Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 25.04.2001, Beilage

Ein neuer Anlauf

Anfang März 2001 haben sich ca. zwei dutzend Menschen aus dem Umkreis von VsP und SoZ, zusammengefunden, um einen neuen Ansatz für organisierte sozialistische Politik zu wagen. Ihre Grundlage bildet eine kurze Erklärung, die von einem Vorbereitungskreis im Januar beschlossen worden war und die vorläufig auch die Grundlage für eine Mitgliedschaft darstellt (nebenstehend abgedruckt).
An der Erklärung fällt auf, dass sie zunächst nicht mehr beschreibt als den Willen, überhaupt wieder eine geregelte politische Organisation zu bilden, die das Minimum dessen leistet, was sozialistische Gruppen mit gesellschaftsveränderndem Anspruch zu leisten haben: kollektive Praxis, politische Analyse, kontinuierlichen Diskussionszusammenhang, Strategiebildung, Schulungsarbeit, programmatische Weiterentwicklung. Die programmatischen Aussagen werden sozusagen "nachgereicht" in Form einer kurzen Erklärung, die bis Mitte des Jahres fertig sein dürfte.
Diese Reihenfolge mag im Rahmen der deutschen Linken, die traditionell sehr programmbezogen arbeitet, ungewöhnlich erscheinen; tatsächlich wurde in den Jahren 1998 und 1999 auch der Versuch unternommen, innerhalb der VSP (Vereinigung für Sozialistische Politik) den entgegengesetzten Weg zu gehen: einen neuen Anlauf für eine programmatische Debatte im Rahmen der Strukturen der VSP zu unternehmen, auf den sich dann eine organisatorische Struktur gründen sollte. Dies ist zweimal gescheitert, im wesentlich daran, dass es keinen Konsens über die Notwendigkeit eines solchen Anlaufs gab. Der Verlust des Parteienstatus und die sich daraus ergebende Notwendigkeit einer Reorganisation der Strukturen um die Herausgabe der SoZ herum bot schließlich die formale Gelegenheit, zur Tat zu schreiten, nachdem sich ein entsprechender Konsens unter einer Reihe von Mitgliedern bereits herausgebildet hatte.
Da man sich kennt, und zum großen Teil auch aus derselben Tradition stammt (der IV.Internationale, zu der sich die neue Gruppierung in Sympathie sieht), wird die Formulierung einer gemeinsamen programmatischen Erklärung trotz der unterschiedlichen politischen Arbeitsfelder und trotz einer langen Phase in der VSP, in der es so gut wie keine kollektiven Diskussionen mehr gegeben hat, die zu einer gemeinsamen Positionsbildung als Grundlage einer gemeinsamen Praxis geführt hätten, kein größeres Problem darstellen. Zu groß ist der Vorrat an gemeinsamen Auffassungen und an kritischer Tradition.
Dennoch ist auf dem Holzweg, wer meint, hier handele es sich um die Wiederbelebung eines trotzkistischen Traditionsvereins. Hier hat die Erfahrung der organisierten Zusammenarbeit mit anderen politischen Kräften zu tiefe (positive) Spuren hinterlassen, als dass man hinter diesen Stand zurück, wieder zu "identitärer Politik" möchte. Nicht zufällig begann die Gründungsversammlung im März mit einer Aussprache über eine Bilanz der VSP, auf der sich eine Übereinstimmung abzeichnete, dass die Zielsetzung des Projekts 1986 positiv und richtig, wenn nicht gar alternativlos war; dass jedoch aus einer Reihe von subjektiven wie objektiven Gründen mit der Zeit der Wille, noch eine Organisation darstellen zu wollen, abhanden gekommen ist. Und dafür waren nicht, auch darin war man sich ziemlich einig, programmatische Gründe ausschlaggebend in dem Sinne, dass die VSP auf wichtige Ereignisse mit falschen Positionen reagiert hätte. Eher Gründe, die mit dem großen Umbruch zu tun hatten, der sich 1986 schon abzeichnete.
Es scheint nicht unrealistisch, dass die neue Organisation dazu kommen kann, eine gemeinsame Bilanz der VSP zu formulieren; im Sinne ihrer präziseren politischen Verortung hier und heute wäre dies hilfreich.
Allerdings spielt die VSP für die Reorganisierung der sozialistischen Kräfte heute keine Rolle mehr. Die Losung "Vereinigen statt spalten" ist out; zum einen ist schon die VSP daran gescheitert, zum anderen sind von der radikalen Linken der 80er Jahre, auf die sich das Projekt bezog, nur noch Traditionsreste übriggeblieben, die die Zäsur von 1989 weder programmatisch noch strategisch verarbeitet haben.
Out ist derzeit auch das, was der dritte Buchstabe im Namen bezeichnete, der Parteiansatz. Nicht nur deshalb, weil die Existenz der PDS einen solchen auf absehbare Zeit blockiert, obgleich sie den Anspruch einer sozialistischen Opposition in Deutschland nicht einlöst. Wichtiger ist eigentlich, dass ein neuer Ansatz für eine sozialistische Partei in Deutschland weniger als anderswo die Zäsur von 1989 ignorieren kann; das aber bedeutet praktische Kritik von 140 Jahren sozialdemokratischer und kommunistischer Bewegung und ist definitiv keine Aufgabe, die am Schreibtisch durch die Redaktion eines neuen Programms eingelöst werden kann — und sei es theoretisch noch so ausgefeilt. Ein neuer Parteibildungsprozess, der mehr sein will als eine Zerfallsstufe des Alten, setzt neue Organisationsprozesse im gesellschaftlichen Bereich voraus — dazu gehört vornehmlich die Gewerkschaftsbewegung, deren Krise noch völlig unabsehbare Verlaufsformen hat. Politische Antworten hängen eben in der Luft, wenn sie nur propagandistisch, oder bestenfalls im parlamentarischen Raum vorgetragen werden, aber die soziale Kraft fehlt, für sie zu kämpfen. So gesehen steht heute jeder sozialistische Ansatz vor der Aufgabe, "die Gesellschaft" zu organisieren; das gilt für die PDS nicht minder, nur fehlt ihr von dieser Aufgabe der Begriff.
Die neue Organisation verortet sich deshalb vor allem dort, wo sich heute eine praktische Alternative zum herrschenden Kapitalismus neoliberaler Prägung auftut: in den Bewegungen und zahlreichen Vernetzungsansätzen gegen die kapitalistische Globalisierung, marxistisch gesprochen: gegen die weltweite Kapitalkonzentration und die supranationalen Institutionen, die sie hervorbringt. Die kapitalistische Reaktion auf die Klassenkämpfe der 70er und 80er Jahre wie auch auf den Fall der Profitrate in jener Zeit wälzt tatsächlich alle wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bezugssysteme der Nachkriegszeit um, ohne die mindeste Aussicht darauf, dass die Hoffnung auf ein neues, anhaltendes Wirtschaftswunder, den sich die Herrschenden davon erhoffen, in Erfüllung gehen könnte. Programmatik wie organisationspolitische Konzepte können davon nicht unberührt bleiben.
Die Entscheidung, sich in den Rahmen dieser Bewegungen zu stellen, bedingt zum einen, dass sie als Ausdruck einer neuen Phase ansteigender sozialer Kämpfe betrachtet werden. Als deren Ausgangspunkt und Fanfarenstoß werden gemeinhin der zapatistische Aufstand am 1.Januar 1994 und die französischen Streiks im Winter 1995 bezeichnet. Sie haben weltweit eine Gegenbewegung in Gang gesetzt, die uneinheitlich ist, in Deutschland auch nur mit Verzögerung wahrgenommen wird; dennoch ist unübersehbar, dass mehr und mehr soziale und politische Kräfte in ihren Bann gezogen werden, und dass sie neue organisatorische Prozesse in Gang setzt.
Die Entscheidung bedingt zum anderen die Rückkehr zu einem elementaren Ausgangspunkt der historischen Arbeiterbewegung: der Internationale. Und zwar in erster Linie im Sinne der internationalen Solidarität und des internationalen Kampfs gegen die vielfältigen Spaltungslinien all derer, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben: Lohn- und Sozialdumping, Rassismus, Ausgrenzung und Abhängigkeit, Krieg. In zweiter Linie bedingt dies einen positiven Bezug auf radikale sozialistische Organisationsversuche im politischen Rahmen auf internationaler Ebene — dazu gehört der Versuch einer Sammlung solcher Kräfte auf europäischer Ebene, dazu gehören die Organisierungsversuche um das Weltsozialforum, dazu gehört auch die IV.Internationale.
Schließlich fußt diese Entscheidung auf der Beobachtung, dass der neue gesellschaftliche Konsens, den das neoliberale Einheitsdenken zu schaffen versucht, brüchig ist, die Abwendung auch von seiner sozialdemokratischen Variante unübersehbar. Die politische Alternativlosigkeit ist allerdings genauso zu erkennen wie eine schleichende Radikalisierung in der Bevölkerung.
Sozialistische Kräfte, die an einem gesellschaftsverändernden Anspruch festhalten, haben in dieser Situation die Verantwortung, alles zu tun, um fortschrittlichen Alternativen das bestmögliche programmatische und organisatorische Gerüst zu verleihen — und zwar im Verbund mit allen anderen, die in die gleiche Richtung wollen. Die sich daraus ergebenden programmatischen und organisatorischen Schlussfolgerungen müssen teilweise neu gedacht werden; sie können deshalb nicht fertig am Anfang des Reorganisierungsprozesses stehen. Allerdings können sie ohne ihn auch nicht entwickelt werden.
Die neue Organisation braucht noch einen Namen; sie erstellt derzeit eine kurze programmatische Erklärung; sie hat sich vorgenommen, ein Manifest gegen die kapitalistische Globalisierung zu verfassen. Arbeitsschwerpunkte bilden die Gewerkschaftsarbeit, die Arbeit gegen Erwerbslosigkeit, die antirassistische Arbeit, die Mobilisierung zu den internationalen Demonstrationen. Einige ihrer Mitglieder arbeiten in der PDS. Die Mitarbeit und Herausgabe der SoZ ist ein zentrales Anliegen, in das ein Großteil der Ressourcen fließt.
Die Haltung zur VSP ist in keiner Weise eine Grundlage für die neue Organisierung; das Bestreben, neue MitstreiterInnen außerhalb des bisherigen Rahmens zu finden, selbstverständlich.

Angela Klein

Zusammenschließen, um mehr zu bewirken

Die Unterzeichnenden treten dafür ein, im Sinne der nachfolgenden Punkte einen politischen Zusammenschluss von internationalen SozialistInnen zu bilden (der Name ist noch festzulegen).

1. Der Zusammenschluss ist eine politische Organisation mit formulierter Zielsetzung, aktiver Mitgliedschaft, Strukturen sowie einer gemeinsamen politischen Praxis.
2. Der Zusammenschluss versteht sich als Motor, um größere Kräfte als sich selbst in Bewegung zu setzen. Er will eine aktive und initiative Rolle in der Schaffung und Vernetzung von sozialen und politischen Organisationsansätzen spielen. Er will damit einen Beitrag zu einer Neuformierung der Linken leisten.
3. Sein Charakter ist der einer Organisation, deren Mitglieder gemeinsame Strategiedebatten führen, gemeinsame Einschätzungen formulieren und in unterschiedlichen sozialen und politischen Zusammenhängen arbeiten.
4. Er vermittelt Grundlagen in Sachen Marxismus, internationale Arbeiterbewegung und andere emanzipatorische Bewegungen. Er pflegt einen kontinuierlichen Diskussionszusammenhang, der die neuen politischen Entwicklungen analysiert und eine programmatische Weiterentwicklung leistet; dabei legt er großen Wert auf die Aufnahme neuer theoretischer Entwicklungen des Marxismus.
5. Der Zusammenschluss arbeitet von Anfang an als Teil der neuen Bestrebungen für eine internationale Organisierung und befördert dies aktiv.
Er tritt in Zusammenarbeit mit der IV.Internationale, an deren Debatten er teilnimmt, sowie mit anderen radikalen sozialistischen Strömungen.
6. Der Zusammenschluss erarbeitet im Laufe des Jahres 2001 eine politische Grundlage für seine Arbeit und ein Faltblatt mit seinem Selbstverständnis.
7. Er braucht ein Konzept für seine Außenarbeit und sein internes Funktionieren. Beides finanziert er aus eigenen Mitteln.
8. Der Zusammenschluss unterstützt die SoZ und arbeitet an ihr mit. Er beteiligt sich an der Bildungsarbeit des VsP.

Köln, den 20.1.2001

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