglichkeiten eines Dritten Sektors, und lese dann folgende Sätze: "Es lässt sich jedoch nicht behaupten, dass ein umfassendes Programm zur
Beseitigung der Erwerbslosigkeit durch Inangriffnahme gesellschaftlich notwendiger Arbeit realisiert werden kann, indem aus öffentlichen Haushalten maximaler
privatkapitalistischer Profit finanziert wird. Ein solches Programm erfordert zu seiner Verwirklichung direkte Eingriffe in die Sphäre der Produktion und Verteilung
des gesellschaftlichen Reichtums und zwar in einem Umfang, dass die durch Inangriffnahme eines solchen Programms ausgelöste Dynamik die Notwendigkeit
der völligen Beseitigung des Kapitalismus auf die Tagesordnung setzen könnte."
Dass sich die VSP in programmatische linke Debatten einmischte und die Grenzen reformistischer
Vorstellungen aufzeigte, dass sie dies nicht im Sinne eines sozialistischen Negativismus, nicht im Sinne sektiererischer "Antipolitik" tat, sondern den Anspruch
formulierte, im revolutionär-sozialistischen Sinne politisch selbständig und organisiert einzugreifen, das hob sie von den anderen Gruppierungen positiv ab.
Dass sie über das Formulieren dieses Anspruchs in der Regel nicht hinaus kam, das markiert ihre Grenzen.
Was also hat die VSP falsch gemacht? Eine solche Frage zu beantworten, ist sicherlich keine leichte
Aufgabe, sind doch subjektivistische und objektivistische Erklärungen schnell zur Hand.
Nehmen wir zuerst die "subjektiven" Fehler. Nicht der Wille zur VSP war falsch, aber man
muss bekanntlich auch wollen können. Die Vereinigung zur VSP hat zwar zu etwas qualitativ Neuem mit eigener Substanz geführt, aber es entwickelte sich
keine echte neue Kollektivität innerhalb der Organisation. Als die ersten Krisenanzeichen auftraten, haben allzu viele Ex-GIMlerInnen allzu schnell auf ihre alte
politische Identität zurückgegriffen. Darauf wiederum reagierten Ex-KPDlerInnen mit allzu bornierter politischer Zuspitzung. Eine innerparteiliche Kultur der
Toleranz und Solidarität konnte sich so nicht entfalten. Auch die in ersten Jahren nur sehr vereinzelten neuen Mitglieder konnten dem nichts entgegensetzen. Den
führenden VSP-Kadern mangelte es oftmals an politischem und persönlichem Fingerspitzengefühl und Integrationskraft. Die Unfähigkeit, die
eigene Organisation zu integrieren und neue Leute zur politischen Selbständigkeit heranzuziehen, kombinierte sich mit einer vollkommen vernachlässigten
Schulungsarbeit und einer entsprechend vernachlässigten, politisch ausgewogenen Traditionspflege. Auf solcherart mangelnde Kollektivität wurde mit einer so
vereinzelten wie schleichenden "Privatisierung" reagiert, vorübergehend aufgehalten nur durch den Zustrom neuer, junger Leute infolge von
Bewegungsaufschwüngen Ende der 80er Jahre. Als diese neuen Bewegungen anfangs der 90er politisch implodierten, war man zur theoretischen und politischen
Auseinandersetzung mit dem Aufstieg der vor allem das jugendliche Publikum ansprechenden neuen zynischen Linken unfähig.
Ebenso unfähig war man, die politische und persönliche Nähe zur ostdeutschen
Vereinigten Linken für eine politische Fusion zu nutzen. Doch wird an diesem Beispiel deutlich, dass es sich dabei nur bedingt um subjektive Fehler handelte. Der
politisch-kulturelle Graben zwischen Ost- und Westdeutschland war seit Jahrzehnten viel zu tief, die politische Scheu vor einer linken "Landnahme" und
"Anschlusspolitik" im Osten viel zu berechtigt. Keine linke Gruppierung hat diese Aufgabe West wie Ost zu leisten vermocht. Auch der abgelehnte frühe
und kollektive Eintritt in die PDS kann sicherlich als politischer Fehler betrachtet werden, schließlich hat sie sich in den 90er Jahren als hegemoniale politische
Strömung auf der Linken durchsetzen können. Doch auch hier waren die politischen und kulturellen Gräben zu tief, die Vorurteile gegen die Westlinken
im Osten zu stark und umfangreich, als dass die Westlinken mehr als eine marginale Rolle in der PDS hätten spielen können. Vor allem jedoch: Die VSP hatte
nicht das Ausmaß an politisch stabiler Kollektivität, um einen solchen Schritt ernsthaft zu wagen.
Es gäbe weiteres: den fehlerhaften Umgang mit der eigenen Minderheitsfraktion; die politischen
Fehler beim Anschluss der DDR; das Links-liegen-lassen zuerst des KB, dann der ak-Redaktion usw. Doch immer stößt man dabei auch auf Andere und deren
Grenzen. Okay, man kann sagen, gerade dies wäre die Bewährungsprobe politischer Geschicklichkeit. Aber woher sollte eine solche eigentlich kommen? Die
Nach-68er Geschichte ist schließlich eine Geschichte des weitgehenden politischen Scheiterns radikal-linker Ansätze.
Sobald man sich also auf die Suche nach politischen Fehlern der VSP macht, stößt man
unweigerlich auf die objektive Situation der deutschen Linken in den 80er und 90er Jahren. Der Zusammenbruch des nominalsozialistischen Ostblocks hat die Linken
weltweit überrascht und politisch an die Wand gedrückt. In Deutschland waren die unmittelbaren politischen, sozial-kulturellen und ökonomischen
Folgen dieses Zusammenbruchs immens und die Situation der Linken seit den 70ern eine sehr viel desolatere als anderswo. Auch der Durchmarsch der Neoliberalen nach
1989 traf in Deutschland auf eine wesentlich integriertere, weitestgehend unter sozialdemokratischer Hegemonie verharrende Arbeiterbewegung, die auf ihrem linken
Flügel wenig Raum für radikale Linke ließ. Dies und die notorische Schwäche und Zersplitterung der (west-)deutschen Linken setzte der VSP
weitreichende objektive Grenzen. Die Verhältnisse waren einmal mehr stärker, doch einen Versuch war es wert. Ist es immer noch. Aber das wird eine andere
Geschichte.
Ohne dieser Geschichte hier vorgreifen zu wollen, bleibt perspektivisch sicherlich aktuell, was der
ostdeutsche Linke Thomas Klein bereits vor zehn Jahren ("Geteilte Linke im Vereinigten Deutschland? Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion", in: Keine
Opposition. Nirgends? Linke in Deutschland nach dem Sturz des Realsozialismus, Berlin 1991, S.76ff.) bilanzierte: "Die Selbstorganisation der Linken in Deutschland
hat von ganz vorn zu beginnen. Sie muss sich der Vergangenheit, also nicht nur der Geschichte ihrer Vernichtung als organisierter Kraft, sondern auch der Geschichte des
Scheiterns ihrer Reorganisation als internationaler Kraft (schon vergessen?) besinnen. Sie hat sich aber vor allem an den ungeliebten Realitäten zu orientieren, deren
Eintreten zu verhindern sie nicht stark genug war sonst wird sie sich ihnen wieder nur zu unterwerfen imstande sein … Die zentrale Frage ist die Frage nach der
sozialen Verankerung der Linken also die Frage, inwieweit und wie schnell es uns gelingt, mit den wirklichen Interessen und Bedürfnissen der
Bevölkerung zu korrespondieren … Die Dogmatiker haben diese Diskussion ebenso verhindert wie die Reformisten. Die Frage, wie jenseits von populistischem
Opportunismus und wirklichkeitsfremdem Revolutionarismus linke Politik mit und nicht gegen die Bedürfnisse der Bevölkerung machbar ist, muss jenseits der
Scheinalternative vom ‚Realismus prinzipienlosen Nachtrabs und devoten Unterwerfungshaltungen gegenüber manipulierten Massenströmungen oder
hochmütiger Massenverachtung beantwortet werden. Vermutlich läuft dies auf einen kollektiven Lernprozess der Linken im Verlauf der Selbstorganisation von
Lohnabhängigen und der Organisierung sozialen Widerstands hinaus. Die Linken werden sich hier zu integrieren haben, und der Maßstab ihrer
Glaubwürdigkeit wird die kollektive Erfahrung der Nützlichkeit ihrer Vorschläge in den sozialen Bewegungen sein … Die eigene Politikfähigkeit
wird sich in der Qualität eingreifenden Handelns im Prozess der Zusammenführung sozialer Bewegungen erweisen. Hier gilt, dass nichts an die Stelle der
eigenen Erfahrung dieser Bewegungen treten kann; weder die besten Ratschläge noch die Stellvertreterrolle linker Organisationen."
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